Kommentar
07:45 Uhr, 07.06.2016

Was plant dieser Mann?

Das Ergebnis der EZB-Sitzung der vergangenen Woche war äußerst unspektakulär. Bedenkt man jedoch, was alles nicht gesagt wurde, dann war das Ergebnis doch aufschlussreich. Was hat Mario Draghi vor?

Niemand hatte für den geldpolitischen Entscheid große Neuigkeiten erwartet. Im Zentrum stand daher auch nicht so sehr die Geldpolitik, sondern die Vorhersagen der EZB. Einmal pro Quartal veröffentlicht die EZB ihren Wirtschaftsausblick. Dabei wagt sie Prognosen zum Wirtschaftswachstum, der Inflation und auch dem EUR/USD Wechselkursverhältnis.

Außer diesen Prognosen gab es wenig zu diskutieren. Die im März beschlossenen Maßnahmen müssen erst einmal greifen und dann beurteilt werden. Genauer gesagt müssen die Maßnahmen überhaupt erst einmal umgesetzt werden. Von der Ausweitung der bestehenden Anleihenkaufprogramme (CBPP - Covered Bond Purchase Program, ABSPP – ABS Purchase Program und PSPP – Public Sector Purchase Program) muss das vierte Programm erst noch beginnen. Das CSPP (Corporate Sector Purchase Program – Unternehmensanleihenkaufprogramm) wird in diesem Monat lanciert. Ebenso ist noch das Langfristrefinanzierungsgeschäft ausständig, bei dem sich Banken im Extremfall zu negativen Zinsen Geld bei der EZB leihen können.

Die EZB hat inzwischen eine gewisse Tradition, Maßnahmenpakete zwei bis drei Monate lang anzukündigen, sie dann zu beschließen und sich danach 3 Monate Zeit mit der Umsetzung zu lassen. So vergehen zwischen größeren Ankündigungen mindestens 6 bis 9 Monate. Schneller geht es bei der derzeitigen Aufstellung anscheinend nicht.

So war nicht nur der Entscheid der letzten Woche unspektakulär. Im Sommer dürfte es noch uninteressanter werden, denn bei der nächsten Sitzung gibt es nicht einmal neue Wirtschaftsprognosen. Die Prognosen geben Aufschluss darüber, was die EZB denkt und ob sie weiteren Handlungsbedarf sieht.

Die aktuellsten Prognosen zum Wirtschaftswachstum und zur Inflation sind in der ersten Abbildung zu sehen. Die EZB geht von einem stabilen Wachstum und einem sehr graduellen Anstieg der Inflation aus.

Die Prognosen unterscheiden sich von denen im März veröffentlichten kaum. Die Märzprognose ist in Abbildung 2 zu sehen. Man muss schon sehr genau hinschauen, um einen Unterschied zu erkennen. Genau darin lag die Überraschung.


Zur Zeit der Märzprognose notierte der Ölpreis noch deutlich tiefer. Es war damals auch nicht absehbar, dass der Ölpreis weiter steigen und nicht sofort wieder fallen würde. Da der Ölpreis allerdings weiter stieg, hatten viele eine klarere Anpassung der Inflationsprognose erwartet.

Die erwartete Inflationsrate für 2016 wurde von 0,1 % auf „sensationelle“ 0,2 % nach oben angepasst. Nach einem Ölpreisanstieg von fast 100 % ist das eine sehr konservative Betrachtung, zumal auch die Prognosen für 2017 und 2018 vollkommen unberührt blieben.
Mario Draghi wies in der Pressekonferenz mehrfach auf das Thema Inflation hin. Er und viele andere Direktoriumsmitglieder scheinen zu dem Schluss gekommen zu sein, dass die Inflation nicht vom Fleck kommen wird. Wenn die Prognose nun aber de facto konstant bleibt, der Ölpreis aber ansteigt, dann müssen andere Preistreiber einen negativen Einfluss haben.

Der gestiegene Ölpreis sollte die Inflation bis zu 0,5 Prozentpunkte anheben können. Das ist in der Prognose für 2016 nicht reflektiert, auch nicht in der Prognose für 2017 und 2018. Ein anderer Faktor muss den Preisauftrieb bei Rohstoffen also kompensieren und die Inflation wieder drücken. Welcher Faktor das genau ist wurde nicht erklärt. Man kann aber erahnen, was die EZB denkt.

Draghi sprach mehrfach die Lohnentwicklung an. Da die Löhne mit Ausnahme weniger Länder nicht steigen, sondern teils weiter kräftig fallen, wird die Lohnentwicklung in naher Zukunft weiterhin einen deflationären Druck ausüben. Jeglicher Preisanstieg, der von Rohstoffen kommen könnte, wird so wieder absorbiert.

Die Erholung der Eurozone steht und fällt mit dem Arbeitsmarkt. Entschuldung kann nur vorangehen, wenn mehr Menschen arbeiten und die Löhne steigen. Die EZB sieht diese Entwicklung aktuell noch nicht. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Inflationserwartung nicht nur 2016, sondern vermutlich auch 2017 und 2018 noch einmal nach unten korrigiert werden muss. Das könnte im September geschehen.

Gibt es eine Revision nach unten, dann ist klar: Die Maßnahmen der EZB reichen noch nicht aus, um die Deflation zu überwinden. Die EZB dürfte daher mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Hinweis auf die Inflation das QE-Programm im September verlängern und möglicherweise erste Andeutungen auf neue Maßnahmen machen, die dann nach dem bisher geltenden Zeitplan frühestens Ende 2016 offiziell beschlossen und bis März 2017 umgesetzt sein werden.

Persönlich gehe ich stark davon aus, dass die EZB zumindest ihr QE-Programm verlängern wird. Die Inflation müsste schon kräftig ansteigen, um das zu verhindern.

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3 Kommentare

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  • plungeboy
    plungeboy

    Muss man seinen Sohn Giacomo fragen - der ist Zinshändler bei Morgan Stanley und ist in der Vergangenheit bereits durch verblüffend gute Zinsvoraussagen aufgefallen.

    12:15 Uhr, 07.06.2016
  • Bigdogg
    Bigdogg

    Ja, tolle Analyse, schade nur das die EZB-Prognosen nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben sind. Somit sind auch die Schlußfolgerungen nur ein Ratespiel basierend auf den "Rateergebnissen" völlig ahnungsloser Zeitgenossen

    10:19 Uhr, 07.06.2016
  • Institutional-Sales
    Institutional-Sales

    ......gute Analyse!!! Chapeau!

    09:50 Uhr, 07.06.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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