Fundamentale Nachricht
12:09 Uhr, 08.11.2021

Energiepreisinflation: Die Rache der ‚Old Economy’

Teures Öl ist gut für das Klima, und billiges Öl ist schlecht - diese einfache Formel greift zu kurz.

Die Welt steckt in der Zwickmühle. Auf der einen Seite fordern Klimaschützer auf der tagenden Konferenz COP26 in Glasgow, die Preise für fossile Energieträger zu erhöhen, in der Hoffnung, dass dadurch automatisch der Verbrauch sinkt.

Auf der anderen Seite sorgen sich Politiker um die von den Energiepreisen angeheizte Inflation. Sie wiederum fordern die Ölförderstaaten auf, mehr zu produzieren, um den Markt zu entspannen. Die Hoffnung: Dann sinken die Preise wieder. Ausgerechnet auf der Klimaschutzkonferenz hat etwa US-Präsident Joe Biden die führende OPEC+-Mitglieder Saudi-Arabien und Russland zu ebendem Handeln ermahnt, mit einer höheren Ölproduktion die Preissteigerungen zu dämpfen. Biden fürchtet im Einklang mit anderen Industrieländern, dass die aktuell hohen Energiepreise die Konjunkturerholung abeürgen und den Mittelstand finanziell überfordern könnten.

Die OPEC+ will aber gleichwohl nur eine geringfügige Ausweitung durchführen. Die aus 23 Ländern bestehende Ölstaatenallianz will ihre planmäßige monatliche Steigerung der Ölförderung um 400.000 Barrel pro Tag nicht überschreiten. Im ersten Halbjahr dieses Jahres lagen die Länder zehn Prozent unter dem Niveau vom Februar 2020. Sie werden trotz der leichten Ausweitung das Vorkrisenniveau um rund drei Prozent unterschreiten, prognostizierte die US-Energiebehörde Energy Information Administration, EIA.

Rohöl ist infolge hoher Nachfrage und des verknappten Angebots so teuer wie seit 2014 nicht mehr. Ein Barrel Brent kostete am Montag zuletzt knapp 84 Dollar - round about 35 Dollar mehr als noch zu Jahresbeginn.

Teures Öl ist gut für das Klima, und billiges Öl ist schlecht - diese einfache Formel greift zu kurz. Für den Klimaschutz gibt es so etwas wie gute hohe Energiepreise und schlechte. Greenpeace-Finanzexperte Mauricio Vargas sagte der Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Für eine Lenkungswirkung ist ein hoher Preis für Energie grundsätzlich wünschenswert, da er einen Anreiz zum sparsamen Umgang setzt. Allerdings setzen hohe Energiepreise auf der Angebotsseite natürlich auch einen Anreiz zum Ausbau des Angebots.“ Im Falle der Erneuerbaren sei das begrüßenswert, im Falle der fossilen Energie freilich nicht.

Will heißen: Ein hoher Ölpreis ist auch ein Anreiz für Ölstaaten, in die Ölförderung zu investieren, um perspektivisch mehr Angebot zur Verfügung zu stellen. Man sieht das an den Ölbohrstationen in den USA. Die Zahl der sog. Rigs hat sich in diesem Jahr im Zuge der Ölpreiserholung um fast 70 Prozent erhöht.

Jeff Currie, Ölfachmann der Investmentbank Goldman Sachs, spricht von der „Rache der Old Economy“. Die „Wurzeln der heutigen Rohstoffkrise“ sieht der Experte weniger in der Pandemie, vielmehr seien diese Nachwirkungen der Finanzkrise und dem darauf folgenden Jahrzehnt sinkender Renditen und chronischer Unterinvestitionen in die Old Economy. „Mit der Überalterung der Infrastruktur und dem Nachlassen der Investitionen schwand auch die Fähigkeit der Old Economy, die Rohstoffe zu liefern, auf denen viele Fertigwaren basieren“, schrieb Currie in einem Kommentar für die FT. Er spricht von Schocks, die Auswirkungen auf die Preise ausübten. So habe die geringere Verfügbarkeit von Gas zur Substitution von Gas durch Öl geführt, was wiederum Engpässe bei Öl auslöste. „Die fortlaufende Wirkung kleinerer, häufiger Schocks auf ein gestrecktes System führt zu dem Phänomen, dass vorübergehende Schocks zu einer anhaltenden physischen Preisinflation führen - ein Phänomen, dessen Beginn wir heute erleben“, so Currie.

Der Druck auf die Rohstoffpreise wird sich laut dem Goldmann Sachs-Strategen wiederholen, wenn die „Nachfrage auf breiter Basis auf eine unzureichende Infrastruktur“ trifft. Wenn der Ölpreis über 80 Dollar verbleibt, dürfte wieder mehr Geld in die Ölförderung gehen, selbst Standorte mit höheren Kosten werden wieder attraktiv. Auf der Angebotsseite führt der hohe Ölpreis demnach nicht zu mehr Klimaschutz, sondern zu weniger. „Wenn die Ziele der politischen Entscheidungsträger - breiter Wohlstand und massiver Ausbau der grünen Infrastruktur - erreicht werden sollen, müssen die Rohstoffpreise deutlicher nach oben ausschlagen, um einen Anreiz für Investitionen in alternative Energien zu schaffen“, so Currie weiter. „Dies ist notwendig, um die zunehmenden Risiken bei langzyklischen Investitionsprojekten und die inhärente Komplexität der grünen Energiewende zu kompensieren“. Goldman Sachs-Fachmann Currie schlussfolgert aus all dem: „Wie wir bereits vor einem Jahr argumentiert haben, steht uns ein neuer Rohstoff-Superzyklus bevor“.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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