Kommentar
15:00 Uhr, 06.06.2018

Nicht nur Europa hat Probleme mit der Währung

Viele halten den Euro für eine Totgeburt. Der Euro kann nur scheitern. Wieso ist der Dollar dann aber so erfolgreich?

Erwähnte Instrumente

  • EUR/USD
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  • EUR/USD - WKN: 965275 - ISIN: EU0009652759 - Kurs: 1,17450 $ (FOREX)

Die jüngsten Turbulenzen rund um Italien haben eine Diskussion über den Euro wiederbelebt. Der Euro wird von vielen als eines der Hauptprobleme der schleppenden, wirtschaftlichen Entwicklung in Italien gesehen. Tatsächlich hat sich das Pro-Kopf-Einkommen in Italien in den letzten Jahrzehnten nicht besonders gut entwickelt (Grafik 1).

Das Einkommen steht heute nur unwesentlich höher als kurz vor der Einführung der Gemeinschaftswährung. Seit Einführung des Euro 1999 (Grafik 2) sieht die Sache noch düsterer aus. Die Einkommen sind in Italien gesunken.

Von einigen Ausnahmen wie Spanien abgesehen (Outperformance bis 2008), entwickelten sich die Einkommen bis 2005 in der Eurozone sehr ähnlich. Danach ging die Schere immer weiter auf. Seit der Finanzkrise verlaufen die Schicksale sehr unterschiedlich. Spanien hat wieder viel aufgeholt und kann die gleichen Zugewinne wie die Niederlande verzeichnen.

Italien ist abgeschlagen und kommt nicht vom Fleck. Es ist schon ein Erfolg, wenn die Einkommen nicht weiter sinken. Das wird häufig dem Euro zugeschrieben. Vor der Euroeinführung ging es ja bergauf. Danach ging es nur langsam vorwärts und zuletzt bergab. Die Schuld muss der Euro haben!

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So einfach ist die Sache natürlich nicht. Der Euro ist sicherlich ein Teil des Problems. Italien kann seine Währung nicht abwerten und dadurch schneller wachsen. Eine Währungsabwertung ist aber nicht das Allheilmittel. Eine schwache Währung bedeutet Inflation. Die Kaufkraft steigt nicht unbedingt.

Auch wenn die Kaufkraft nicht unbedingt steigt, ist höheres Wachstum und mehr Beschäftigung immer noch besser als der jetzige Zustand, in dem der Lebensstandard sinkt. Der Euro allein ist dafür jedoch nicht verantwortlich. Ein Teil des Wachstums vor und nach der Euroeinführung bis 2008 wurde durch Schulden erkauft. Heute ist die Verschuldung so hoch, dass Staaten die Einkommen nicht künstlich durch noch mehr Schulden anschieben können.

Eine eigene Währung würde vermutlich trotzdem helfen – zumindest theoretisch. Praktisch wäre Italien mit eigener Währung sofort bankrott. Das führt auf Sicht von Jahren zu einer drastischen Rezession und senkt die Einkommen mittelfristig weiter. Langfristig, von Schulden befreit, kann der Staat wieder mit vollen Händen ausgeben und für steigende Einkommen sorgen.

Die USA haben ein ähnliches Problem. Die realen Pro-Kopf-Einkommen entwickeln sich je nach Bundesstaat sehr verschieden. Alaska hat heute immer noch ein niedrigeres Einkommen als vor 30 Jahren (Grafik 3). Andere Bundesstaaten wie Oregon laufen dem Durchschnitt davon. Hier liegt das reale Pro-Kopf-Einkommen beim Dreifachen des Einkommens in Alaska.

Die USA haben gegenüber der Eurozone einen Vorteil. Es gibt eine gemeinsame Regierung in Washington. Das ändert jedoch nichts daran, dass einzelne Bundesstaaten immer weiter zurückfallen, ähnlich wie Italien zum Rest der Eurozone. Theoretisch bräuchten wohl auch Alaska und Nevada ihre eigene Währung, um auf die Beine zu kommen. Auf die Idee kommt niemand. Diese Idee scheint nur in der Eurozone zu existieren.

Ob der Euro langfristig deswegen ebenso wie der Dollar funktionieren und überleben wird, muss sich weisen. Früher oder später wird eine Regierung irgendwo an die Macht kommen, die nicht mehr mitmacht. Der Euro ist dann schnell Geschichte. So „einfach“ geht das in den USA nicht.

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7 Kommentare

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  • ZeroG
    ZeroG

    wer hat eigentlich die Grafiken erstellt? Kann man die "Farben" vielleicht noch etwas mehr angleichen damit man gar nicht mehr weiß welche Linie was sein soll?

    11:07 Uhr, 07.06.2018
  • Lois
    Lois

    upon second reading:

    Hier werden 2 Arten von Problemen vermischt: Ökonomisch hat der Dollar keine zum Euro vergleichbaren Probleme weil die USA weitgehend integrierte Zentralinstitutionen haben. Kansas (derzeit dank GOP/Koch brothers praktisch pleite) kann nicht Italien oder Portugal sein/werden weil letztlich die gesamten USA die Verantwortung für die meisten Zahlungsausfälle tragen würden. Kurzfristig würde über die Solidaritätsmechanismen des Bundesstaates ein Boden unter die realirtschaftlichen Probleme gzogen ist. Binnenmigration sorgt dann mittelfristig für neue Dynamik und sei es in Texas.
    Vertrauenskrisen mit Ansteckungsphänomenen zu Banken, Anleihen, Zinssätzen usw können erst bei viel gravierenderem Anlass (ungeeckte Pensionsfonds in Billionenhöhe uä) auftreten und selbst dann läßt sich ein Bundesstaat nicht in der Form isolieren wie es ein Nationalstaat und seine Institutionen innerhalb der Eurozone sind.
    Politisch schaffen die extremen Verteilungsunterschiede massive Probleme, Kansas sollte leicht zu googeln sein und ist typisch die zerstörte Substanz nach jahrzehntelanger und zunehmend extremer austerity. Die Verhärtung dieser Zustände (mit sinkender Lebenserwartung für die untere Mittelschicht(!!!) und praktisch nicht mehr vorhandener sozialer Mobilität (Studenenkredite, stagnierende Löhne bis in die obere Mittelschicht, Vericherungskosten usw) haben zu einem Zerfall regionaler Institutionen (Schulen, Gesundheitswesen usw) geführt und zur Radikalisierung der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Positionen der GOP als "systemerhaltende" Partei geführt. Trumps Steuerreform wird, wenn abgerechnet wird, das ganze auf den Punkt bringen, der Dollar mag dann verlieren (keine Vorhersage!) aber selbst dann steht er auf ungleich solideren Füßen als der Euro.
    Auch enn deutsche Ökonomen es nicht glauben wollen: ein Währungsraum braucht ein gewisses Maß an geteilter Verantwortung um nicht, als ganzes oder in exponierten Teilen, regelmäßig Ansatzpunkte für Vertrauenskrisen mit all dennegativen Implikationen für Finanzinstitutionen und regionale Budgets zu liefern. Wenn 2009 und 2012 nicht genug Anreiz bieten konnten wird´s wohl noch eitere Referenzkrisen geben müssen bis der Euro sich institutionell dem Dollar annähern kann.

    19:21 Uhr, 06.06.2018
    1 Antwort anzeigen
  • Lois
    Lois

    Bei allem Respekt Herr Schmale, da ist ein zweiter Text notwendig. Der Grund warum der Euro in seiner Geburtskonstellation zu Krisen verurteilt war/ist ist dass es in Europa keine automatischen Stabilisatoren für schwächere Regionen /Staaten gibt. Es fehlen

    1. gemeinsam finanzierte Sozialversicherungen, über die in den USA (wie innerhalb europäischer Nationalstaaten auch) ein langfristig stabiler Ausgleich für relativ schwache Regionen finanziert wird.

    2.die Möglichkeit, bruchlos in einen anderen Teil des Kontinents zu ziehen und dort zu leben/arbeiten. Sowohl Sprachen als auch Sozialsysteme setzen in Europa dem Ausgleich über Zu/Abwanderung zu enge Grenzen. Arbeitsmigration unterstützt zwar schwächere Regionen finanziell trägt aber zu weiteren Zerstörung regionaler Wettbewerbsfähigkeit bei.

    3. Es gibt in den USA einen weiten Bereich von Staatsaugaben mit denen schwächere Staate/Regionen gestützt werden, allem voran über Militärausgaben. Hier hat die EU mit ihren Kohäsions- und Agrartööpfen ein vergleichbares und effizienteres System zur Verfügung.

    Amerikanische Ökonomen haben diese Instabilität immer betont, für die Europäer wie so oft der Prozess wichtiger als das erste Resultat: Der Euro schafft durch seine Existenz die Möglichkeit/Notwendigkeit zur Weiterenticklung in Richtung transnationaler Wirtschaftsstrukturen. Viel ist im Zug der Krise geschehen, ob die Verwerfungen im Süden/Osten zu einer Vertiefung der UInion führen können ist offen.
    Ihr Vergleich mit den USA ist im Kern nicht zutreffend, die Frage wieso exorbitante regionale Unterschiede in den USA trotz Medicaid und zentraler Fiskalpoliotik bestehen können ist aber dennoch spannend. Die Antwort hat viel mit dem Umgang politisch und wirtschaftlich dominanter Mehrheiten mit lokalen Minderheiten zu tun, Gewerkschaften, Infrastrukturinvestitionen und gerechte Steuersysteme machen dort wenig Sinn wo der Fortschritt vor allem den "anderen" um ein neutrales Wort zu verwenden zu Gute kommt. Dass solche lokalen (?) Systeme zu politischen Verwerfungen führen müssen die denen innerhalb der EU wenig nachstehen muss wohl nicht besonders betont werden.
    PS: Zu den strukturellen Problemen einer Währungsunion mit nicht zentralisierten Ausgleichsmechanismen würde ich Rodik (neu) und Eichengreen (alt) vorschlagen.

    17:06 Uhr, 06.06.2018
  • einfach
    einfach

    es liegt weder in italien noch in anderen eu ländern an dem euro, sondern an der unfähigkeit der politiker langfristig zu planen und dem wahlvolk andauernd die taschen vollzulügen.

    wenn politiker diese zwei tatsachen abstellen, dann ist der euro nicht mehr das problem.

    15:29 Uhr, 06.06.2018
    2 Antworten anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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