Fundamentale Nachricht
11:17 Uhr, 30.09.2022

Energiekrise: Die Branchen in Deutschland schlagen Alarm

Nicht nur die hohen Energie- und Rohstoffpreise machen den Branchen zu schaffen. Die Unternehmen haben auch Schwierigkeiten, überhaupt die Versorgungssicherheit mit Energie in ihren Betrieben zu gewährleisten.

Deutschlands Maschinen- und Anlagenbauer bangen angesichts der rasant steigenden Preise zum Beispiel für Erdgas und der sich abzeichnenden Energiekrise um ihre Zukunft. Aktuell gebe es zwar bei rund 90 Prozent der Unternehmen keine Einschränkungen in der Produktion aufgrund der Probleme in der Energieversorgung, sagte der Chefvolkswirt des Branchenverbandes VDMA, Ralph Wiechers, am Freitag zu den Ergebnissen einer Umfrage unter 641 Mitgliedsunternehmen. „Doch die Aussichten verdüstern sich: 57 Prozent der Unternehmen, also mehr als jedes zweite, erwartet eine Verschärfung der Situation in den nächsten sechs Monaten."

In der deutschen Chemiebranche stellt sich die Lage ähnlich dramatisch aus: 99 Prozent der Unternehmen in der Branche sind auf Gas als Grundstoff und nicht nur als Wärmelieferant angewiesen, wie Christian Kullmann, bis gestern Chef des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und CEO des Spezialchemiekonzerns Evonik, dem Portal The Pioneer sagte. Seiner Ansicht nach sind mindestens ein bis zwei Drittel der chemischen Industrie akut gefährdet. „Hier reden wir von 1.900 Unternehmen, von über 500.000 wirklich gut und attraktiv bezahlten Arbeitsplätzen,“ sagte Kullmann.

Nicht nur die hohen Energie- und Rohstoffpreise machen den Branchen zu schaffen. Die Unternehmen haben auch Schwierigkeiten, überhaupt die Versorgungssicherheit mit Erdgas und Strom in ihren Betrieben zu gewährleisten. Denn die Suche nach einem Festpreisvertrag für Erdgas ist mangels Angebots derzeit schwierig bis unmöglich. Der Allianz-Vorstandschef Oliver Bäte sprach vor diesem Hintergrund im Interview mit dem Handelsblatt Klartext: „Wir müssen auch so ehrlich sein, dass nicht jedes Unternehmen überleben wird. Marktwirtschaft heißt nach Schumpeter eben auch „kreative Zerstörung“.

Können die Pläne der Politik zu einer Gas- und Strompreisbremse eine drohende Insolvenzwelle und in schlimmsten Fall eine teilweise Deindustrialisierung in Deutschland aufhalten? Die Bundesregierung hat am Donnerstag zugesagt, bis zu 200 Milliarden Euro in die Hand zu nehmen, um Bürger und Unternehmen bei den steigenden Energiekosten unterstützen zu können. Die ursprüngliche Gasumlage fällt weg, die Unternehmen sollen vielmehr direkte staatliche Hilfe bekommen. Wie das alles genau aussehen soll, ist noch nicht geklärt, bis Mitte Oktober soll eine Expertenkommissionen einen Vorschlag machen. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, die die Kommission leitet, sagte im ZDF: „Die Ausgestaltung wird jetzt herausfordernd, aber wir werden sicherlich sehr, sehr schnell, innerhalb von Tagen, Wochen, durchaus schon Vorschläge auf den Tisch legen".

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schraubte die Erwartungen an den geplanten Gaspreisdeckel bereits herunter. Man könne damit den Gaspreis nicht so weit herunter subventionieren, wie er 2021 gewesen sei, sagte der Grünen-Politiker am Freitag im Deutschlandfunk. „Und zwar sehr lange nicht. Gas und Energie insgesamt wird die deutsche Volkswirtschaft mehr kosten, als sie es in den ganz günstigen Jahren getan hat." Auch werde nicht jede Preiserhöhung vermieden werden können. "Auch nicht mit diesen gigantischen 200 Milliarden Euro.“

Kurz vor dem Treffen der 27 EU-Energieminister in Brüssel hat die EU-Kommission eine gemeinsame europäische Gaspreis-Begrenzung empfohlen, und zwar nur für russisches Gas. Der Deckel müsse so hoch liegen, dass es für Russland attraktiv genug sei, weiter nach Europa zu liefern, sagte die Energiekommissarin Kadri Simson. 15 Staaten hatten am Dienstag eine Preisobergrenze für alle Gaslieferungen gefordert. Die deutsche Regierung will das nicht, aus Sorge vor Liefer- und Verteilungsproblemen.

Die EU-Staaten haben sich heute auf europäische Notmaßnahmen verständigt, um Entlastungen finanzieren zu können. Die zuständigen Minister einigten sich darauf, dass Energieunternehmen künftig einen Teil ihrer Krisengewinne an den Staat abgeben müssen, wie die tschechische Ratspräsidentschaft mitteilte.

Lesen Sie zum Thema auch den Beitrag von Oliver Baron: "Der industrielle Kern steht auf der Kippe".

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