Kommentar
12:16 Uhr, 10.09.2022

Inflationsbekämpfung: Warum die Geschichte nichts Gutes verheißt

Den Finanzmärkten könnte in den kommenden Quartalen ein böses Erwachen drohen, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

Sowohl die US-Notenbank Fed als auch die Europäische Zentralbank (EZB) haben sich inzwischen voll der Bekämpfung der hohen Inflation verschrieben, wie es ja auch dem eigentlichen Mandat der Notenbanken entspricht. Und sowohl Fed-Chef Jerome Powell als auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde haben zuletzt durchblicken lassen, dass die Bekämpfung der hohen Inflation selbst dann Vorrang haben muss, wenn die Wirtschaft in eine schwere Krise schlittern sollte.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Optimismus mit Blick auf die Bekämpfung der hohen Inflation auch kaum angebracht ist. Mitte der 1970er Jahre und Anfang der 1980er Jahre erreichte die Inflation das letzte Mal die Niveaus von heute bzw. stieg sogar noch darüber hinaus.

Die hohe Inflation hatte damals (wie heute) mehrere Ursachen:

  • In den 60er Jahren hatten die USA ein hohes Haushaltsdefizit, unter anderem ausgelöst durch die Finanzierung des Vietnamkrieges und höhere Sozialausgaben. Die Notenbank versuchte durch eine Niedrigzinspolitik, die Finanzierung des Haushaltsdefizits zu erleichtern und außerdem die in der Rezession steckende Wirtschaft zu beleben.
  • Die beiden Ölkrisen 1973 und 1979/1980, aber auch Preisschocks bei anderen Rohstoffen führten immer wieder zu stark steigenden Inflationsraten. Auch in den 1970er Jahren herrschte dabei vielfach die falsche Vorstellung vor, dass die Inflation nach dem Ende der Rohstoffkrisen wieder "von selbst" auf alte Niveaus sinken würde, was sich aber nicht bewahrheitete
  • Stattdessen wurde die Inflation über steigende Inflationserwartungen mit der Zeit zu einer "selbsterfüllenden Prophezeiung". Weil Bürger und Unternehmen mit weiter steigenden Preisen rechneten, stiegen Löhne und Preise tatsächlich immer weiter und befeuerten sich im Zuge einer Lohn-Preis-Spirale gegenseitig.

Es war der legendäre US-Notenbankchef Paul Volcker, der durch eine kompromisslose Straffung der US-Geldpolitik schließlich in den USA den Teufelskreis durchbrach, allerdings zum Preis einer deutlich einbrechenden Konjunktur.

Die folgende Grafik zeigt sowohl die US-Inflationsrate (blaue Linie) als auch den effektiven Fed-Leitzins (rote Linie) von Mitte der 1960er bis Anfang der 1990er Jahre. Mehrfach musste die US-Notenbank die Geldpolitik so sehr straffen, dass die Wirtschaft in eine Rezession rutschte (graue Bereiche im Chart), um den hohen Inflationsdruck zu brechen.

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Quelle: fred.stlouisfed.org

Im Jahr 1980 und in den folgenden Jahren musste die effektive Fed Funds Rate sogar bis auf knapp 20 Prozent erhöht und die Geldmenge drastisch reduziert werden, um die hohe Inflation wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Bemerkenswert ist auch, dass der Leitzins damals deutlich über die Inflationsrate angehoben werden musste, um den hohen Inflationsdruck endgültig zu brechen. Übertragen auf heute würde dies einem Zinsniveau von knapp 10 Prozent entsprechen, was wohl eine sehr tiefe Wirtschaftskrise auslösen würde.

Die heutigen Parallelen zu den 1970er/80er-Jahren sind zahlreich:

  • eine stark expansive Geldpolitik mit Niedrigzinsen und stark wachsender Geldmenge im Vorfeld der anziehenden Inflation
  • eine chronisch wachstumsschwache Wirtschaft
  • hohe Staatsausgaben durch Aufrüstung, Krieg und steigende Sozialausgaben (sowie dieses Mal zusätzlich durch die Energiewende)
  • Preisschocks bei Energierohstoffen und Nahrungsmitteln
  • Entstehung einer Lohn-Preis-Spirale, wodurch die hohe Inflation zunehmend zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wird.

Derzeit erwarten die Finanzmärkte, dass die Notenbanken den Leitzins maximal bis vier oder fünf Prozent anheben werden und dies ausreicht, um die Inflation wieder deutlich zu reduzieren. Mit Blick auf die Inflationsentwicklung in den 70er und 80er Jahren könnte sich diese Prognose als zu optimistisch erweisen. Möglicherweise müssen die Leitzinsen bis knapp unter 10 Prozent steigen, um die Inflation tatsächlich wieder in die Nähe von zwei Prozent sinken zu lassen.

Fazit: Ein Blick in die Geschichte verheißt nichts Gutes mit Blick auf die aktuell hohen Inflationsraten. Die Notenbanken werden ihre Geldpolitik wohl noch sehr viel stärker straffen müssen, um die hohen Teuerungsraten tatsächlich unter Kontrolle zu bekommen. Anders als vom Markt eingepreist könnten Zinsen von knapp unter 10 Prozent notwendig werden, um die hohe Inflation nachhaltig zu bekämpfen.


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  • Bigdogg0806
    Bigdogg0806

    Wie kommen sie auf die Idee das die Notenbanken sich tatsächlich um die Inflation scheren würden??

    17:14 Uhr, 11.09.2022

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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