Kommentar
06:30 Uhr, 29.02.2016

Negativzinsen: Muss das Finanzsystem vor den Zentralbanken gerettet werden?

Notenbanken sind so besorgt über niedrige Inflation, dass sie mit der weiteren Absenkung der Zinsen liebäugeln. Der japanische Notenbankpräsident Kuroda bestätigte gegen Ende der Woche die Möglichkeit weiterer Zinssenkungen. Technisch sei das überhaupt kein Problem.

Die Aussagen kommen an dem Tag, an dem die Inflationsdaten eine Teuerung von 0 % anzeigen. Negative Zinsen scheinen Japans letzte Hoffnung zu sein, ebenso wie die der EZB. Das mag nun in der Theorie ein probates Mittel sein, doch praktisch verschlechtert es die Aussichten auf höhere Inflation.

Zentralbanken weltweit (Zentralbank der Eurozone, Schwedens, der Schweiz, Japans und Dänemarks) bedienen sich eines neuen Instruments. Quantitative Easing (QE) war gestern, dabei war QE bereits ein recht experimentelles Instrument. Negative Zinsen sind noch sehr viel experimenteller und die Folgen wenig erforscht. Dennoch halten Notenbanken an dem Glauben fest, dass negative Zinsen die Lösung der Probleme sind.

Die Zeichen sagen etwas anderes. Der weltweite Selloff des Bankensektors in den zurückliegenden Wochen wird unter anderem auf negative Zinsen zurückgeführt. Negative Zinsen belasten die Profitabilität von Banken. Geldhäuser verdienen an der Differenz zwischen den Zinsen, die sie für Kredite erheben und den Zinsen, die sie selbst für ihre Refinanzierung zahlen müssen. Je größer diese Zinsdifferenz (Zinsspread) ist, desto mehr verdienen Banken.

Die niedrigen Zinsen haben den Zinsspread bereits gesenkt. Negative Zinsen senken den Spread noch weiter. Generell war es schon immer so, dass Banken für Geld, welches sie sich bei der Zentralbank oder anderen Banken liehen, mehr Geld zahlen mussten, als sie für Einlagen bei der Zentralbank erhielten. Nun sinken die Einlagenzinsen jedoch immer weiter, während Banken noch immer einen positiven Betrag dafür zahlen, wenn sie sich Geld leihen. Das verringert den Spread deutlich – und zwar von einem bereits niedrigen Niveau.

Notenbanken sind der Ansicht, dass Strafzinsen Banken motivieren, mehr Kredit zu vergeben, um die Strafzinsen zu umgehen. Das funktioniert nur leider nicht. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen können Banken durch die Kreditvergabe ihre Überschussreserven, auf die sie Strafzinsen entrichten müssen, nicht vollständig abbauen. Die dafür notwendigen Volumina sind viel zu groß (was an der Mindestreserve von aktuell 1 % liegt). So viel neuen Kredit braucht schlichtweg niemand, mal abgesehen davon, dass auch niemand so viel Kredit bekommen würde. Zum anderen wird schlichtweg nicht ausreichend Kredit nachgefragt.

Grundsätzlich gibt es immer Privatpersonen und Unternehmen, die Kredit aufnehmen wollen. Als Bank will man nun aber nicht unbedingt allen „Willigen“ Kredit geben. Als Bank möchte man Schuldner, von denen man überzeugt ist, dass sie ihre Schulden auch wieder zurückzahlen können. Diejenigen, die eine adäquate Bonität haben, brauchen kaum noch zusätzlichen Kredit. Alle anderen, die zwar Kredit wollen, bekommen ihn nicht und das ist auch gut so.

In den USA entstand die Subprime Krise vor allem aus einem Grund: Es wurde jedem, der wollte, ein Kredit gegeben, unabhängig von der Bonität. Das hat zu einer hoffnungslosen Überschuldung geführt. Das Kartenhaus musste irgendwann zusammenbrechen. Banken haben daraus gelernt und sind in ihrer Kreditvergabe restriktiver.

Banken sind in der Kreditvergabe nicht nur restriktiver, sie werden auch aus regulatorischen Gründen dazu gedrängt, vorsichtiger zu sein. Banken dürfen zwar auch spekulativ agieren, doch dafür müssen sie dann mehr Eigenkapital vorhalten. Das lohnt sich für gewöhnlich nicht, da die Rendite zu gering ist und Eigenkapital schwierig zu beschaffen ist.

Die Notenbanken wollen die Kreditvergabe erzwingen, sind damit jedoch nicht erfolgreich. Durch negative Zinsen wollen sie den Druck auf Banken erhöhen, mehr Kredit zu vergeben. Da allerdings kaum noch gute Schuldner Kredit brauche,n laufen die negativen Zinsen ins Leere. Sie drängen Banken zwar, doch dieses Drängen nützt wenig, da es sich auch gegen die Regulation stellt, die Banken zu mehr Vernunft in ihren Geschäften zwingt. Banken werden de facto zwischen Negativzinsen und Regulation zerrieben. Die Regulation bestraft risikoreiche Geschäfte, Negativzinsen sollen sie fördern.

Negativzinsen führen vor allem dazu, dass Banken immer unprofitabler werden. Je weniger Banken verdienen, desto mehr müssen sie auf ihr Eigenkapital achten. Eigenkapital wird letztlich durch Verluste verringert und negative Zinsen können Banken in die Verlustzone bringen. Was machen Banken in diesem Fall? Sie bauen Risiken ab, vergeben weniger Kredit und erhöhen für Kredite, die sie vergeben, die Zinsen. Sie geben so die Strafzinsen der Zentralbank an ihre Kunden weiter. Steigen die Kreditzinsen für Unternehmen und Privatpersonen wieder, dann wird noch weniger Kredit nachgefragt. So viel also zur Erfolgsgeschichte der negativen Zinsen.

Was können Notenbanken tun, um aus diesem Dilemma herauszukommen? – Notenbanken können eigentlich nur eines tun. Sie müssen es Banken ermöglichen, wieder höhere Spreads zu verdienen. Eine Möglichkeit, das zu bewerkstelligen ist die Absenkung des Leitzinses in den negativen Bereich. Dann erhalten Banken Zinsen, wenn sie sich Geld leihen. Ob das nun Sinn macht, muss jeder selbst entscheiden. Die einseitige Verringerung des Zinsspreads, den Banken verdienen können, löst jedoch keine Probleme, sie schafft sie.

Das effektivste Mittel, welches Notenbanken haben, um die Wirtschaft anzukurbeln, ist nach wie vor QE. Es führt zu einem Vermögenseffekt. Assetpreise steigen, wodurch das verfügbare Vermögen steigt. Die Steigerung der Vermögen wiederum sollte den Konsum fördern.

Der Vermögenseffekt kommt in der Praxis bei den wenigsten an. Der Durchschnittsbürger hat wenig Vermögen. In vielen Ländern sind Konsumenten noch immer hoch verschuldet und müssen ihre Bilanz erst einmal bereinigen. Der Vermögenspreiseffekt kann dabei helfen die Bilanz wieder schneller in Ordnung zu bringen, doch da die meisten kaum Assets halten, geht der Effekt an der Masse vorbei.

Während die USA die Bilanzrezession (Vermögen und Schulden werden wieder in Einklang gebracht, indem Schulden abgebaut werden) beinahe abgeschlossen haben, stecken Europa und auch Japan noch mitten drin. Eine Bilanzrezession entsteht, wenn sich Preisblasen bilden. Das war Ende der 80er Jahre in Japan der Fall. Japan und Japaner verschuldeten sich mit Unsummen, um Aktien und Immobilien zu kaufen. Als die Blase platze, standen den Schuldenbergen plötzlich nur noch unzureichende Werte gegenüber. Eine Entschuldung wurde notwendig. So etwas braucht viel Zeit.

In den USA war es die Immobilienblase, die zu einer Bilanzrezession führte. In Europa sind die Gründe vielfältiger. In Spanien waren es ebenfalls Immobilien. In Griechenland gab es keine spezifische Assetklasse, für die sich Unternehmen und Bürger verschuldeten. Es war vor allem der Staat, der einfach immer mehr Schulden aufbaute ohne einen Gegenwert zu schaffen.

Eine Bilanzrezession kann nicht durch immer niedrige Zinsen beseitigt werden. Notenbanken versuchen diesen Prozess zu untergraben, doch sie scheitern. Wer sich gerade erst die Finger verbrannt hat, greift nicht sofort wieder auf die heiße Herdplatte. Übersetzt heißt das: Die Überschuldung war vielen eine Lehre. Sie versuchen eine erneute Überschuldung zu vermeiden. Notenbanken versuchen hingegen durch niedrige Zinsen Kreditwachstum zu erzeugen. Im Prinzip wollen sie zu hohe Schulden mit noch mehr Schulden bekämpfen. Für so dumm lassen sich viele nicht verkaufen. Die Sparneigung ist hoch. Jeder will Schulden abbauen, anstatt neue aufzubauen.

Notenbanken bleibt nur der Versuch, über den Vermögenspreiseffekt einen positiven Einfluss zu nehmen. Doch auch hier gilt: steigen Vermögenswerte zu hoch, dann entsteht eine neue Blase. Platzt diese, dann kommt es erneut zu einer Bilanzrezession.

Das Dilemma ist groß und Auswege scheint es kaum zu geben. Der einzige Ausweg, der sich derzeit anbietet, ist der Abbau der Schulden durch negative Zinsen. Dazu müsste auch der Leitzins in den negativen Bereich sinken. Dann könnte man Kredite aufnehmen, die sich selbst abtragen – theoretisch zumindest.

Zahlt man für Kredit keine Zinsen, sondern bekommt sie, dann gelten die üblichen Regeln nicht mehr. Bonität spielt – solange die Zinsen negativ sind – keine Rolle mehr. Langfristig würden viele „Zombiekredite“ entstehen, also Kredite an Unternehmen und Personen, die es sich eigentlich nicht leisten können. Um einen Zusammenbruch zu verhindern kann eine Notenbank die Zinsen nie wieder in den positiven Bereich bringen, will sie keine wirtschaftliche Depression riskieren. Geldpolitik lässt sich so nicht mehr machen.

Das beste, was Notenbanken tun können, ist den wahnsinnigen Irrglauben aufzugeben, dass man eine Bilanzrezession mit der Notenpresse umgehen kann. Niedrige Inflation und niedriges Wachstum muss in Kauf genommen werden, wenn man die Stabilität des ganzen Geldsystems nicht endgültig ruinieren will.

Gehen Notenbanken den derzeit eingeschlagenen Weg weiter und drücken die Zinsen, auch die Leitzinsen, in den negativen Bereich, dann gibt es kein Zurück mehr. Das interessiert Notenbanken aktuell augenscheinlich nicht. Notenbanken sollten eigentlich eine langfristige Perspektive haben. Negative Zinsen lösen jedoch nur kurzfristig ein Problem. Die Langfristperspektive scheint kaum zu interessieren. Man kann wirklich nur inständig hoffen, dass die Notenbanken nicht soweit gehen, bis es kein Zurück mehr gibt.

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26 Kommentare

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  • Swiss Investor
    Swiss Investor

    Warum gibt es noch keine Bank, die einen Kredit (z.B.1000 Mio.) aufnimmt, natürlich mit Negativzins und diesen in Bargeld tauscht. Die Noten steckt sie in den Tresor, jeden Monat wird der Kredit gerollt, so verdient man Geld ohne zu arbeiten. Super, damit liesse sich auch eine Vollgeld-Bank gründen.

    Genau um solche neue Geschäftsmodelle zu verhindern wird Bargeld abgeschafft werden (lies verboten) und wer jetzt keinen Notgroschen abhebt und bunkert ist selbst schuld, denn wenn die Banken für eine Umsetzung von Notmassnahmen geschlossen werden, dann sind auch die Geldautomaten ausser Betrieb.

    Es wird dann nur noch Kreditkarten geben und dann kommt eine Transaktionssteuer dazu, damit kann der Staat beginnen seine Schulden zu amortisieren.

    Schöne neue Welt.

    15:43 Uhr, 29.02. 2016
  • 1 Antwort anzeigen
  • Löwe30
    Löwe30

    Mit Negativzinsen erfinden die Notenbanken das ökonomische Perpetuum mobile.

    Da ja Bonität keine Rolle mehr spielt und sich Kredite von selbst zurückzahlen, nehme ich einen Kredit von sagen wir mal bescheidenen 2 Mio. € auf. Bei -1% Zinsen, tilgen sich 20.000 € jährlich von selbst. Jetzt mache ich es wie der Staat und nehme jedes Jahr einen neuen Kredit von 20.000 € auf. davon kann ich dann leben ohne zu arbeite. Da die 2 Mio. € eine beliebige Zahl ist, kann man hier natürlich auch größere Beträge wählen. Warm soll dann noch jemand arbeiten und Güter produzieren, die kommen dann wohl nach den genialen Gottspielern in den Notenbanken auch aus dem Nichts, wie das Geld. Ich fürchte allerdings, dass die Menschen nicht alleine von Luft und Liebe leben können.

    12:48 Uhr, 29.02. 2016
  • netzadler
    netzadler

    negativer Leitzins wird kommen,

    wenn sich der zinsspread für die banken umkehrt, vielleicht unter der auflagen der kreditvergabe, dann sind wir bei helicopter money

    10:34 Uhr, 29.02. 2016
    2 Antworten anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst
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Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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