Kommentar
12:31 Uhr, 23.07.2019

Momentum und „Low Volatility“- zwei Seiten derselben Medaille

Seit 1970 ist bekannt, dass systematische Investment-Ansätze in schwach schwankende Aktien Überrenditen erlauben. Warum funktioniert die sogenannte „Low Volatility“ - Anomalie?

Erwähnte Instrumente

  • Dow Jones
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    Kursstand: 27.171,90 $ (NYSE) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung

Dr. Wilhelm Berghorn ist Gründer von Mandelbrot Quantitative Research UG sowie der Mandelbrot Asset Management GmbH. Er hat Mathematik und Informatik studiert und wurde im Jahr 1999 in der Mathematik promoviert. In seiner Diplomarbeit und in seiner Promotion beschäftigte er sich mit der Anwendung von Wavelet-Analysen.


Momentum-Serie (Teil 6)

Hier finden Sie bereits auf GodmodeTrader veröffentliche Artikel der Momentum-Serie von Dr. Wilhelm Berghorn

Können Märkte effizient sein? (Teil 1)

Höhere Renditen mit Momentum-Strategien (Teil 2)

Wegweisende Erkenntnisse zum Verhalten von Aktienkursen (Teil 3)

Momentum: Das Langzeitgedächtnis des Marktes? (Teil 4)

Basieren Trends nur auf kognitiven Verzerrungen? (Teil 5)


Ein Grundpostulat im Kontext der Theorie der Effizienten Märkte ist der Zusammenhang zwischen Risiko-Faktoren und Rendite. Im Zusammenhang mit der Effizienz-Markt-Hypothese, die postuliert, dass Aktienrenditen unabhängig von der Vergangenheit sind, spielt das „Capital Asset Pricing“ Modell (CAPM) eine zentrale Rolle. Dieses zerlegt eine Aktienrendite in eine Marktrendite und in eine unternehmensspezifische Rendite in Relation zum Markt (Beta-Faktor). Entlang dieses Rahmens geht man von Gleichgewichtsprozessen aus. Investoren können mittel- und langfristig den Markt nur schlagen, wenn sie größere Risiken eingehen. Alles andere ist entweder nur temporär oder reines Glück.

Eugene F. Fama und Kenneth French haben dieses Ursprungsmodell dann um zwei Faktoren erweitert: „Value“ und Größe des Unternehmens („Size“-Effekt). Hierbei ist die Argumentation entlang der Theorie, dass insbesondere niedrig bewertete oder kleine Unternehmen spezielle (Bilanz-) Risiken aufweisen, die dann über eine „Prämie“ an den Investor vergütet werden.

Size-Effekt verschwindet

Aber auch an dieser erweiterten Sichtweise gibt es inzwischen anschwellende Kritik. So untersuchen drei Autoren von AQR Capital Management in ihrer Arbeit „Fact, Fiction, and the Size Effect“ (1) den Größen-Effekt und kommen zu dem Schluss, dass der „reine“ systematische Größen-Effekt entweder verschwunden ist oder sogar niemals existiert hat. Eindrücklich weisen sie darauf hin, dass dieser Effekt vom Januar-Effekt dominiert wird und aus ihrer Sicht in der Praxis keine systematische Prämie vereinnahmt werden kann.

Es bleibt aus dem Ursprungsmodell der systematische „Value“-Effekt. Hier gibt es zwar Belege für die Existenz in der Literatur, allerdings zeigen prominente Index-Ansätze seit über zehn Jahren keine systematischen Überrenditen mehr an.

2013 erweiterten Fama und French nochmals ihr drei Faktoren-Modell auf fünf Faktoren. Allerdings bleiben sie für die erweiterten Faktoren eine verhaltensbezogene oder risikospezifische Erklärung schuldig. In der akademischen Diskussion zu dieser Arbeit (2) wird dann auch konsequent die Frage gestellt, warum eigentlich nicht andere in der Literatur validierte Faktoren wie z.B. Momentum (systematische Investition in stark ansteigende Aktien) und „Low Volatility“ (systematische Investition in schwach schwankende Aktien) einbezogen werden.

Das Problem, was sich ergibt, ist, dass es bei beiden dieser Faktoren zum einen keine Risikoargumentation gibt und beide zudem diametral der Theorie der Effizienten Märkte entgegenstehen. Momentum ist zwar der (risikoadjustiert) stärkere Faktor, aber „Low Volatility“ ist theoretisch ebenso interessant.

Momentum und „Low Volatility“- zwei Seiten derselben Medaille

Seit 1970 ist bekannt, dass systematische Investment-Ansätze in schwach schwankende Aktien - also Aktien mit geringerem Risiko als die des Gesamtmarktes - Überrenditen erlauben. Nach dem oben diskutierten CAPM darf aber genau das nicht passieren.

Warum funktioniert also die sogenannte „Low Volatility“ - Anomalie? Wer sich einmal von den klassischen Betrachtungen löst und die Märkte durch die „Trendbrille“ analysiert, so wie wir das bei Momentum anhand der Wavelet-Trendzerlegung vollzogen haben , der sieht eine geradezu triviale Argumentation.

Jeder Praktiker weiß, dass Auf- und Abwärtstrends in Aktienmärkten unterschiedlich sind. Misst man dieses einmal anhand der präzisen Zerlegung durch Wavelets nach, ergibt sich folgendes Bild:

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Kurz gesagt: Aufwärtstrends sind langsame und längere Rendite-Prozesse, während Abwärtstrends sich schneller und auf kürzeren Zeitskalen vollziehen. Wer dann noch weiß, dass Trendwechsel in Aktienzeitreihen automatisch höhere Volatilität bedingen, der kann sofort folgenden Schluss ziehen: „Low Volatility“-Ansätze wählen indirekt längere und stabile Rendite-Pfade aus, da bei diesen die Volatilität niedrig ist.

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Diese Abbildung zeigt die asymmetrische Charakteristik von Trends bei Aktien. Ausgehend von einer Wavelet-Skala werden die Trends für alle Aktien berechnet (Grundlage ist der Bloomberg Welt-Index ohne China). Die individuellen Trendcharakteristiken, wie die Länge und die Tagesrendite im Trend, werden dann separat für Auf- und Abwärtstrends aller Aktien dieser Kohorte gemittelt. Aufgetragen ist auf der x-Achse die zugrunde gelegte Wavelet-Skala für die Trendzerlegung. Die grünen Graphen beziehen sich auf die Charakteristiken der Aufwärtstrends (aller Aktien, im Mittel). Die roten Graphen beziehen sich analog auf die Abwärtstrends. Aufwärtstrends sind im Vergleich zu Abwärtstrends längere Bewegungen (gilt für alle Skalen). Ab Skala 11 sind allerdings die Abwärtstrends in ihren Renditeverlusten stärker.

Das dem so ist, sieht man dann anhand der Wavelet-Trendzerlegung. In der Arbeit „Trend Momentum II“ haben wir nicht nur Momentum durch unser Trendmodell repliziert (3), sondern auch die „Low Volatility“-Anomalie. Während das 6-Monats-Momentum einer Wavelet-Skala von 19 entspricht, ist das 12-Monats-Momentum auf Skala 34 zu finden. Dahingegen „lebt“ die „Low-Volatility“-Strategie auf Wavelet-Skala 52. Hierbei kann man direkt nachmessen, dass überwiegend lange Aufwärtstrends (modelliert durch die Wavelet-Trendzerlegung) in das „Low Volatility“-Portfolio geholt werden (ca. 75 % der Aktien haben Aufwärtstrends nach unserem Modell).

Damit wird auch klar, warum „Low Volatility“ und Momentum sich ergänzende Faktoren sind. Während Momentum bei Trendwechseln der Aktien Unterrenditen erzeugt, investiert „Low Volatility“ statistisch und im Mittel in stabilere Renditepfade (und längere Trends) und kann so insbesondere in Abwärtsphasen seine Stärken gegenüber dem Markt ausspielen. Hierbei sollte ein Investor allerdings beachten, dass risikoadjustiert sowie mittel- und langfristig Momentum eine vielfach höhere (risikoadjustierte) Rendite erzeugt - ist also auf lange Sicht sehr viel attraktiver, aber in Stresssituationen durchaus psychologisch anspruchsvoller.

Fraktale Märkte

Wohin führt uns das? Mit einem weiteren Experiment bringt uns das an den Ursprung Mandelbrot’s These der Fraktalen Märkte. Zieht man die Trends (modelliert durch die Wavelet-Trendzerlegung), die Momentum aufspannen, von den Zeitreihen ab, dann bleibt das sogenannte „Mean Reversion“ (4) (Zurückziehen der Renditen auf einen Mittelwert) übrig. Das zeigt, wie die nachfolgende Grafik veranschaulicht, dass wir es im besten Sinne mit fraktalen Überlagerungsprozessen in den Aktienzeitreihen zu tun haben.

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Schematische Darstellung der Faktor-Strategien bzw. Datencharakteristiken anhand der Wavelet-Skala.

Theoretisch führt dies Investoren allerdings in sehr schwieriges Fahrwasser. Würde man den Kritikern des 5-Faktor-Modells folgen und die Aktienrenditen in die verschiedenen Momentum- und „Low Volatility“-Faktoren erklärend zerlegen, dann würde man versuchen, Märkte in Risikoprämien zu zerlegen, die genau der Ursprungsannahme aufgrund des „Trendings“ als Renditequelle entgegenstehen und keine wirklichen Risiken repräsentieren. Es wäre ein Schritt in Richtung der Theorie Ineffizienter (Fraktaler) Märkte.

Fazit

Sind Märkte nun effizient?

Ja und Nein. Es hängt von der (Zeit-) Skala der Betrachtung ab. Natürlich kann man nur schwer ermessen, wie sich eine Rendite morgen auf Basis welcher Nachrichten wie entwickeln wird. Und sicherlich ist die Theorie auch eine erste wichtige Näherung im Verständnis von Aktienmarktrenditen. Vergrößert man allerdings die Zeitskala der Betrachtung, dann lassen die mathematischen Faktoren Momentum und „Low Volatility“ (risikoadjustierte) Überrenditen zu. Hierbei spielt das „trending“-Konzept - ursprünglich 1968 von Mandelbrot und van Ness im Kontext der gebrochen Brownschen Bewegungen eingeführt - im Verständnis eine erhebliche Rolle.

Modelliert man das „trending“ direkt durch Trends (auf Basis der Wavelet-Trendzerlegung), führt es zwangsläufig auf den Weg der fraktalen (und ineffizienten) Märkte - eines der Grundpostulate von Benoît Mandelbrot. Rückblickend sind die Arbeiten und Sichtweisen von Mandelbrot wesentlich im Verständnis der verschiedenen Faktor-Ansätze. Wenn man es ganz genau nimmt, liefern sie auch den theoretischen Überbau zwischen denjenigen aus der Kapitalmarktforschung, die immer wieder „serielle Korrelation“ oder „trending“ statistisch nachgewiesen haben und denjenigen, die sich mit den Kapitalmarkt - Anomalien beschäftigen. Auch das sind zwei Seiten derselben Medaille: Trends.

Dr. Wilhelm Berghorn


(1) Alquist, Ron and Israel, Ronen and Moskowitz, Tobias, Fact, Fiction, and the Size Effect, The Journal of Portfolio Management, 2018, doi:10.3905/jpm.2018.1.082}

(2) Blitz, David and Hanauer, Matthias X. and Vidojevic, Milan and Vliet, Pim van, Five Concerns with the Five-Factor Model, The Journal of Portfolio Management, Vol. 44, No. 4, 2018, pp. 71-78.

(3) Hierbei werden die originalen Faktoren / Investment-Ansätze durch Investment-Ansätze, die allein die letzen sichtbaren Trends auswerten, angenähert. Die Wavelet-Skala wird dabei so gewählt, dass die Rendite-Pfade des originalen Faktors möglichst genau abgebildet werden. Die Güte dieser Replikation (Korrelation zum Ursprungsverfahren) beträgt dabei über 99 %. Man ersetzt also das Ursprungsverfahren durch ein Verfahren mit Trends und kann dann die ursprüngliche Strategie anhand der Trends auswerten.

(4) „Trending“ und „Mean Reversion“ in Zeitreihen lassen sich wiederum durch den sogenannten Hurst-Exponenten der gebrochen Brownschen Bewegungen charakterisieren (Mandelbrot und van Ness 1968).


Dieser Artikel ist im Rahmen der Momentum-Serie für die Universal Investment-Gesellschaft mbH erschienen.

Auf der Website www.mandelbrot.de finden Sie viele weitere Analysen zur Kapitalmarkttheorie und dem Mandelbrot-Markt-Modell, welche Mandelbrot Asset Management auch in zwei Fonds umsetzt.


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