Kommentar
09:34 Uhr, 21.09.2018

Können Märkte effizient sein?

Sind Märkte effizient? Darüber streiten sich Kapitalmarktheoretiker. Mit dem Low-Volatility-Faktor und insbesondere dem Momentum-Faktor gibt es zwei mathematische Modelle, die empirisch das Gegenteil belegen. Investoren können diese Faktoren systematisch nutzen.

Dr. Wilhelm Berghorn ist Gründer von Mandelbrot Quantitative Research UG sowie der Mandelbrot Asset Management GmbH. Er hat Mathematik und Informatik studiert und wurde im Jahr 1999 in der Mathematik promoviert. In seiner Diplomarbeit und in seiner Promotion beschäftigte er sich mit der Anwendung von Wavelet-Analysen.

Momentum-Serie (Teil 1)

Märkte sind effizient! Sind Märkte effizient? Darüber streiten sich die Kapitalmarktheoretiker seit langem. Mit dem Low-Volatility-Faktor und insbesondere dem Momentum-Faktor gibt es aber zwei mathematische Modelle, die empirisch das Gegenteil belegen. Investoren können diese Faktoren systematisch nutzen.

Die am intensivsten diskutierte Hypothese der klassischen Kapitalmarktheorie ist die Theorie der „effizienten Märkte“, die von Eugene Fama 1970 in einer Übersichtsarbeit erstmalig postuliert wurde. In dieser Theorie wird angenommen, dass alle Marktteilnehmer rational und auf Basis gleicher Informationen handeln und die Summe dieser Informationen schon im aktuellen Preis verarbeitet ist. Insbesondere kann hieraus gefolgert werden, dass alle verfügbaren Informationen der Vergangenheit keinen Einfluss auf die zukünftige Rendite haben. Im Einklang mit weiteren Meilensteinen der klassischen Finanzmathematik, beispielsweise von Harry Markowitz, William Sharpe oder auch John Litner, ergibt sich hieraus die Schlusskette, dass Anleger entweder eine höhere Rendite als der Markt generieren, weil sie größere Risiken eingehen oder, dass solche „Anomalien“ lediglich temporär existieren, da Marktgleichgewichte unterstellt werden. In letzter Konsequenz begründet diese Theorie dem massiven Boom von Indexfonds (ETFs) auf passive Indizes, weil dauerhaft niemand den Markt schlagen könne.

Die Theorie der effizienten Märkte wird massiv kritisiert

Allerdings gab es frühzeitig ebenso massive Kritik an dieser Sichtweise, die thematisch in drei Kategorien einsortiert werden kann. In der mathematischen Kritik dürfen stellvertretend die Arbeiten von Benoît Mandelbrot aber auch Andrew W. Lo gesehen werden, die das zentrale Postulat in Frage stellen, wonach der rückwärtige Kursverlauf unerheblich für die zukünftige Renditeerwartung ist. In der zweiten Kategorie befinden sich die Vertreter aus der „Behavioral Finance“, die über Experimente und Studien der Annahme rationaler Investoren widersprechen. Zum einen ist hier Robert Shiller zu nennen, der gezeigt hat, dass Aktienpreise wesentlich stärker schwanken, als dies fundamental gerechtfertigt ist und zum anderen die Arbeiten von Kahnemann und Tversky, die gezeigt haben, daß Investoren immer wieder kognitiven Verzerrungen unterliegen.

Zur dritten Kategorie gehören empirische Studien, die immer wieder „Anomalien“ aufgezeigt haben, die eine dauerhafte Überrendite erlauben. Zu den bekanntesten gehören der Value-Effekt durch strukturierte Investitionen in unterbewertete Unternehmen und der Größen-Effekt über Investitionen in kleine Unternehmen. Weitere Effekte sind Bilanz-Qualität und zwei mathematische Faktoren, die Low-Volatility-Anomalie mit Investitionen über Aktien mit niedriger Schwankung sowie Momentum, also Investitionen in Aktien mit höchster Rendite über einen rückliegenden Zeitraum.

Während bei den drei erstgenannten immer wieder Risiken unterstellt werden konnten – und damit im Einklang der Theorie der „Effizienten Märkte“ gesehen werden –, stehen die beiden letzten mathematischen Faktoren, die lediglich den Kursverlauf analysieren, diametral selbst zur abgeschwächten Form dieser Theorie.

Der Low-Volatility-Faktor bevorzugt genau jene Aktien, die schwankungsarm sind und die damit eigentlich das geringste Risiko aufweisen sollten. Über mittel- und langfristige Horizonte ergibt sich eine risikoadjustierte Überrendite zum Markt. Während diese Überrenditen noch statistisch als nicht signifikant angreifbar sind, stellt sich bei Momentum eine ganz andere Situation dar.

Was ist der Momentum-Faktor?

In ihrer Grundlagenarbeit (1993) und ausgelöst von Analysen vergangener Arbeiten von Levy (aus dem Jahr 1967) stellen Narasimhan Jegadeesh und Sheridan Titman ein einfaches regelbasiertes System auf, welches einen Markt systematisch anhand der Kursverläufe analysiert. Grundlage ist die Beobachtung, daß Aktien, die in Schwung geraten, auch weiter in Schwung bleiben – also Momentum haben.

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Fraktalbild erzeugt mit der Applikation "Frax" von Kai Krause.

Hierzu werden alle Aktien anhand ihrer vergangenen Rendite bewertet, üblicherweise über sechs oder zwölf Monate. Anhand der so gemessenen historischen Rendite werden diejenigen Aktien mit der höchsten Rendite in ein Zielportfolio übernommen, zum Beispiel zehn bis 30 Prozent eines Marktes. Alle Titel werden gleich gewichtet und dieser Sortierungsprozess in regelmäßigen Abständen, monatlich oder halbjährlich, wiederholt. Vergleicht man nun dieses Portfolio mit einem Short-Portfolio, in welchem diejenigen Titel mit der geringsten Rendite leerverkauft werden, dann ergibt sich hierdurch schon alleine ein abnormaler zweistelliger Renditeabstand pro Jahr. Das heißt, die vergangenen Gewinner-Aktien entwickeln sich deutlich besser als die vergangenen Verlierer-Aktien.

Diese Grundlagenarbeit zog weitere empirische Studien nach sich. Stand heute sind über 40 Märkte und unterschiedliche Asset-Klassen bis teilweise in das Jahr 1801 dokumentiert. Momentum kommt fast überall vor. Eine Ausnahme ist zum Beispiel Japan. Die Schlichtheit des Ansatzes, aber auch die enormen mittel- und langfristigen Überrenditen in allen Märkten, machen diesen Ansatz zu einem des stärksten Gegenbeispiels im Kontext der Theorie der „effizienten Märkte“ – konsequenter Weise bezeichnet Eugene Fama in einem Interview mit Robert Littermann Momentum auch als die „größte potenzielle Peinlichkeit“ seiner Theorie.


Dieser Artikel ist im Rahmen der Momentum-Serie für die Universal Investment-Gesellschaft mbH erschienen.

Auf der Website www.mandelbrot.de finden Sie viele weitere Analysen zur Kapitalmarkttheorie und dem Mandelbrot-Markt-Modell, welche Mandelbrot Asset Management auch in zwei Fonds umsetzt.


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