Fundamentale Nachricht
14:18 Uhr, 11.06.2020

Das Ende des Ölzeitalters

Der Wandel hin zu erneuerbaren Energien bringt das gesamte fossile Brennstoffsystem ins Wanken, mit tiefgreifenden Folgen für die Finanzmärkte und die Geopolitik.

London/ Frankfurt (Godmode-Trader.de) - Großbritannien ist seit zwei Monaten kohlefrei - das erste Mal seit rund 200 Jahren. Diese Überschrift war am Mittwoch bei Online-Medien zu lesen. Erstmals sei Großbritannien seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert zwei Monate hintereinander ohne Strom aus Kohlekraftwerken ausgekommen, habe der britische Übertragungsnetzbetreiber National Grid berichtet. Vor zehn Jahren sollen Kohlekraftwerke noch bis zu 40 Prozent zur Energieversorgung Großbritanniens beigetragen haben

Und durch Corona nehme die Bedeutung der Energieform ‚Kohle’ weltweit ab. „In ganz Zentraleuropa wird die Kohle derzeit vom Markt gedrängt", sagte Frank Peter, stellvertretender Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, zu SPIEGEL Online. „Wir haben es hier mit einer sehr ungünstigen Marktlage für die Kohle zu tun, die durch Corona begünstigt wird, aber schon lange vor der Pandemie begonnen hat.“

Laut dem Klimathinktank Climate Action Tracker übersteigen selbst in Ländern mit einem enormen Energiebedarf wie China und Indien die Investitionen in Solarenergie und Windkraft den Bau neuer Kohlekraftwerke, wie das Online-Magazin weiter berichtet. Dennoch ist der Zubau mit CO2-intensiver Kohle in diesen Ländern extrem hoch, doch China baut neue Kohlekraftwerke nur, um alte, besonders dreckige Meiler schneller vom Netz zu nehmen, beobachten Energieexperten.

Was sich am Beispiel Großbritannien und seiner Kohle andeutet, könnte ein Wendepunkt darstellen. Der schleichende Niedergang fossiler Energien, aus Kosten- und Klimaschutzgründen. Das britische Thinktank Carbon Tracker geht noch einen Schritt weiter und spricht in seiner am Donnerstag veröffentlichten Analyse „Decline and Fall“ gar vom Ende der fossilen Brennstoffe. „Das fossile Brennstoffsystem wird von den Kräften billigerer erneuerbarer Technologien und aggressiverer Klimapolitik der Regierungen ausgebremst. In immer mehr Sektoren treiben diese die Spitzennachfrage an, was zu niedrigeren Preisen, weniger Gewinn und gestrandeten Vermögenswerten führt. Die COVID-19-Krise beschleunigt dies nun noch“, erklärt Kingsmill Bond, Analyst bei Carbon Tracker und einer der Autoren des Reports. Durch sie sei die Nachfrage eingebrochen.

Die Öllobby, nicht zuletzt die OPEC+ und die Internationale Energieagentur, erwarten, dass der Ölverbrauch bald schon wieder alte Niveaus erreicht. Dieser Annahme macht Carbon Tracker mit der Studie einen Strich durch die Rechnung. Erneuerbare Energien seien inzwischen in 85 Prozent der Märkte billiger als fossile; ein großer Teil der fossilen Reserven müssten im Boden bleiben, um die Klimaziele zu erreichen, und der Höhepunkt ihres Verbrauchs sei überschritten, die Corona-Krise der 'Point of no return'.

In ihrer Analyse stellen die Experten fest, dass die sinkende Nachfrage, die niedrigeren Preise und das steigende Investitionsrisiko den Wert der Öl-, Gas- und Kohlereserven um fast zwei Drittel schmälern, wodurch das Risiko und die Wahrscheinlichkeit von „stranded assets“ steige. Statt 39 Bio. Dollar, wie 2018 von der Weltbank erwartet, könne die Energiewirtschaft jetzt nur noch 14 Bio. US-Dollar an jährlichen Gewinnen erwarten, heißt es im Report. „Das dürfte Schockwellen durch die Weltwirtschaft schicken, weil Unternehmen, Finanzmärkte und Rohstoffländer getroffen werden“.

Der Niedergang der fossilen Brennstoffwirtschaft stellt aus Sicht von Carbon Tracker somit eine erhebliche Bedrohung für die globale Finanzstabilität dar. Der Bericht warnt Investoren davor, dass das System der fossilen Brennstoffe weitaus mehr Risiken birgt, als auf den Finanzmärkten konventionell eingepreist werden. „Die Investoren müssen die Diskontsätze erhöhen, die erwarteten Preise senken, die Endwerte kürzen und die Sanierungskosten berücksichtigen“.

Für die politischen Entscheidungsträger ergebe sich daraus die dringende Notwendigkeit, für eine geordnete Abwicklung der Vermögenswerte zu sorgen, anstatt zu versuchen, „das nicht nachhaltige System wieder aufzubauen“. „Weil die Branche so wichtig für die Weltwirtschaft ist, sei „jetzt die Zeit, einen geordneten Rückbau von fossilen Vermögenswerten zu planen“, betont Kingsmill Bond.

1 Kommentar

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen
  • mkronen
    mkronen

    Vergleiche "Peak Oil"

    20:30 Uhr, 11.06.2020

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

Mehr Experten