Kommentar
15:04 Uhr, 18.01.2015

Nach dem EUR/CHF-Debakel: Kann man eine Notenbank verklagen?

Die kurze Antwort lautet: Ja. Das ist wahrscheinlich Musik in den Ohren derer, die der Schweizer Nationalbank hohe Verluste zu verdanken haben.

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Notenbanken werden immer mal wieder verklagt. Bloomberg reichte 2010 eine Klage gegen die EZB ein. Diese wollte Dokumente nicht offenlegen, die zeigten, wie Griechenland über den Gebrauch von Derivaten sein Defizit schönte und so in die Eurozone eintreten konnte. Notenbanken kann man durchaus verklagen. Wenn es um Aktionen wie jener der Schweizer Notenbank geht, dann wird es wahrscheinlich schwierig. Hier geht es nicht um irgendwelche Dokumente, sondern um eine Entscheidung, die gefällt wurde. Dagegen könnte man wohl klagen, hätte aber kaum Erfolg. Letztlich steht die Frage im Raum: War die Entscheidung rechtmäßig? Dazu kann man nur sagen: Ja, sie war rechtmäßig. Die Notenbank kann frei entscheiden wie sie ihre Politik gestaltet und wie sie diese kommuniziert. Klagen bringt in diesem Fall also nichts. Vielleicht ist das ein Fehler.

Das Finanzbeben in der Vorwoche durch die Aufhebung des Mindestkurses hat enorme Konsequenzen, die über das Offensichtliche hinausgehen. Offensichtlich sind zum Beispiel die Verluste von Banken, Brokern, institutionellen Investoren und Privatanlegern. Einige der Verluste sind in Grafik 1 dargestellt. Citigroup und die Deutsche Bank sollen je 150 Mio. verloren haben. Es folgen viele weitere Banken und Broker. Viele haben sich noch nicht geäußert, wie hoch die Verluste wirklich sind. Allein bei den 6 abgebildeten Unternehmen liegt der Verlust bei 700 Mio. USD. Da dürfte der Verlust weltweit problemlos über die Milliardengrenze gehen.

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Wie hoch die Summe sein kann, kann man nur erahnen. Der Commitment of Traders Report vom 13.01.2015 zeigt wie die Positionierung vor dem SNB Entscheid ungefähr ausgesehen hat. Der Report zeigt die Positionierung im Futuremarkt. Die Dealer, die Liquidität bereitstellen, halten immer die Gegenposition zu den anderen Marktteilnehmern (Asset Manager, Fonds, usw.). Sie spekulieren nicht auf bestimmte Kursbewegungen. Das tun alle anderen. Entsprechend sind sie positioniert und die Positionierung war ausnahmslos netto short mit über 47.000 Kontrakten. Ein Kontrakt hat einen Wert von 125.000 CHF. Insgesamt war demnach ein Volumen von knapp 6 Mrd. USD short.
Futures werden für gewöhnlich auf Margin gehandelt, sodass ein Hebel entsteht. Die Margin lag zuletzt bei ca. 5%, sodass ein Hebel von 20 möglich war. Für das Volumen von 6 Mrd. mussten nur 300 Mio. wirklich hinterlegt sein. Nimmt man nun an, dass am Donnerstag die Positionierung so wie am 13.01. war, dann wurden innerhalb von wenigen Minuten Verluste von 1,2 Mrd. angehäuft. Demgegenüber stand eine Margin von 300 Mio. Da muss die Hölle los gewesen sein...

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Es ist schwer zu sagen wie hoch das weltweite Shortvolumen wirklich war. Es dürfte aber beim Vielfachen der 6 Mrd., die über US Future gehandelt wurden, gewesen sein. Es wurden, das kann man vermuten, viele Milliarden in den Satz gesetzt. Ganz nebenbei sind nicht nur Händler und Anleger von der heftigen Bewegung betroffen. Schweizer Franken waren wegen niedriger Zinsen lange Zeit eine beliebte Kreditwährung. In vielen Ländern Europas wurden Immobilienkredite von CHF aufgenommen und nicht in der eigenen Landeswährung. In Polen dürften ca. 31 Mrd. CHF an Krediten für Immobilien aufgenommen worden sein. Hier hat sich der Kredit nun um über 20% erhöht. Der Verlust: über 6 Mrd. Nicht nur Privatpersonen sind stark betroffen. In Europa haben viele Gemeinden und Kommunen CHF Kredite aufgenommen. In Deutschland könnte so ein Verlust für die öffentliche Hand von 1 Mrd. anfallen. In Österreich sind Unternehmen und Privatpersonen mit insgesamt 29,5 Mrd. CHF verschuldet wie die Öster. Nationalbank mitteilte.

Noch ist die Lage unübersichtlich. Sollte sich der Franken Kurs allerdings nicht schnell in die andere Richtung bewegen, dann dürften weltweit mehrere Dutzend Milliarden an Verlusten anfallen. Das gilt allein für Währungstrades und bezieht die Verluste an der Schweizer Börse nicht mit ein. An der Schweizer Börse wurden geschätzt über 150 Mrd. an Wert vernichtet.
Eine Lappalie war die Entscheidung der SNB so gesehen wirklich nicht und hier wird es so langsam spannend. Die SNB handelte in dem Bewusstsein, dass die Verluste weltweit Dutzende Milliarden sein würden. Rechnet man die Verluste von Schweizer Aktien mit ein, dann geht es deutlich über 100 Mrd. Trotzdem handelte sie, wie sie nun einmal handelte. Rechtlich ist das wohl einwandfrei und es gab auch gute Gründe dafür.

Ein Mindestkurs lässt sich nicht behutsam aufheben. Das einzige, was denkbar gewesen wäre, wäre eine graduelle Anpassung gewesen. Die Notenbank hätte in diesem Fall angekündigt, dass der Mindestkurs z.B. auf 1,10 gesenkt wird. In diesem Fall wäre sofort sehr viel Geld in den CHF Raum geflossen. Der Aufwertungsdruck wäre hoch gewesen, schon allein auch durch die massenweise Auflösung von Shortpositionen. Ohne weitere Intervention seitens der SNB wäre ein neuer Mindestkurs nicht zu halten gewesen. Keiner weiß, wie hoch eine solche Intervention hätte sein müssen. Bei einer Bilanz von über 500 Mrd. wäre es aber auf 10, 20 oder gar 50 Mrd. mehr wohl kaum angekommen, vor allem wenn man bedenkt, wie hoch die Verluste aus der Schocktherapie waren.

Es hätte durchaus Wege gegeben den Prozess etwas schonender ablaufen zu lassen. Die Entscheidung ist anders gefallen und sie führt eindrucksvoll vor Augen, welche Macht Notenbanken haben. Sie haben zudem nicht nur eine ungehörige Macht, sie müssen sich dafür auch vor niemanden verantworten, sofern die Entscheidungen innerhalb des Mandats liegen. Wie so ein Mandat interpretiert werden kann sehen wir täglich bei der EZB.
Dass die Allmacht der Notenbanken nicht überall auf Gegenliebe stößt ist kein Geheimnis. Die Aktion der SNB wirft nun aber wieder Fragen auf, die seit 2008/09 kaum jemand mehr gestellt hat. Im Kern geht es darum, ob Notenbanken wirklich so viel Macht haben sollten und wenn, ob sie sich nicht auch verantworten müssen. Mit der Verantwortung ist es allerdings so eine Sache. Wer soll die Notenbank kontrollieren können? Die Politik wäre der Aufgabe kaum gewachsen. Zudem ist es absolut essentiell, dass kein Politiker in die Notenbankpolitik eingreifen kann. Der eine oder andere Politiker wünscht sich bestimmt ein von der Notenpresse finanziertes Konjunkturprogramm. So etwas geht selten gut. Das hat die Geschichte oft genug gezeigt.

Die Frage, was eine Notenbank noch darf und was nicht ist sicherlich keine rein rechtliche Fragestellung. Es ist vor allem eine Frage verantwortungsvoller Führung und Entscheidung. Hier gibt es kein Regelwerk, sondern nur das, was Notenbanken sich über Jahrzehnte angeeignet haben. Dazu zählt entweder absolute Verschwiegenheit, Intransparenz, „Fed-Sprech“ oder gezielte Manipulation. Letzteres ist äußerst problematisch. Wenn Notenbanker zu Beginn der Woche Stein und Bein schwören, der Mindestkurs werde gehalten, dann aber kurz darauf das Gegenteil beschlossen wird, dann ist das vorsätzliche Täuschung. Man muss sich fragen, wieso Notenbanker das dürfen, Kaufleute aber nicht.

Notenbanken müssen unabhängig bleiben. Sie sollten sich dennoch in einem Rahmen bewegen, der gewissen Grundsätzen folgt. Dazu gehört etwa das Verbot vorsätzlicher Täuschung. Notenbanken schaffen Erwartungen. Die EZB baut seit Monaten die Erwartung von QE auf. Die ganze Welt setzt darauf. Würde die EZB jetzt kein QE beschließen, dann kann man sich nur ansatzweise vorstellen, was da los wäre. Auch hier muss man fragen: darf eine Notenbank so hohe Erwartungen aufbauen, wenn sie nicht vorhat, sich daran zu halten?

Eine Lösung für das Dilemma habe ich nicht. Was man nun aber noch einmal betonen kann ist sicherlich, dass es Notenbanken an Good Governance fehlt.

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    ​Trotz Eingabe einer Stop-Loss-Limite und dem Mechanismus des Margin-Account (automatische Glattstellung der Positionen ab einem gewissen Verlust) wurden völlig unerwartete Verluste eingefahren, weil der Kurs EUR/CHF in einem ersten Schritt innert Sekunden wie ein Stein von 1.2010 auf 1.0410 gefallen ist. Das Margin-Account reichte für die Deckung der Verluste nicht mehr und in der Schweiz hat der Kunde eine Nachschusspflicht. In meinem Fall beträgt der Verlust 250% des Margin-Account-Betrages.

    Diesen aussergewöhnlichen Kursrutsch haben wir der schändlichen Informationspolitik der SNB zu verdanken (am Montag wurde noch von einem SNB-Direktor bestätigt, dass

    der Mindestkurs aufrechterhalten werde).

    Ich wäre daran interessiert, mittels einer Sammelklage die SNB auf Schadenersatz zu verklagen.

    18:07 Uhr, 18.01. 2015
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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