Kommentar
21:46 Uhr, 16.02.2016

Öl: WTI und Brent mit Bodenbildung

Die beiden Ölpreissorten Brent und WTI markierten in den vergangenen Wochen jeweils markante Tiefs. WTI fiel auf 26 USD und Brent auf 27 USD. Kurz darauf folgte eine massive Rally mit den größten Tagesgewinnen seit Jahren. Das könnte sehr viel mehr sein als nur ein Short Squeeze.

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Es ist keinesfalls ausgemachte Sache, dass die Ölpreise nicht doch noch auf 20 USD je Barrel fallen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist in den vergangenen zwei Wochen jedoch deutlich gesunken. Es besteht nun sogar die berechtigte Hoffnung, dass die Tiefs in diesem Bärenmarkt erreicht wurden. Gründe dafür gibt es viele. Zum einen ist da das Ende der starken und schnellen Dollaraufwertung. Zum anderen wagen sich immer mehr Staaten aus der Deckung und denken laut über Förderkürzungen nach.

Während die OPEC und andere große Ölexporteure noch über Förderkürzungen nachdenken, fällt der Output bereits in weiten Teilen der Welt. In den USA sinkt die Fördermenge nur langsam. In anderen Ländern und Fördergebieten wie Kanada und der Nordsee ist der Rückgang deutlicher zu spüren. Das liegt einerseits an einer Häufung an Insolvenzen und andererseits an der Unwirtschaftlichkeit der Förderung.

Bisher haben Unternehmen, die dringend Geld für die Bedienung ihrer Schulden brauchten, gefördert, was nur irgendwie aus dem Boden zu holen war. Inzwischen sind die Ölpreise so niedrig, dass mit jedem geförderten Barrel Öl kein Cash mehr generiert, sondern verbrannt wird. Die Schmerzgrenze ist in vielen Regionen erreicht.

Viel wichtiger als die Reduktion der Fördermengen in Kanada, den USA oder der Nordsee sind die Versuche von OPEC Ländern, zu einer Einigung über Fördermengenkürzungen zu gelangen. Bereits im vergangenen Jahr machte Venezuela einen Vorstoß. Dieser wurde innerhalb von Stunden abgelehnt. Seit Ende letzten Jahres gesellt sich Russland zu den Ländern, die eine Kürzung der Produktion befürworten.

In Russland denken nicht nur Politiker über eine Eindämmung der Überproduktion nach, sondern auch Unternehmen. Sie sprechen sich ungewöhnlich deutlich für eine konzertierte Aktion aus. Saudi-Arabien weigert sich bisher beharrlich den Rufen der anderen Länder zu folgen, doch der Druck erhöht sich zunehmend.

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben in der vergangenen Woche zum ersten Mal über Produktionskürzungen nachgedacht. Noch Ende 2015 hieß es: Nur über meine Leiche. Inzwischen sind die Töne sehr viel leiser. Das liegt vermutlich auch daran, dass der Ölpreis heute noch einmal 10 Dollar tiefer steht als zu Jahreswechsel.

Die VAE geben offen zu, dass Preise unter 30 Dollar zu einem Umdenken geführt haben. Wenn nun also bereits jene Golfstaaten nervös werden, die für weniger als 10 Dollar je Barrel Öl produzieren können, dann ist der Druck wirklich groß. Die Verteidigung von Marktanteilen scheint nicht mehr das höchste Gut zu sein.

Das Umdenken lässt sich durch mehrere Aspekte begründen. Grafik 1 zeigt einen davon. Dargestellt ist das Wirtschaftswachstum vor und nach dem Ölpreiscrash. Länder wie Russland und Venezuela schrumpfen in einem Tempo, welches sogar den Wachstumseinbruch der Finanzkrise zahm aussehen lässt. Viele Staaten befinden sich noch auf Wachstumskurs, doch das gelingt nur durch hohe Staatsausgaben.

Saudi-Arabien konnte das Wachstum im positiven Bereich halten, weil sie 120 Mrd. mehr ausgaben als sie einnahmen. Nun muss gespart werden. Mit Glück kann sich das Wachstum in diesem Jahr über 0 % halten. In den Nachbarländern Saudi-Arabiens sieht die Lage nicht viel besser aus. Ohne die massive Neuverschuldung würden die Golfstaaten mit einer Jahresrate von 2 bis 5 % schrumpfen.

Eine Rezession ist nicht gerade das, was die autoritären Regime brauchen. Eine Rezession könnte den Arabischen Frühling wiederbeleben. Gleichzeitig müssen die Notenbanken die Devisenreserven nutzen, um die Währungen stabil zu halten. Die Währungen sind allesamt an den Dollar gekoppelt. Eine Entkoppelung würde den wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch besiegeln.

Noch sitzen die meisten Länder auf hohen Devisenreserven. Grafik 2 zeigt die Veränderung der Reserven im Vergleich zu der Zeit vor dem Ölpreiscrash. Die Reserven sind als Index dargestellt. Der Index hat für alle Länder einen Wert von 100, der den Stand der Reserven vor dem Ölpreisverfall (Anfang 2014) beschreibt. Steht der Index heute z.B. bei 40 Punkten wie in Ecuador, dann bedeutet dies, dass Ecuador seit Anfang 2014 60 % seiner Reserven verloren hat.

Die Reserven werden gebraucht, um die Währungen zu stabilisieren, aber auch, um Importe zahlen und Schulden bedienen zu können. Gehen die Reserven aus, dann entsteht schnell eine Knappheit von wesentlichen Importgütern. Venezuela hat derzeit dieses Problem, welches sich in extrem hoher Inflation widerspiegelt.
Die Entwicklung der Inflation ist in Grafik 3 dargestellt. In Ländern, die einen freien Wechselkurs haben, ist die Inflation bereits deutlich angestiegen. Venezuela ist eine Ausnahme. Hier steigt die Inflation auch mit festem Wechselkurs an. Das liegt daran, dass der vorgegebene Wechselkurs nur noch Makulatur ist. Wer Güter importieren will, der bekommt diese nicht zum offiziellen Wechselkurs.

In Venezuela ist die Inflation inzwischen bei 140 % angelangt. In Ländern wie Kasachstan, Russland und Angola liegt die Teuerungsrate bei mehr als 10 %. Man kann sich vorstellen, wie gut das bei einer armen Bevölkerung ankommt, wenn die Preise der absolut notwendigen Güter des täglichen Bedarfs so schnell steigen.

Für die Golfstaaten ist ein fixer Wechselkurs auch aufgrund der Inflation wichtig. Wird der Kurs aufgegeben, dann steigt die Inflation aufgrund der Währungsabwertung rasch an. Geschieht dies in Zeiten, in denen die Regierungen mit Sparprogrammen beginnen, dann ist das kritisch für die Stabilität der Länder.

Der wirtschaftliche Druck wird derzeit so groß, dass sich viele Staaten vor dem Ruin sehen, wenn der Ölpreis nicht bald wieder steigt. Von alleine steigt der Preis nicht. Es braucht eine Förderkürzung in der Höhe von mindestens 5 %. Dann besteht eine Chance auf Preise im Bereich von 50 Dollar. Das ermöglicht Produzenten in den USA und Kanada weiterhin zu fördern und kostet die OPEC Marktanteile. Doch was ist besser: 5 % weniger Marktanteil, dafür aber 60 % höhere Preise oder ein hoher Marktanteil, dafür aber ein möglicher Zusammenbruch der Staaten?

Eigentlich muss man da nicht mehr lange überlegen. Inzwischen sind Venezuela, Russland, Ecuador und die VAE bereit, Förderkürzungen durchzusetzen. Es ist vermutlich nur noch eine Frage von Wochen oder Monaten, bis Länder wie Saudi-Arabien ebenfalls einen so hohen Druck verspüren, dass sie mitziehen werden. Die ersten Anzeichen dafür gibt es.

Saudi-Arabien, Russland, Venezuela und Katar beschlossen heute, die Fördermengen zunächst auf dem Niveau von Januar einzufrieren und die Produktion nicht weiter zu erhöhen. Das Vorhaben ist daran gebunden, dass sich Länder wie Iran und Irak ebenfalls daran halten. Es ist also nur ein erster Schritt. Saudi-Arabiens Ölminister nannte das Vorhaben denn Beginn eines Prozesses, in dem geprüft werden soll, ob es weitere Schritte braucht, um für stabile (sprich: höhere) Preise zu sorgen.

Dem Ölpreis hilft dieser Beschluss nicht, da noch unklar ist, ob sich die einzelnen Staaten auch daran halten werden. Zudem schien der Markt eine Förderkürzung erhofft zu haben. Diese ist noch Wochen oder Monate weit weg. Dass die Einfrierung der Fördermengen dem Ölpreis nicht zu einer neuerlichen Rallye verhilft zeigt die Notwendigkeit einer Kürzung umso deutlicher. Bleibt der Ölpreis nicht über 30 USD je Barrel, dann wird die Motivation für Produktionskürzungen umso größer sein.

Die heutigen Beschlüsse sind ein klares Zeichen: die Schmerzgrenze ist erreicht und der Wille aller Parteien den Ölpreis zu erhöhen ist vorhanden. Jeder Tag, den der Ölpreis unter Druck bleibt, wird den Willen nur stärken und die Einsicht vieler Staaten fördern, dass es ohne Förderkürzungen nicht geht.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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