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09:00 Uhr, 21.08.2008

Stagflationsangst trübt die Börsenaussichten

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Erst Mitte Juli hat der Internationale Währungsfonds (IWF) das Wachstum der Weltwirtschaft in diesem Jahr auf 4,1 Prozent geschätzt. Und für 2009 lautet die Prognose immerhin noch auf 3,9 Prozent. Für sich alleine betrachtet klingt das nicht schlecht. Zumal beide Vorhersagen über den bisherigen Schätzungen liegen und die Weltwirtschaft im Vorjahr mit einem Rekordtempo von gut fünf Prozent gewachsen ist.

Trotzdem ist offensichtlich etwas faul im weltweiten Finanzgebilde. Das etwas nicht stimmt, lässt sich einfach beim Blick auf die Weltbörsen erkennen. Denn deren Performance lässt gelinde gesagt zu wünschen übrig. So hat der MSCI Weltindex, der als Vergleichsmaßstab für die Weltbörsen gilt, in den vergangenen zwölf Monaten phasneweise mehr als 20 Prozent verloren. Damit kann offiziell von einem Bärenmarkt gesprochen werden. Das ist dann der Fall, wenn ein Index um mehr als 20 Prozent gefallen ist.

Die schon schwache Performance des MSCI Weltindex ist aber nur ein Durchschnittswert. In vielen Ländern fällt die Bilanz noch viel düsterer aus. Das Ende der Performance-Tabelle zieren unter anderem etliche osteuropäische Börsen. Beispielsweise mussten die Leitindizes in Serbien und in Rumänien im Zwölfmonatsvergleich Abschläge von rund 46 Prozent hinnehmen. Am besten hat in der Region Osteuropa in den vergangenen zwölf Monaten noch Tschechien abgeschnitten. Aber selbst der PX-Index weist ein kleines Minus aus.

Und das Schlimme an der ganzen Sache ist: In den ersten sieben Monaten diesen Jahres hat sich die Abwärtsdynamik sogar eher noch verstärkt. So haben der bulgarische und der ukrainische Aktienmarkt seit dem Jahreswechsel jeweils deutlich mehr als 40 Prozent eingebüßt. Selbst die als wachstumsstark gepriesenen Zukunftsmärkte in China und Indien sind 2008 regelrecht eingebrochen.

Kreditkrise und Inflation drücken auf die Stimmung

Die ernüchternde Bilanz der meisten Börsen lässt sich trotz der oft noch ansehnlichen Wachstumsraten fundamental erklären. Angefangen hat der Stimmungswandel mit dem Ausbruch der Immobilien- und Kreditkrise in Amerika. Wegen der damit verbundenen Probleme haben Finanzinstitute weltweit seit Anfang 2007 Abschreibungen und Verluste im Ausmaß von etwa 500 Mrd. Dollar verbucht. Wie schlimm die Lage in Übersee ist, zeigt sich auch am kürzlich erfolgten Zusammenbruch der Indymac-Bank. Handelte es sich dabei doch um die zweitgrößte Bankenpleite in der amerikanischen Geschichte. Möglicherweise war das aber nur der Anfang. Renommierte Experten wie der ehemalige amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan befürchten jedenfalls mittelfristig noch etliche weitere Bankpleiten. Und die beiden größten amerikanischen Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac wackeln bekanntlich bereits bedenklich.

Als ob das nicht schon genug der Schwierigkeiten wäre, sieht sich die Weltwirtschaft erstmals seit vielen Jahren mit einem Inflationsproblem konfrontiert. Primär steigende Energie- und Rohstoffpreise haben für einen deutlichen Anstieg der Teuerungsraten gesorgt. Schwellenländer sind dabei von dieser Entwicklung tendenziell am stärksten betroffen, weil Energie und Lebensmittel im Güterkorb einen vergleichsweise hohen Anteil haben. Hinzu kommen Engpässe auf den lokalen Arbeitsmärkten, stark steigende Löhne, eine Kreditexplosion, Preiskonvergenz in Richtung Industriestaaten, lange zu niedrige Leitzinsen und eine zu lockere Fiskalpolitik. Wie stark der daraus resultierende Preisdruck ist, zeigte sich am eindrucksvollsten in der Ukraine und in Vietnam. In der Spitze betrugen dort die Inflationsraten mehr als 30 Prozent.

Nachdem vor nicht allzu langer Zeit an den Finanzmärkten die Deflationsangst, also fallenden Preisen umging, grassieren neuerdings wegen der geschilderten Probleme Stagflationsbefürchtungen. Für die Börsianer ist dieses Szenario deswegen ein Horror, weil in den von Stagflation geprägten 70er-Jahren kein Geld an den Aktienmärkten zu verdienen war. Wie schädlich schon alleine steigende Preise für die Börsen sind, geht auch aus Studien hervor. Nach Berechnungen von Sandro Rosa, Analyst beim Schweizer Bankhaus Clariden Leu, ist der amerikanische S&P 500 Index bei steigender Inflation seit 1960 durchschnittlich pro Quartal um knapp ein Prozent gefallen. Bei fallenden Inflationsraten legte der S&P 500 Index im Quartal dagegen im Schnitt um 3,5 Prozent zu. „Steigende Inflation ist Gift für die Aktienmärkte“, lautet deshalb Rosas Schlussfolgerung.

Das Ergebnis der Studie lässt sich auch leicht argumentativ unterlegen. Denn zum einen verursachen steigende Preise Druck auf die Gewinnmargen der Unternehmen. Zum anderen wird die damit verbundene kalkulatorische Unsicherheit an der Börse mit niedrigeren Bewertungen bestraft. Vor allem aber müssen die Zentralbanken zur Bekämpfung der Inflation die Leitzinsen erhöhen. Abgesehen von Amerika wurden zuletzt in vielen Ländern bekanntlich die Zinsen angehoben. Und steigende Zinsen sind erfahrungsgemäß kein guter Nährboden für steigende Aktienkurse. Deshalb verwundert es nicht, dass ausgerechnet die Börsen jener Länder mit den höchsten Inflationsraten am stärksten unter die Räder gekommen sind.

Optisch niedrige Bewertungen

Auffällig beim Blick auf die Performance-Tabelle ist auch, dass zu den Verliererbörsen oft Staaten mit größeren volkswirtschaftlichen Ungleichgewichten gehören. Zu den nicht mehr länger tolerierten Schwachstellen zählen vor allem zu hohe Defizite in der Leistungs- und Haushaltsbilanz. Während so etwas in optimistischen Zeiten eher noch ignoriert wird, kann es in Zeiten einer steigenden Risikoaversion zu einem echten Bumerang werden. Und leider hat Osteuropa nicht nur in Sachen Inflation, sondern auch bei den Themen Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten in negativer Hinsicht einiges zu bieten.

Optimisten glauben dennoch, dass sich nicht nur an den Weltbörsen, sondern auch an den osteuropäischen Aktienmärkten die Lage im zweiten Halbjahr 2008 stabilisieren und 2009 sogar aufhellen wird. Diese These basiert dabei auf der Annahme, wonach sowohl Inflationsraten als auch Zinsanhebungen im dritten Quartal ihren Höhepunkt erreichen dürften. Und der zuletzt gefallene Ölpreis sowie die voraussichtlich guten Ernten nähren diese Hoffnung. Einen Pluspunkt stellen zudem die fast überall in Europa deutlich gefallenen Bewertungen dar. Auf Basis der für 2009 erwarteten Gewinne weisen etliche Ostbörsen nur noch Kurs-Gewinn-Verhältnis von um die zehn auf. Nicht zuletzt das veranlasst Stefan Maxian, Head of Osteuropa Research der Raiffeisen Centrobank AG, zu folgender Prognose. „Nach einem schwachen dritten Quartalsbeginn dürfte sich in den kommenden Monaten eine leichte Kurserholung abzeichnen, auch auf Grund der relativ günstigen Bewertung der osteuropäischen Aktienmärkte.“

Pessimisten werden dazu allerdings einwenden, dass sich erst zeigen muss, ob sich die erwarteten deutlichen Gewinnsteigerungen einstellen werden. Für weiter steigende Ergebnisse bei den osteuropäischen Unternehmen spricht zumindest die bisher noch relativ robuste Entwicklung der Konjunktur in der Region. „Von einer Wirtschaftskrise ist weit und breit keine Spur", glaubt Volkswirt Josef Pöschl vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Die Ökonomen bei der Bank Austria sehen das ähnlich. Osteuropa-Chefvolkswirtin Debora Revoltella bleibt für den Zeitraum 2008-2010 bei ihrer Prognose eines durchschnittlichen Wachstums von jährlich 4,6 Prozent in Mitteleuropa, 5,1 Prozent in Südosteuropa und im Baltikum sowie von sechs Prozent in "Broader Europe" (Kasachstan, Russland, Türkei und Ukraine).

Noch ist keine schnelle Trendwende in Sicht

Behalten die Experten Recht, dürfte die Region Zentral- und Osteuropa die Turbulenzen mit einem langsameren, aber immer noch stabilen Wirtschaftswachstum überstehen. Wie die jüngsten negativen Erfahrungen mit den Börsen im Baltikum und in Südosteuropa zeigen, sind hohe Wachstumsraten aber keine Garantie für steigende Aktienkurse. Speziell dann nicht, wenn ein Aufschwung Überhitzungserscheinungen aufweist, wie das in diesen Ländern der Fall ist.

Davon abgesehen wird sich allgemein erst noch herausstellen müssen, wie die Weltwirtschaft die Kreditkrise übersteht. Angesehene bankenunabhängige Fachleute stellen sich bereits auf einige dürre Jahre ein. Von der viel beschworenen Abkopplungsthese, nach der die Weltwirtschaft dieses Mal keinen Schnupfen bekommt, wenn Amerika hustet, will inzwischen kaum noch jemand etwas wissen. Speziell in Westeuropa scheint es derzeit sogar eher so, als ob die Wirtschaft mehr an Dynamik verlieren sollte als in Amerika. Zumindest deuten darauf die zuletzt eingebrochenen konjunkturellen Frühindikatoren hin.

Sollte aber der Konjunkturmotor in Westeuropa stärker ins Stottern kommen, dann dürfte das auch bremsende Effekte in Osteuropa zeitigen. Schließlich gehen 30 Prozent der westeuropäischen Exporte nach Osteuropa und umgedreht verkauft Osteuropa 50 bis 60 Prozent seiner Exporte nach Westeuropa, wie Nick Nelson vorrechnet. Auch wegen dieser Ausgangslage unterteilt der UBS-Stratege die Region in zwei Lager: „Die erste Gruppe mit Tschechien, Ungarn, Polen und der Slowakei steht ohne große externe Ungleichgewichte relativ ausbalanciert da. Die zweite Gruppe mit dem Baltikum sowie Bulgarien und Rumänien präsentiert sich mit großen volkswirtschaftlichen Ungleichgewichten dagegen viel schlechter.“

Gründe für eine anhaltend vorsichtige Grundhaltung gibt es somit trotz erster Hoffnungsschimmer noch immer. Gegen ein plötzliches Durchstarten der Kurse nach oben an den Börsen sprechen auch die Charts mit in der Regel intakten Abwärtstrends. Außerdem sind laut Schätzungen von den im Rahmen der Kreditkrise erwarteten Abschreibungen und Verluste höchstens erst die Hälfte ausgewiesen worden. Das birgt die Gefahr für weitere Hiobsbotschaften im zweiten Halbjahr und eine damit verbundene hohe Risikoaversion. Wer dennoch unbedingt investieren will, sollte sich Investments im Agrarbereich und als Sicherheitshort Gold anschauen. Anleger mit einem langen Atem können zudem anfangen, bei Aktien mit einstelligen Kurs-Gewinn-Verhältnissen und Kurs-Buchwerten von unter eins auf Schnäppchenjagd zu gehen.

Quelle: Ostbörsen-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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