Kommentar
13:50 Uhr, 11.07.2022

Unterschätzen Anleger die Risiken in der Eurozone?

Der Wechselkurs des Euro sagt eigentlich alles. Selbst zur Zeit der Finanz- und Schuldenkrise war der Euro nicht so schwach wie heute.

Erwähnte Instrumente

  • EUR/USD
    ISIN: EU0009652759Kopiert
    Kursstand: 1,00960 $ (FOREX) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • EUR/USD - WKN: 965275 - ISIN: EU0009652759 - Kurs: 1,00960 $ (FOREX)

Währungskurse bringen verschiedene Umstände zum Ausdruck. Zuerst sind sie ein Abbild von Zinsdifferenzen. Noch genauer gesagt, sie sind ein Spiegelbild der Realzinsdifferenz zwischen zwei Währungsräumen. Da die EZB im Gegensatz zu vielen anderen Notenbanken langsamer agiert, hat sich die Zinsdifferenz zugunsten anderer Währungen verschoben. Die Zinsdifferenz ist nur ein Aspekt, der den Wechselkurs bestimmt. Andere Faktoren spielen eine ebenso große Rolle. Dazu gehört unter anderem die politische Stabilität und die Finanzstabilität. Politisch ist die Eurozone einigermaßen stabil. Dafür gibt es andere Probleme. Diese zeigen sich etwa anhand von Renditedifferenzen bei Staatsanleihen. Die unterschiedlichen Aspekte lassen sich in Stressindizes ausdrücken. Der Gesamtstressindex der EZB befindet sich derzeit auf ähnlichem Niveau wie im März 2020, also mitten im Coronacrash (Grafik 1). Die jüngsten Werte sind von Anfang Juli und zeigen eine leichte Entspannung. Seither sind unter anderem Staatsanleiherenditen wieder gestiegen. Die Erholung dürfte mit der nächsten Veröffentlichung schon wieder wettgemacht sein.


Der Gesamtindex bildet Stress im Anleihe-, Aktien- und Währungsmarkt sowie der Stabilität des Finanzsektors ab. Mit Blick auf den Stressindex für Staatsanleihen wird klar, wie ernst die Lage ist (Grafik 2). Der Index erreicht nicht nur wieder das Niveau von März 2020, sondern auch Werte, die an die Panik während der Finanz- und Eurokrise heranreichen.

Der Stress, der vom Währungsmarkt ausgeht, ist ähnlich groß wie bei Anleihen. Wenn bestimmte Indexkomponenten deutlich schlimmer ausfallen als sonst, der Gesamtindex aber noch kein Panikniveau erreicht hat, muss es auch Komponenten geben, die weniger Stress anzeigen. Zu diesen Komponenten gehört der Bankenindex. Dieser misst das Risiko, dass mehrere Großbanken gleichzeitig bankrott gehen (Grafik 3).

Das Risiko ist gestiegen, aber immer noch deutlich geringer als zu Pandemiebeginn oder sogar Ende 2018. Die Panikniveaus der Euroschuldenkrise sind weit entfernt. Ob dies die Realität widerspiegelt, sei dahingestellt. Eine Staatsschuldenkrise führt unweigerlich zu einer Bankenkrise. Banken halten viele Staatsanleihen.

Aktien und Stressindex verlaufen parallel. Der Aktienmarkt scheint das Risiko derzeit akkurat zu beurteilen. Das kann sich jedoch schnell ändern. Währungs- und Anleihemarkt stehen unter enormen Druck. Ohne Intervention der EZB kann die Lage jederzeit eskalieren. Zwar plant die EZB ein Instrument einzuführen, welches den Anleihemarkt in Schach halten soll, doch politische Einigkeit besteht derzeit nicht.

Die Sache drängt jedoch ungemein. Selbst in Erwartung eines Instruments ist der Stress bereits groß. Man will sich gar nicht vorstellen, was geschieht, wenn die EZB bei ihrer nächsten Sitzung kein Instrument bekanntgibt. Die Risiken in der Eurozone sind derzeit groß und der Markt steht auf einer Falltür. Kann die EZB nicht bald liefern, geht die Falltür auf.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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