Kommentar
07:31 Uhr, 17.07.2016

Wieso niedrige Inflation gut ist

Niedrige Inflation ist besser als ihr Ruf. Die aktuell wieder aufkeimende Angst vor zu niedriger Inflation ist maßlos übertrieben.

Eigentlich kann man die ewige Leier von zu niedriger Inflation nicht mehr hören. Es ist zu einem Mantra geworden, dessen Sinn kaum noch jemand hinterfragt. Das soll nicht heißen, dass Inflation kein wichtiges Thema ist. Ganz im Gegenteil sogar, Inflation ist eines der wichtigsten Themen überhaupt.

Die Inflation liegt unter ihrem langjährigen Durchschnitt. Daran gibt es wenig zu rütteln. Notenbanken, Währungsfonds und Ökonomen sehen darin eine Bedrohung für die wirtschaftliche Stabilität und tun alles, um die Inflation wieder Richtung 2 % zu drücken. Das alles ist jedoch etwas zu kurz gegriffen.

Hohe oder niedrige Inflation fällt nicht vom Himmel. Die Teuerungsrate ist Ausdruck vom Gleichgewicht oder Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage, nicht mehr und nicht weniger. Ist die Inflation niedrig, dann gibt es entweder zu wenig Nachfrage bzw. zu viel Angebot oder von beidem ein bisschen. Letzteres ist derzeit der Fall.

Nach der Finanzkrise wurden durch Konjunkturprogramme überall auf der Welt, insbesondere aber in Asien (China), Produktionskapazitäten aufgebaut. Gleichzeitig vollführten Rohstoffpreise zwischen 2009 und 2011 einen großen Rebound, der zu einer Fortsetzung des Investitionsexzesses in vielen rohstoffexportierenden Ländern führte. Kurz gesagt: nach der Krise wurde viel in die Ausweitung von Kapazitäten investiert, die nun keiner mehr braucht.

Die Nachfrage konnte mit dem Angebot nicht mithalten. In vielen Teilen der Welt sank die Nachfrage sogar. Man denke nur an den Großteil der Euro-Krisenstaaten, in denen die Arbeitslosigkeit stieg und die Löhne fielen.

Die aktuelle Situation ist ein Symptom. Die Notenpresse kann die Symptome etwas lindern, bekämpft aber nicht die Ursachen. Die Ursachen sind die erwähnten Nachfrage- und Angebotsprobleme. Die Nachfrageseite wird sich so lange nicht erholen, solange die Überschuldung nicht abgebaut ist. Das kann dauern. Ultraniedrige Zinsen lassen einen Schuldenabbau zu, doch es ist ein Prozess, der nicht innerhalb weniger Jahre abgeschlossen ist.

Höhere Inflationsraten können den Schuldenabbau beschleunigen, zumindest in der Theorie. Man stelle sich z.B. einen Staat mit einer Verschuldung von 100 % der Wirtschaftsleistung vor, dem es gelingt, im kommenden Jahr keine neuen Schulden aufzunehmen. Die Wirtschaft wächst real mit 2 % und die Inflation beträgt 3 %. Nominal wächst die Wirtschaft um 5 %, z.B. von 100 Mrd. auf 105 Mrd. Die Verschuldung sinkt in diesem Fall auf gut 95 % der Wirtschaftsleistung. Beträgt die Inflation nun 0 % und bleibt alles andere gleich, dann sinkt die Verschuldung auf lediglich 98 %.

So gut Inflation für den relativen Schuldenabbau auch ist, es gibt immer einen Trade-off. Inflation bleibt ein Nachfrage- bzw. Angebotsphänomen. Soll die Inflation vom heutigen Niveau aus steigen, dann muss irgendwo zusätzliche Nachfrage herkommen. Da weder Bürgen noch Staat die Mittel dafür haben, geht dies nur über zusätzliche Schulden. Man kann also die Inflation nach oben drücken, jedoch nur durch zusätzliche Schulden. Mit der Entschuldung wird das dann nichts und die ursächlichen Probleme bleiben weiterhin bestehen.

Stellt man sich nun vor, dass den Notenbanken das Wunder gelingt und die Inflation steigt (gleichzeitig steigen dann auch die Schulden), dann ist das für sie ein kurzfristiger Erfolg, für den Durchschnittsbürger und viele Unternehmen jedoch ein langfristiger Horror. Da zusätzliche Nachfrage derzeit nur über zusätzliche Schulden erzeugt werden kann bleibt praktisch alles beim Alten. Der Schuldenabbau geht nicht voran, Überkapazitäten bleiben bestehen und die Nachfrage kommt nicht vom Konsumenten, sondern vom Staat.

Dennoch, die Inflation läge endlich bei 2 %! Was dann? Notenbanken müssten die Zinsen wieder anheben. Tun sie es nicht, dann verlieren sie schnell ihre Glaubwürdigkeit und die Inflation kann rasch aus dem Ruder laufen. Das schadet vor allem dem Durchschnittsbürger, der Reallohnverluste hinnehmen muss während das Ersparte ohne Zinsen immer kleiner wird.

Hebt die Notenbank die Zinsen an, sitzen Staaten gleichzeitig jedoch auf noch größeren Schuldenbergen, wird die Sache nicht besser. Nachfrage und Inflation durch höhere Schulden zu erzeugen verschiebt das Problem zeitlich nur. Die Ursachen lassen sich so nicht bekämpfen. Das braucht sehr viel mehr Zeit.

Die Notenbanken helfen der Wirtschaft eine schwere Depression zu verhindern. Eine wirtschaftliche Depression ist eine Alternative, um das Problem zu lösen, da das Angebot rapide sinkt. Das will verständlicherweise niemand. Die Idee, das Problem über Inflation lösen zu können, ist eine Illusion. Das einzig realistische ist das, was wir derzeit sehen. Eine langsame Umverteilung von Vermögen über niedrige Zinsen, eine zähe Entschuldung und niedriges Wachstum.

Niedrige Inflation lässt eine geordnete Gesundung der Wirtschaft zu. Alles andere, ob fallende oder zu stark steigende Preise, sorgt für neue Probleme. Je schneller es zu Preisänderungen kommt und je größer diese ausfallen, desto größer ist auch der Anpassungsbedarf in der Wirtschaft. Wie gut das funktioniert hat konnte man in den 70er Jahren gut sehen (es hat nicht funktioniert). Größere Preisänderungen sind wie ein Schock für die Wirtschaft. Das Beste, sei es für die Gesundung oder die generelle Weiterentwicklung, ist Stabilität des Preisniveaus bzw. eine minimale Teuerungsrate.

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14 Kommentare

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    3hrx

    "Niedrige Inflation lässt eine geordnete Gesundung der Wirtschaft zu." Das wird leider nicht funktionieren. Denn jetzt werden entweder eine Bank nach der anderen pleite gehen, oder eben Versicherer. Und wer wird es bezahlen? Genau, der Staat/Steuerzahlen -> also noch mehr Schulden. Das System ist ein Ende. Das ziel jeder neuen Regierung sollte es sein das ganze System in einer möglichst friedvollen und zivilisierten Weiße abzuwickeln.

    11:05 Uhr, 18.07. 2016
  • Unbedingt
    Unbedingt

    Soweit so gut, da ist außer Acht gelassen, dass unheimlich viele Leute unheimlich viel Kapital auf der hohen Kante liegen haben. Die brauchen keine Kredite. Das entkoppelt die regulierenden Kräfte des Marktes voneinander. Man muß die Banken irgendwie vom Tropf des Kreditwesens erlösen. Das heißt meines Erachtens, Anzahl der Beschäftigten und Gehälter halbieren und vollständig über Gebühren finanzieren.

    Ich frage mich die ganze Zeit, was es jetzt bewirken würde, wenn man die letzte Mehrwertsteuer-Erhöhung rückgängig machen würde? Der deutsche Fiskus kann ja derzeit auf diese 20 Mr/Jahr locker verzichten.

    09:37 Uhr, 18.07. 2016
  • Löwe30
    Löwe30

    Wenn es zu einem Rückgang der Nachfrage bei bestimmten Gütern kommt, so ist das die Folge davon, dass Unternehmen die Bedürfnisse der Kunden falsch eingeschätzt haben. Wenn nun die Politik über deficit spending oder eine Zentralbank über die Senkung der Zinsen verhindert, dass es zu einer Marktbereinigung kommt, so werden weiterhin Güter produziert, die nicht dem Bedarf der Konsumenten entsprechen. Es werden unnötig Ressourcen verschwendet. Eine Blase wird erzeugt, die Platzen muss.

    Ein Beisiel, um zu verdeutlichen, wie irrsinnig das Eingreifen in den Markt durch die Politik und EZB ist:

    Die Nachfrage nach Wohnraum sinkt, weil genügend Wohnraum verfügbar ist. Es kommt zu Entlassungen bei Bauarbeitern. Um dem entgegen zu wirken senkt die EZB die Zinsen und die Politik subventioniert Bauunternehmen. Die Folge ist, es wird weiterhin mehr gebaut als nachgefragt wird. Irgendwann wundert man sich dann, dass trotzdem nicht weiter gebaut wird, kein noch so billiges Geld der Zentralbank mehr nachgefragt wird, man hat doch alles getan, um einen Rückgang zu verhindern. Nur hat man halt nicht bedacht, dass all die Immobilien keine Nachfrage mehr hatten, weil es genug davon gab und warum sollen die Unternehmen Wohnungen bauen, die sie nicht los werden?. Hätte man der "unsichtbaren Hand" es überlassen, wäre weniger gebaut worden und das Geld wäre in andere Bereiche geflossen, wo es Nachfrage gab.

    19:47 Uhr, 17.07. 2016
  • Löwe30
    Löwe30

    Im staatlichen, sozialistischen Geldsystem wächst die Geldmenge exponentiell, weil es in diesem System gar nicht anders möglich ist. Daher können die Zentralbanken den Zusammenbruch des Systems auch nicht verhindern.

    Nur weil der Staat sich die Macht über das Geld verschafft hat, war es ihm möglich, enorme Geldsummen in die Kriege, das Militär, den Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparates und der Sozialprogramme zu stecken. Der Staat hat immer mehr die Lenkung der gesamten Wirtschaft übernommen. Wenn der Staat die Lenkung der Wirtschaft übernimmt, so nennt man das bekanntlich Sozialismus. Und wie der funktioniert, dass kann man gerade wieder einmal in Venezuela erleben. Wenn wir nicht bald umkehren, wird es uns nicht anders ergehen als den Menschen in Venezuela. Das mag uns heute nach als reiner Irrsinn vorkommen, aber wie irrsinnig ist es denn, wenn Staatsanleihen negative Rendite haben?

    13:12 Uhr, 16.07. 2016
    2 Antworten anzeigen
  • Löwe30
    Löwe30

    "Das Beste, sei es für die Gesundung oder die generelle Weiterentwicklung, ist Stabilität des Preisniveaus bzw. eine minimale Teuerungsrate."

    Das Beste wäre es, den Geldsozialismus zu beenden, den die Zentralbanken betreiben. Das erfordert die Abschaffung der Zentralbanken und der betrügerischen Teilreservehaltung der Geschäftsbanken und die Zulassung von Marktgeld, also Geld, welches sich als das gängigste Gut erweist. Dann könnten die Preise mit der Steigerung der Produktivität fallen, was den Wohlstand aller hebt und nicht nur den Wohlstand der bereits Wohlhabenden, die über genügend Sachkapital verfügen.Fallende Preise bei bestehenden Produkten ermöglichen es nämlich erst, dass sich Menschen mehr und neue Produkte leisten können, womit nicht nur ihr Wohlstand, sondern auch ihre Lebensqualität steigt. Dazu benötigt man keine steigende Geldmenge. Das Gut Geld wird dann lediglich im Verhältnis zu anderen Gütern mehr wert.

    12:51 Uhr, 16.07. 2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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