Fundamentale Nachricht
13:57 Uhr, 15.06.2020

Europäische Anleihen: Music, Moonlight, Love and Romance

In den nächsten 12 bis 24 Monaten scheint laut Lior Jassur, DBA, Director, Fixed Income Research Europe bei MFS Investment Management, ein deutlicher Anstieg der Zahlungsausfälle fast unvermeidlich.

Trotz der sehr expansiven Geld- und Fiskalpolitik ist der Ausblick für viele Unternehmen keineswegs spektakulär. Zweifellos wird es mehr Zahlungsausfälle geben. Im Euroraum haben sich die Renditen zwischen Nord- und Südeuropa auseinanderentwickelt, ebenso wie die Spreads zwischen High Yield und Investmentgrade-Unternehmensanleihen sowie zwischen High Yield und nachrangigen Finanzanleihen. Eine aktive Einzelwertauswahl kann sich lohnen.

Ich bin weder besonders musikalisch noch ein großer Literaturkenner, aber ich finde es beeindruckend, wie gut Irving Berlins Songtext aus dem Jahr 1936 in die heutige Zeit passt.

There may be trouble ahead

But while there’s music and moonlight and love and romance Let’s face the music and dance Before the fiddlers have fled Before they ask us to pay the bill and while we still have the chance Let’s face the music and dance

Sind Music, Moonlight, Love and Romance also noch nicht vorbei? An den Anleihemärkten ist die Lockerung der Geldpolitik die Musik, und die Staatsausgaben sind der Mondschein. Liebe und Romantik wären der – wesentlich schwerer in Zahlen zu fassende – Ausblick für die Unternehmen. Von alldem hängt ab, ob die Zeiten für risikobehaftete Wertpapiere gut oder schlecht sind.

Anfang April rechnete ich eher mit einem „Swoosh“ – einer längeren Schwächephase gefolgt von einer leichten Erholung – und nicht mit dem bei vielen Marktbeobachtern so beliebten V. Seitdem hat die Hoffnung auf eine V-förmige Erholung nachgelassen, und immer öfter ist von einem L die Rede. Das ist allerdings immer noch besser als der Swoosh, bei dem die Wirtschaft erst längere Zeit schrumpft, bevor sie sich dann steil erholt.

Die Notenbanken können die Geldpolitik sehr viel stärker lockern, und die Regierungen können noch sehr viel mehr Geld ausgeben. Dennoch scheint der Ausblick für viele Unternehmen immer schlechter zu werden. In Europa und in den USA ist die Arbeitslosigkeit sehr schnell stark gestiegen. In vielen Branchen gibt es erste Hinweise auf einen langfristigen Kapazitätsabbau und entsprechende Stellenstreichungen. Alles in allem haben größere Unternehmen bessere Chancen, die Krise zu überstehen, als kleinere. Gut vorbereitet ist auch, wer nur wenig verschuldet ist.

Einiges davon ist in den Anleihekursen bereits berücksichtigt. Trotz Lockerung der EZB-Geldpolitik und diverser Staatshilfen für Unternehmen und Haushalte haben sich die Renditen der nord- und südeuropäischen Euroraum-Länder weiter auseinanderentwickelt. Auch die Spreads sind gestiegen – zwischen High Yield und Investmentgrade-Anleihen ebenso wie zwischen High Yield und nachrangigen Finanzanleihen. Dieser Zinsabstand ist besonders interessant, bestätigt er doch zwei wichtige Merkmale der aktuellen Krise:

  • Diesmal sind nicht die Banken das Problem.
  • Hohe Verschuldung und schrumpfende Nachfrage sind eine gefährliche Mischung.

Das bedeutet nicht, dass die Krise an den Banken spurlos vorübergeht. Doch nach der internationalen Finanzkrise hat sich viel getan: Viele Banken haben in Erwartung von mehr Problemkrediten und zweifelhaften Forderungen zusätzliche Rückstellungen gebildet und im letzten Jahrzehnt Kapitalpuffer aufgebaut. Bisweilen haben sie in Erwartung der nächsten Krise auch ihre Dividenden gekürzt. Viele Nichtbanken haben hingegen neue Schulden aufgenommen, um ihre Aktionäre zu bedienen. High-Yield-Emittenten, die neues Kapital aufnahmen, um Dividenden zu zahlen, waren keine Seltenheit.

In den nächsten 12 bis 24 Monaten scheint ein deutlicher Anstieg der Zahlungsausfälle fast unvermeidlich. Dies sieht man am Spread des European iTraxx Crossover Index, eines Index für handelbare Credit Default Swaps (CDS). Er beträgt zurzeit rund 540 Basispunkte, was einer kumulierten Ausfallquote von 36 % in den nächsten fünf Jahren entspricht. Das scheint auf den ersten Blick nicht viel, doch der Index besteht aus den liquidesten CDS-Kontrakten am High-Yield-Markt, die meist auch eine bessere Kreditqualität haben. Die wirklich schwachen Emittenten sind nicht im Index enthalten.

Der Spread des Bloomberg Barclays Pan-European High Yield Index beträgt zurzeit rund 640 Basispunkte. Ein Teil davon mag auf die Liquiditätsprämie entfallen, doch stehen 640 Basispunkte für eine kumulierte Fünfjahres-Ausfallquote von 40 %. Der Unterschied zwischen den beiden Indizes bedeutet meiner Ansicht nach, dass viele kleine, schwächere Unternehmen zu scheitern drohen. High-Yield- Investoren achten immer auf Ausfallrisiken, zumal man sie bei hochverzinslichen Anleihen nicht immer vermeiden kann. Mit aktivem Management lassen sie sich aber zumindest verringern.

Die letzte Strophe des Songs lautet übrigens:

Soon we’ll be without the moon, humming a different tune and then There may be teardrops to shed So while there’s moonlight and music and love and romance Let’s face the music and dance

Wird die Musik wirklich aufhören zu spielen? Und werden wir dann traurig sein? Ausschließen können wir es jedenfalls nicht.

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