Kommentar
09:40 Uhr, 21.02.2012

Börsenexpressionismus

Die Stimmung scheint derzeit zu optimistisch, doch bedeutet dies nicht, dass die Kurse nun wieder auf lange Talfahrt gehen.

Sieht man sich derzeit gewisse Stimmungsindikatoren an, dann scheint es höchste Zeit zum Ausstieg zu sein. So ist der Anteil der vom US-Research Institut Consensus gemessenen optimistischen Anlageberater auf 75 Prozent herauf geschnellt, gegenüber weniger als 50 Prozent Ende vergangenen Jahres. Das gleiche Bild zeigt sich bei der Betrachtung des täglich ermittelten Hulbert Stock Newsletter Sentiment Index (HSNSI). Ende November lag dieser noch im Minusbereich, jetzt weist er bereits seit acht Tagen positive Werte von über 50 Prozent aus. In Deutschland sieht es nicht anders aus. Egal ob Put/Call-Ratio, Börsenbriefe oder kurzfristiger Sentix-Indikator, überall sind die Werte deutlich in Richtung optimistische Zone gelaufen. Abgerundet wird das Bild durch Zeitungsartikel, die den Anlegern erklären, wie sie jetzt vom Aktienaufschwung profitieren. Als der DAX im vergangenen Herbst bei gut 5.000 Punkten notierte, gab es solche Artikel natürlich nicht, obwohl das Aufwärtspotenzial zu diesem Zeitpunkt ja viel größer war.

Das altehrwürdige „Barrons“ in den USA rief auf ihrem Titel jüngst sogar die 15.000 Punkte als Zielmarke für den Dow Jones auf.

Bedeutet das nun, dass die nächste Baisse vor der Tür steht und dass es höchste Zeit zum Aussteigen ist? Nein! Denn es gibt momentan eine Menge Anlageprofis, die auf diese, ihrer Ansicht nach zu gute Stimmung verweisen, und die deshalb zwar grundsätzlich optimistisch sind, den Börsenzug aber verpasst haben, oder bereits wieder zu früh ausgestiegen sind. Sie sehnen nun einen Rückschlag herbei, der aber genau deshalb bisher nicht stattgefunden hat. Denn je häufiger ein Markt kleine Einbrüche immer wieder ausbügelt und dadurch den Eindruck vermittelt, dass es kein Abwärtspotenzial gibt, desto ungeduldiger werden die Anleger und steigen dann irgendwann schon bei kleinsten Rückschlägen ein. In dieser Phase sammeln sich dann immer mehr Haussepositionen an, während auf fallende Kurse setzende Anleger das Handtuch werfen und ihre Short-Positionen auflösen. Quasi unbemerkt wächst so das Verkaufspotenzial an. Festzustellen ist dies vor allem, wenn der Optimismus im Markt steigt, ohne dass die Kurse noch nennenswert nach oben klettern.
Irgendwann löst diese Hängepartie bei den kurzfristig agierenden Anlegern erste Positionsglattstellungen aus, die dann weitere Stopp-Loss Verkäufe nach sich ziehen und eine Korrektur einleiten. Diese fällt dann in der Regel größer aus, als von den bis dahin unterinvestierten Anlegern erhofft und erwartet, so dass diese ihre geplanten Käufe teilweise doch nicht tätigen, weil der bis vor wenigen Tagen noch für sicher gehaltene Börsenaufschwung in Frage gestellt wird. Dies ist dann der ideale Moment zum Einstieg, auf den ich aktuell in Bezug auf den deutschen Aktienmarkt warten würde, egal ob er jetzt bereits kommt, oder doch erst auf etwas höherem Niveau stattfindet.

Stimmungsindikatoren sind nicht gleich Stimmungsindikatoren. Sie zu lesen, ist wie die Interpretation eines expressionistischen Bildes. Mag es derzeit in einigen Indikatoren auch zu hohem Optimismus geben, erfasst werden hier zumeist die kurzfristiger agierenden Anleger. Die langfristigen Investoren dürften jedoch noch unterinvestiert sein und auf Deutschland bezogen, dürfte dies vor allem auf die Ausländer zutreffen, die aus Angst vor einem Euro-Crash deutsche Aktien im vergangenen Jahr ausverkauft haben. Doch der Euro wird, egal ob Griechenland drin bleibt oder nicht, zumindest kurzfristig nicht scheitern. Die Konjunkturperspektiven sind zudem besser als erwartet und in Ermangelung von Anlagealternativen und historischen günstigen Aktien-Bewertungen, dürfte diese Anlegergruppe weiter auf der Käuferseite stehen und die Kurse längerfristig nach oben befördern.

Mehr zu und von Stefan Riße unter www.rissesblog.de.
Stefan Riße, ist Portfolio Manager bei der HPM Hanseatischen Portfoliomanagement GmbH in Hamburg. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender N-TV. Sein aktuelles Buch „Die Inflation kommt“, belegte 2010 erste und zweite Plätze auf den bekannten Wirtschaftsbuch-Bestsellerlisten.

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