Kommentar
11:21 Uhr, 07.12.2011

Deflation sollte unser Trauma sein

Mit der konzertierten Zinssenkung aller wichtigen Notenbanken in der vergangenen Woche hat sich die Politik erneut Zeit gekauft. Gelöst werden die Probleme dadurch aber natürlich nicht. Sie werden nur weiter in die Zukunft verschoben. Die Abhängigkeit von den tiefen Zinsen und Machtlosigkeit der Notenbanken gegenüber zukünftiger Inflation wird damit abermals größer.

Das ist der Grund, warum Deutschland als einziges der großen Industrieländer sich noch gegen den unbegrenzten Aufkauf von Staatsanleihen der Euro-Peripherieländer durch die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt, zum Missfallen der betroffenen Länder. Denn eine solche Maßnahme würde zumindest deren Refinanzierungsprobleme über Nacht lösen. Deutschland hingegen ist bereit sich allseits unbeliebt zu machen, um wenigstens einen Rest an Stabilitätskultur zu retten.

Dass Inflation zu unserem Trauma wurde und die Angst davor hierzulande größer ist, als in allen anderen Industrienationen hat mit unserer Geschichte zu tun. Zweimal verloren wir Deutschen durch Inflation unser Geld. Das erste Mal durch die Hyperinflation von 1919 bis 1923 und dann durch die aufgrund der Preiskontrollen versteckte Inflation nach dem zweiten Weltkrieg. So wurde Inflation zum Trauma der Deutschen.

Das Trauma der USA ist hingegen die Deflation. Nach dem Kurssturz am legendären schwarzen Freitag im Oktober 1929 rutschte die dortige Wirtschaft in eine schwere Rezession. Um den Dollar innerhalb des Goldstandardwährungssystems stabil zu halten, wurde trotz der Wirtschaftsschwäche eine restriktive Geldpolitik betrieben, in deren Folge durch sinkende Preise und schrumpfende Wirtschaftsleistung das Bruttoinlandsprodukt um 50 Prozent zurückging. Teilweise erfroren und verhungerten die Menschen in ihren Wohnungen.

In Deutschland wurde zu diesem Zeitpunkt eine ganz ähnliche Politik betrieben. Nachdem die Inflation überwunden war, wollte der damalige Reichskanzler der Weimarer Republik, Heinrich Brüning, für Stabilität sorgen. Seine eiserne Politik des Sparens führte zwischen 1929 und 1933 auch in Deutschland zu Deflation. Die Preise sanken um 23 und die Löhne sogar um 32 Prozent. Die Arbeitslosenzahlen nahmen immer weiter zu und sorgten für immer größere Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Die Folge war die Machtergreifung durch die NSDAP.

Deflation und die sie befördernde Politik müsste daher unser viel größeres Trauma sein als die Inflation, denn sie führte uns in das dunkelste aller Kapitel der deutschen Geschichte.

Dennoch verlangen wir von den südlichen Ländern der Eurozone eine derartige Politik. Die Proteste auf den Straßen zeigen jedoch wie einst in der Weimarer Republik, dass diejenigen, die darunter zu leiden haben, dies nicht mittragen.

Wissenschaftliche Studien belegen, dass ein Minus von einem Prozent im Wirtschaftswachstum die Wählerstimmen rechter Parteien um einen Prozentpunkt steigen lässt. Griechenland ist der „lebende“ Beleg für diese These. In den jüngsten Wählerumfragen legen nicht nur die stalinistischen Kommunisten deutlich zu. Auch die Rechtsextremisten, die öffentlich vom „Märchen von Auschwitz und Dachau“ sprechen, kommen mittlerweile auf 8,5 Prozent der Stimmen.

Auch die Entschuldung via Inflation ist kein Spaziergang und ein Drama für die Sparer, sie trifft aber nicht die sozial schwächsten, sondern nur die, die noch etwas besitzen und ist damit der sozial verträglichere Weg. Vor einer Hyperinflation und Währungsreform muss sich ohnehin niemand fürchten. Die, die davor warnen, vergessen allzu leicht, dass diese nach zwei verlorenen Kriegen stattgefunden haben.

Eine Geschichtsstunde im Deutschen Bundestag über die Auswirkungen der brüningsche Sparpolitik ist dringend von Nöten!

Mehr von und über Stefan Riße erfahren Sie unter www.rissesblog.de

Stefan Riße, ist Portfolio Manager bei der HPM Hanseatischen Portfolio Management in Hamburg. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender N-TV. Sein aktuelles Buch „Die Inflation kommt“, belegte 2010 erste und zweite Plätze auf den bekannten Wirtschaftsbuch-Bestsellerlisten.

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