Kommentar
10:04 Uhr, 30.09.2022

"Der industrielle Kern steht auf der Kippe"

Die hohen Gaspreise haben absurde Folgen: Unternehmen verkaufen ihr Gas gewinnbringend weiter, statt selbst zu produzieren. Doch es droht nicht weniger als ein Kollaps der Lieferketten.

Angesichts der hohen Energiepreise haben viele mittelständische Industrieunternehmen ein neues Geschäftsmodell entdeckt: Statt selbst zu produzieren, verkaufen sie Gas, das sie wegen langfristiger Lieferverträge nach wie vor günstig erhalten, einfach weiter. Darauf weist Harald Müller, Geschäftsführer der Bonner Wirtschafts Akademie (BWA), eines Beratungs- und Coachingunternehmens, in einer Pressemitteilung hin. Viele mittelständische Industriebetriebe hätten die Produktion inzwischen eingestellt und verdienten gutes Geld mit dem Gasverkauf, meint Müller.

Für die einzelnen Unternehmen sei der Weiterverkauf des Gases betriebswirtschaftlich sinnvoll, weil sich damit laut Müller "immense Gewinnmargen" verdienen lassen. "Die eigene Fertigung liegt in dieser Zeit einfach brach, die Belegschaft wird nach Hause geschickt", so Müller.

Volkswirtschaftlich drohe allerdings nicht weniger als "eine nationale Katastrophe", warnt der Wirtschaftsexperte. Denn durch die stillgelegte Produktion trete eine zunehmende Knappheit an Gütern aller Art ein. "Das eine Unternehmen verdient zwar gut an der Gasmarge, aber die Zulieferer und Abnehmer müssen möglicherweise Insolvenz anmelden, weil ein wichtiges Glied in der Kette, die Fertigung, über Wochen oder gar Monate hinweg ausfällt", befürchtet Müller.

Durch die Knappheit könnte auch die Inflation weiter angeheizt werden. Im September hat die jährliche Inflationsrate in Deutschland bereits bei 10,0 % gelegen und damit den höchsten Stand seit Dezember 1951 erreicht, wie vorläufige Daten des Statistischen Bundesamts zeigen.

In der Politik seien die Zusammenhänge häufig unbekannt, befürchtet Müller. "In den Ministerien wird sogar noch gefeiert wegen der vermeintlichen Einsparungen an Energiekosten, ohne zu wissen, dass diese häufig schlichtweg aus der Stilllegung von Produktionsanlagen kommen." Die wirtschaftliche Katasrophe, die drohe, werde nicht wahrgenommen. "Wenn die Produktion stillsteht, fallen viele Wertschöpfungsketten weg und viele Betriebe entlang dieser Ketten werden in die Insolvenz getrieben. Damit steht der industrielle Kern Deutschlands auf der Kippe", befürchtet Müller.

Dass auch viele Unternehmen die Aussichten als extrem düster einschätzen, hat in dieser Woche das Ifo-Geschäftsklima gezeigt. Besonders bei den Erwartungen für die kommenden sechs Monate zeigt sich inzwischen ein Einbruch, der an den Corona-Crash erinnert.

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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