Kommentar
19:16 Uhr, 16.01.2015

Schweizer Sargnagel...

Die neue Freiheit des Schweizer Frankens hat Konsequenzen, die weit über den heutigen Tag hinausreichen...

Der 15. Januar 2015 wird aus mehreren Gründen in die Geschichtsbücher eingehen. Dabei hat die Entscheidung der Schweizer Nationalbank (SNB), den Franken nicht mehr länger an den Euro zu koppeln, mindestens drei nachdenkenswerte Aspekte.

Zunächst ist da die rein ökonomische Seite:

Ich weiß gar nicht, warum sich jetzt alle so aufregen. Wenn die Schweizer den Irrsinn nicht mehr länger mitmachen wollen, ihren traditionell starken Franken an eine offensichtliche Weichwährung wie den Euro zu binden, dann kann man ihnen zu dieser weitblickenden Entscheidung nur gratulieren.

Oder soll die Schweizer Nationalbank etwa tatenlos zusehen, wie das Land der Eidgenossen mit dieser währungspolitischen Missgeburt in die Tiefe gerissen wird? So wie Griechenland und Portugal, wie Spanien und Italien und demnächst vielleicht auch Frankreich? Oder gar Deutschland?! Dann doch lieber ein Ende mit Schrecken.

Völlig klar ist nämlich eines: Sobald die Europäische Zentralbank damit beginnt, Staatsanleihen der Euroländer aufzukaufen, wird der Euro noch sehr viel stärker abwerten. Ein kleines Land wie die Schweiz würde sich völlig verheben, wenn es da nicht rechtzeitig die Reißleine zieht.

Hinzu kommt: Nach der Schrecksekunde vom Donnerstag werden die Schweizer vermutlich schon bald feststellen, dass eine starke Währung, wie der jetzt wieder in die Freiheit entlassene Franken, für eine Volkswirtschaft überhaupt kein Hindernis ist. Weder für den Aktienmarkt, noch für die Konjunktur.

Die alte Bundesrepublik hat das zu D-Mark Zeiten ebenso eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie das heutige China. Bundeswirtschaftminister Karl Schiller sprach seinerzeit von einer „Sozialdividende“, von der die Deutschen wegen der starken D-Mark profitierten.

Der unvergessene Professor Dr. Wilhelm Hankel hatte diesen wichtigen Punkt vor längerer Zeit einmal in einem sehr lesenswerten Interview konkretisiert. Auf die Frage, warum die SNB Unmengen an Euros kaufe, um eine Aufwertung des Franken zu verhindern, sagte Hankel:

„Ich liebe die Schweiz, aber ich verstehe die panische Furcht der Schweizer Behörden vor der Aufwertung des Frankens nicht. Sie ist völlig unberechtigt. Die D-Mark hat in ihren letzten 25 Lebensjahren ständig aufgewertet.

Deutschland wurde in dieser Zeit nicht ärmer, sondern immer reicher. Das würde auch in der Schweiz passieren. Wer exportiert, muss auch importieren. Die Importe werden bei einer starken Währung ständig billiger, auch für Wirtschaft und Industrie. Sie gewinnt an Wettbewerbsfähigkeit.

Mein früherer Chef, Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller von der SPD, sagte damals: Jede DM-Aufwertung ist eine Ausschüttung von «Sozialdividende an das deutsche Volk». Man kann sich mehr im Supermarkt kaufen und reist günstiger ins Ausland. Das gilt auch für die Schweiz.

Die Schweizerische Nationalbank verschwendet Volksvermögen, wenn sie Geld in einer Währung anlegt, die es wahrscheinlich schon bald nicht mehr gibt. Wo bleibt da der gesunde Menschenverstand? Der Schweizer Sinn fürs Reale?“

https://oconomicus.wordpress.com/tag/sozial-dividende/

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Wilhelm Hankel, Eurokritiker der ersten Stunde, starb übrigens auf den Tag genau ein Jahr vor der wuchtigen SNB-Entscheidung, nämlich am 15. Januar 2014...

Natürlich wird auch der 15. Januar 2015 in die Geschichtsbücher eingehen. Nämlich als der Tag, an dem das Vertrauen in das Papiergeldsystem aktueller Prägung einen ersten wirklich schwerwiegenden Riss bekommen hat. Das ist der zweite wichtige Aspekt in diesen Tagen, über den es sich nachzudenken lohnt.

Mein Kollege Daniel Kühn forderte im Nachgang der SNB-Entscheidung unverblümt den Rücktritt von SNB-Chef Thomas Jordan. Vor dem Hintergrund der Turbulenzen an den Kapitalmärkten wegen der plötzlichen Franken-Freiheit ist der Ruf nach Rücktritt verständlich – doch was würde er bringen? Unser Finanzsystem krankt an sich selbst und an seinen Strukturen, da hilft es niemandem weiter, wenn Personen ausgewechselt werden, anschließend aber so weitergemacht wird wie bisher.

Auf einem ganz anderen Blatt steht der Vertrauensverlust, den sich die SNB mit ihrem Paukenschlag eingehandelt hat. „Vertrauen ist der Anfang von allem“. Mit diesem griffigen Werbeslogan warb die Deutsche Bank einst um neue Kunden. Dem Marketingspruch könnte man heute entgegenhalten: „Vertrauensverlust ist der Anfang vom Ende“, oder auch, noch etwas steiler: „Misstrauen ist das Ende von allem“.

Denn Vertrauen ist zweifelsohne das wichtigste „Kapital“ unseres Finanzsystems. Das Schuldgeldsystem aktueller Prägung ist durch nichts gedeckt, als nur durch dieses Vertrauen. Vor diesem Hintergrund wird die ganze Dramatik der SNB-Entscheidung deutlich: Wenn die Menschen den Zusagen von Zentralbanken nicht mehr vertrauen können, dann reißt dies einen Graben auf, der durch nichts mehr zu kitten ist, und in dem das gesamte Finanzsystem untergehen könnte.

Wegen der Unzulänglichkeiten, die diesem System innewohnen, steht dieses Ereignis jedoch ohnehin irgendwann an. Deshalb war der SNB-Entscheid vom Donnerstag auch „nur“ der erste bedeutende Sargnagel auf dem Weg dorthin.

Das führt uns unmittelbar zum dritten und letzten Punkt unserer Überlegungen: Die Entscheidung der SNB, die Bindung des Franken an den Euro aufzugeben, hat eines deutlich gemacht:

Marktkräfte lassen sich nicht beliebig manipulieren und außer Kraft setzen. Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem sich diese Marktkräfte wieder durchsetzen. Deshalb sollten Politiker, „Euroretter“ und sonstige Entscheidungsträger jetzt ganz genau hinsehen.

Denn der Donnerschlag vom 15. Januar 2015 war zwar der erste seiner Art im Verlauf der aktuellen Finanzkrise.

Aber er war mit Sicherheit nicht der letzte...

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Zum Autor:

Andreas Hoose ist Chefredakteur des Antizyklischen Börsenbriefs, einem Service der BörseGo AG, und Geschäftsführer des Antizyklischen Aktienclubs. Börsenbrief und Aktienclub, das komplette Servicepaket für die Freunde antizyklischer Anlagestrategien! Informationen finden Sie unter www.antizyklischer-boersenbrief.de und www.antizyklischer-aktienclub.de

28 Kommentare

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  • Girth
    Girth

    "Nach der Schrecksekunde vom Donnerstag werden die Schweizer vermutlich schon bald feststellen, dass eine starke Währung, wie der jetzt wieder in die Freiheit entlassene Franken, für eine Volkswirtschaft überhaupt kein Hindernis ist. Weder für den Aktienmarkt, noch für die Konjunktur." Das ist halt mehr eine Durchhalteparole, als eine ausgebreitete Argumentationskette. Die Importe werden günstiger, dass stimmt. Aber welche Bedeutung hat das? Die Schweiz exportiert ja kaum aufbereitete Rohstoffe wie Benzine, wie Rohstahl, wie Zucker oder Industriealkohol (tut sie das überhaupt?). Sie exportiert höchstwertige Produkte, die erheblich aus Fertigungs- und Entwicklungsaufwänden und immateriellen Werten bestehen. Ihr Mehrwert, ihre Wert S C H Ö P F U N G ist nun mit einem Schlag 20-30% teurer. Es ist völlig Banane, ob die 10% Rohstoffanteil mancher Produkte nun 20% günstiger sind. Sind mit der Frankenfreigabe schlagartig alle Schweizer Industriemeister zu Universitätsingenieuren erhoben worden? Aber so sollen sie nun in US-Dollar oder Euro entlohnt werden. Und schon ließt man, dass die schweizer Wirtschaft eine Senkung der Löhne fordert.. aber die Lebenshaltung bleibt auf Mondpreisniveau. Das Schweizer Lebensmodell im Ganzen ist arg in Gefahr! Tanken kann man in Lörrach, aber Miete zahlt man halt in Franken.

    Sorry, aber die Schweiz als Insel im Raum der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sinkt spätestens seit Donnerstag. Die Schweizer sollten umso mehr eingeladen werden, einem reformierten Euroraum beizutreten. Letzte Chance..

    Und nebenbei: Ökonomisch wird man nun an der Schweiz "im Labor" evaluieren können, was eine Euro-Austritt für Deutschland bedeuten würde. Er mag schlecht konstruiert sein, aber der Euro ist nach dem Marshallplan das zweitgewaltigste "externalisierte" Sozial- und Wirtschaftsprogramm der BRD-Geschichte. Die Schweizer werden's brauchen..

    17:10 Uhr, 18.01.2015
  • Cristian Struy
    Cristian Struy

    ​Die snb hat sich nach 450 mrd Aufwendungen für Stützungskaeufe ggf gesagt, lieber ein Ende mit Schrecken, als in ein Fass ohne Boden weiter zu investieren. Die 450 Mrd haetten, direkt als Subvention an die heimische Wirtschaft ausgegeben sicherlich mehr Wirkung erzielt als die Stutzungskaeufe. Und wenn sie schlau waren (sie wussten im Gegensatz zu uns ja, dass sie das tun) sind sie vorher sfr long bzw euro short gegangen. Die sind ja nicht ganz so naiv, dass sie sich nicht absichern.

    Das ist doch von der Idee her ähnlich wie die 120 Mrd (und indirekt mehr), die Deutschland in Griechenland investiert hat, ohne deren Situation wirklich zu verbessern. Es sollen sonst Arbeitsplätze in D verloren gehen. Zum Vergleich damit man dies nonsens besser einordnen kann: wir exportieren 4,7 mrd dorthin. Haetten also 10 Jahre den export Verlust ohne Schäden verkraftet (100% Ausgleich an die exportierenden Firmen zahlen koennen) und immer noch 73 mrd übrig gehabt. Jedem arbeitenden Bürger in D (ca 45 mio) 1600 € gezahlt zur Ankurbelung der binnenkonjunktur oder anderes Gutes mit dem Geld getan (Schulen Universitäten etc) und wir ständen besser da als vorher.

    Alles politisch geprägter Schwachsinn.

    14:55 Uhr, 18.01.2015
    1 Antwort anzeigen
  • ErnstSF
    ErnstSF

    ​Die Schweiz hat ihren Kopf aus der Schlinge gezogen; Anmerkung: Manches entscheidet man eher Hals über Kopf oder gar nicht, z.B. eben ob man die Notbremse zieht.

    Jetzt noch ein Wort zum „Dax: Hängt ihn höher 2.0(15)“

    (ein moderner Western mit nur Anlehnungen an den Italo-Western und den klassischen US-Western; 22ster eher wie eine Scorsese-Filmszene)

    12:42 Uhr, 17.01.2015
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Wär hätts erfunde????? Wieder einmal ein Schweizer…und zwar den ultimativen Notenbankvertrauenskiller…..NBVK made in switzerland……bereits beim Schweizer Patentamt zum Patent angemeldet. Das hatte wohl niemand auf der Rechnung.

    Das kurze Statement der SNB vom Donnerstagvormittag schickte Schockwellen durch die europäischen Finanzmärkte. Broker mussten Insolvenz anmelden und leider wahrscheinlich auch in Kürze viele brave Bürger, die ja in den vergangenen Krisenjahren seit 2008 immer wieder von offizieller Seite in ihrem Glauben an die Allmacht der Zentralplaner bestärkt wurden. Die Frankenhypothek war gepriesen und beliebt, sie wird nun dafür sorgen, dass manchem Hausbesitzer von seinem Eigenheim nur noch die Schulden bleiben.

    Ist SNB-Chef Jordan nun ein moderner Wilhelm Tell, der die Schweiz davor bewahrt hat mit der Weichwährung Euro gemeinsam in den Abgrund zu rutschen? Wohl eher nicht. Jordan leidet genauso an Allmachtsphantasien wie seine Kollegen Yellen, Draghi und Kuroda. Er hatte einfach die Hosen voll und die Notbremse gezogen im Hinblick auf das von Großmeister Draghi zu erwartende Gelddruckprogramm. Die Summen die da im Raum stehen, hätten der kleinen Schweiz bei andauernder Kopplung des Franken an den Euro das Genick gebrochen.

    Wie auch immer, Herr Jordan hat mit dieser Entscheidung große Wut auch im Land der Eidgenossen ausgelöst. Deshalb dürfte sein Name für ihn persönlich zum Programm werden……er wird beruflich gesehen wohl in absehbarer Zeit über den Jordan gehen.

    Aber auch wenn Jordan geht, das Misstrauen gegen die Notenbanker ist gesät und nach Lage der Dinge wird es in nicht allzu ferner Zukunft neue Nahrung bekommen. Letztlich hat dieser von Jordan ausgelöste schwarze Schwan deutlich gemacht, das die Gesetze der Ökonomie für eine gewisse Zeit ausgehebelt werden können, aber niemals auf Dauer. Für alle Anhänger von solch saloppen Formulierungen a la never fight the EZB kann es nur von Vorteil sein, einmal darüber Nachzudenken wie ihre persönliche Situation ausschaut, wenn der nächste Zentralbankbürokrat wortbrüchig wird.

    11:52 Uhr, 17.01.2015
  • Daniel Kühn
    Daniel Kühn Chefredakteur

    ​Hi Andreas. Ich habe Jordans Rücktritt ausschließlich deswegen gefordert, weil er nach meiner Ansicht die Marktteilnehmer zuletzt bewusst getäuscht hat. Eine Woche vor der Entscheidung hat er noch betont, wie wichtig die Franken-Untergrenze ist und dass sie unter allen Umständen verteidigt wird - wie er es eben drei Jahre lang getan hat.

    Inhaltlich ist die Sache ganz klar: Man hätte den Franken NIE an den Euro binden dürffen, oder aber sich direkt für die Währungsunion entscheiden. Was besser ist, kann sich jeder selber überlegen.

    ​Wenn jemand die Leute so "verarscht" wie Jordan, kann er m.E. nicht in diesem Spitzenjob bleiben.

    Und ja , ich weiß, auch die Merkel hat gesagt sie will keine Maut und jetzt kommt sie doch. Das hat aber eine ganz andere Tragweite. Viele Menschen sind jetzt ruiniert, weil sie gedacht haben, das Wort der SNB zählt. (andere dagegen wurden noch reicher...)

    09:37 Uhr, 17.01.2015
    1 Antwort anzeigen
  • student
    student

    ​Sehr gut, Herr Hoose,

    was eine Wirtschaft reich macht, hat das Britische Empire in der Vergangenheit und Nachkriegsdeutschland als rohstoffarmes Land vorgemacht:

    1. Rohstoffe einkaufen

    2. Rohstoffe verarbeiten, mit Einsatz von billiger Energie, einer effizienten Infrastruktur und qualifizierten Menschen ein Produkt hoher und höchster Güte e r s c h a f f e n.

    3. Den Überschuß an hochwertigen Produkten ins Ausland verkaufen.

    4. Die Nachfrage nach diesen Waren erhöht die Nachfrage nach der eigenen Währung, wodurch diese aufgewertet wird.

    5.Dieser hohe Wert der Währung wird genutzt, um die Rohstoffe im Ausland noch etwas billiger einzukaufen. Damit wird ein Kreislauf der Aufwertung in Gang gesetzt.

    Deutschland war jahrzehntelang auch davon "betroffen", wir wurden zur zweitreichsten Nation auf dem Globus. Der Urlaub war billig, die eigene Versorgung mit hochwertigen Waren trotz hoher Preise kein Problem, sondern Merkmal des Reichtums.

    Wir sind mit der Produktion von Qualitätswaren sichtbar bereichert worden, nicht mit Finanzspekulationen.

    Aber jetzt fließt unser Wohlstand seit der Wiedervereinigung 1989 und massiv seit der Einführung des Euro in die Hände derer, die uns mit ihren wertlosen Finanzpapieren übers Ohr hauen.

    Viele Grüße

    22:52 Uhr, 16.01.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Schnutzelpuh
    Schnutzelpuh

    Alles sehr gut in dem Artikel zusammengefasst. Gestern ist wirklich etwas Epochales passiert, deren Tragweite sicherlich in ein paar Jahren allen klar und deutlich werden wird. Über den Weg, den die SNB eingeschlagen hat, kann man streiten, aber in der Sache richtig und konsequent. Auch die EZB und FED werden eines Tages vor einem Scherbenhaufen stehen, den sie angerichtet haben. Auch diese müssen sich eines Tages den Marktkräften unterwerfen, so wie es nun die Schweizer Nationalbank tun musste.

    20:00 Uhr, 16.01.2015
  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    ​... wie (fast) immer ein guter Artikel ...

    19:35 Uhr, 16.01.2015