Fundamentale Nachricht
14:44 Uhr, 07.08.2020

Immer mehr Schulden sind nicht die Lösung

Eine gesunde Allokation in Staatsanleihen, selbst auf dem derzeit niedrigen Niveau der Renditen, ist nach Meinung von Ariel Bezalel, Head of Strategy, Fixed Income und Harry Richards, Fondsmanager im Fixed Income-Team bei Jupiter Asset Management weiterhin gerechtfertigt.

Versuchen Regierungen und Notenbanken, Schuldenprobleme mit noch mehr Schulden zu beheben? Geld- und finanzpolitische Interventionen geben den Börsen Auftrieb, während zugleich die Wirtschaftsdaten einbrechen. Dies wirft die Frage auf, wo Anleger an den Anleihemärkten aktuell Chancen finden können und welche Fallstricke es zu meiden gilt.

Verliert die Fiskalpolitik ihre Wirksamkeit?

Risikoanlagen haben sich seit Mitte März spektakulär erholt, doch die Märkte für Staatsanleihen signalisieren eine gänzlich andere Realität. Derzeit haben Staatsanleihen im Volumen von fast 12,4 Billionen USD negative Renditen, und auch Kanada, Großbritannien, Irland und Belgien haben sich inzwischen zur Gruppe der Länder mit negativen Renditen gesellt.

Eine Situation wie die, in der wir uns momentan befinden, hat es noch nie gegeben: Über 90 Prozent aller Länder weltweit stecken in einer Rezession, das sind sogar mehr als während der Weltwirtschaftskrise – und in 40 Prozent der Länder sind die Inflationsraten rückläufig. Weltweit ist die Verschuldung nach oben geschnellt. Allein in den letzten Monaten haben die Regierungen rund 10 Billionen USD an zusätzlichen Schulden aufgenommen. Zusammen mit den Maßnahmen der Notenbanken ergibt sich eine Summe von rund 25 Billionen USD, die für diverse Hilfspakete bereitgestellt wurde. Auch die Schulden der Unternehmen sind geradezu explodiert. Die Firmen beschaffen sich Geld an den Anleihemärkten oder nehmen Bankkredite auf. Die Erfahrung zeigt, dass Hilfsmaßnahmen von Notenbanken, wie das TLTRO-Programm in Europa, von den Unternehmen eher zur Stärkung ihrer Liquidität als für Investitionen ins Produktivvermögen genutzt werden. Für das künftige Wachstum dürfte sich dies als erheblicher Gegenwind erweisen.

Doch ein Schuldenproblem schafft man nicht mit noch mehr Schulden aus der Welt. Die Fiskalpolitik verliert ihre Wirksamkeit, wenn die Verschuldung aus dem Ruder läuft. In den 1950er-Jahren erhöhte sich das Bruttoinlandsprodukt durch jeden zusätzlichen Dollar, den sich der Staat lieh, um 0,8 USD – heute sind es weniger als 0,4 USD. Dieser Trend ist weltweit zu beobachten. Konjunkturprogramme stimulieren die Wirtschaft nur kurzfristig – schon nach wenigen Quartalen beginnt der Effekt zu schwinden, da zu hohe Schulden und eine alternde Bevölkerungsstruktur die Volkswirtschaften belasten. Unseres Erachtens wird das Anhäufen von Schuldenbergen die „Japanisierung“ sämtlicher westlicher Industriestaaten beschleunigen, mit der Folge immer weiter sinkender Renditen.

Parallel zum Rückgang der Anleiherenditen dürfte sich auch die Abflachung der Renditekurven fortsetzen. So könnte die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe auf null oder sogar darunter sinken, während für die 30-jährige Anleihe eine Rendite unterhalb von 1 Prozent denkbar erscheint. Dies wirkt sich begünstigend auf die Kurse von Staatsanleihen aus, daher sind wir bullish für US-Treasuries mit mittleren bis langen Restlaufzeiten. Australien ist ein weiterer Markt, von dem wir glauben, dass dort mit Staatsanleihen hohe Renditen zu erzielen sind.

Deflation versus Inflation

In letzter Zeit ist viel über den starken Anstieg der Geldmenge gesagt und geschrieben worden. Doch obwohl die Notenbanken mit ihren Anleihekaufprogrammen ungeahnte Summen in die Märkte gepumpt haben, scheint das viele Geld nicht in der Realwirtschaft anzukommen. In Europa sind die Kreditvergabekriterien verschärft worden, und in den USA vergeben die Banken angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheit und des starken Anstiegs der Kreditausfälle nur zögerlich neue Kredite an Unternehmen.

Ein wichtiger Aspekt ist die abnehmende Geldumlaufgeschwindigkeit. Diese Entwicklung vollzieht sich in Europa, den USA, China und Japan schon seit mehreren Jahrzehnten. Solange die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nicht steigt, ist auch kein wachsender Inflationsdruck zu erwarten.

Aus unserer Sicht befinden wir uns nach wie vor in einem deflationären Umfeld. Eine Wende könnten echte Innovationen in der Geldpolitik bringen, etwa durch die „Modern Monetary Theory“ (MMT). Die Anwendung dieser Theorie könnte den Aufwärtsdruck auf die Staatsanleiherenditen erhöhen, und wahrscheinlich sähe sich die Federal Reserve veranlasst, die Renditekurve gezielt zu beeinflussen, um die längerfristigen Renditen niedrig zu halten. Bis es dazu möglicherweise kommt, dürften aber noch ein oder zwei Jahre vergehen.

Risiken kalkuliert eingehen

Genauso wichtig wie die Meidung von „Tretminen“ ist die Auswahl von Emittenten, die in dem gegebenen Umfeld florieren können. Die Notenbanken mögen eine Liquiditätskrise verhindert haben, doch nun droht eine Insolvenzkrise. Für die USA geht Moody’s in seinem Basisszenario davon aus, dass die Ausfallquoten im spekulativen Bereich auf etwa 14 Prozent steigen werden, unter pessimistischeren Annahmen sogar auf deutlich über 15 Prozent. Für Europa wird mit einem Anstieg der Ausfallquoten auf 8 Prozent (Basisszenario) beziehungsweise auf niedrige zweistellige Werte bei einem pessimistischeren Szenario gerechnet. Solche hohen Ausfallquoten hat es seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr gegeben.

Wir setzen deshalb auf Unternehmen mit robusten Fundamentaldaten. Konjunktursensitivere Bereiche wie die Automobilbranche, die Industrie und einige Unternehmen des Roh-/Werkstoffsektors, die uns – besonders nach Inanspruchnahme von Notkrediten in der Coronakrise – stark überschuldet erscheinen, meiden wir bewusst.

Gründliche Kreditanalyse entscheidend

Die Berichtssaison für das dritte und auch für das vierte Quartal wird zweifellos mit etlichen negativen Überraschungen aufwarten. Der entscheidende Faktor, um dem aus dem Weg zu gehen und in beiden Perioden eine gute Performance zu erzielen, sind gründliche Kreditanalysen.

Im High-Yield-Segment konzentrieren wir uns gegenwärtig auf den qualitativ besseren Bereich des Markts (BB-Ratings und hohe B-Ratings), während wir CCC-Ratings und den unteren Bereich der B-Ratings meiden. Wir favorisieren Unternehmen, die im gesamten Konjunkturzyklus Gewinne erzielen können und deren Anleihen mit erstklassigen Sicherheiten unterlegt sind. Viele solcher Titel finden wir im Pharmasektor, in der Lebensmittel- und Getränkebranche sowie in den TMT-Branchen. Bei einigen dieser Unternehmen verbessert sich das Kreditprofil infolge von Covid-19.

Albertsons ist ein gutes Beispiel für einen Emittenten aus dem Hochzinssegment mit einem sich verbessernden Kreditprofil. Die mit BB-/B2 bewertete US-amerikanische Supermarktkette besitzt etwa 40 Prozent ihrer Märkte, und mit der integrierten Apotheke ist Albertsons aus Konsumentensicht ein bequemer „One-Stop-Shop“. Nach unseren Berechnungen haben die Märkte, die Herstellungsbetriebe und die Distributionszentren einen Gesamtwert von über 11 Mrd. USD. Das entspricht über 160 Prozent der Nettoschulden und bedeutet eine sehr gute Anlagendeckung. Die Halter der Anleihen genießen dadurch einen gewissen Schutz. Albertsons hatte schon im Vorfeld seines kürzlich erfolgten Börsengangs Schulden reduziert. Da die Lebensmittelumsätze angesichts der Coronavirus-Pandemie gestiegen sind, nimmt auch der Schuldenabbau deutlich Fahrt auf.

Wir gehen davon aus, dass die rapide Verbesserung der Fundamentaldaten in den kommenden Monaten zu einer kräftigen Outperformance der Anleihen führen wird. Zudem glauben wir, dass die Rating-Agenturen Albertsons heraufstufen werden – die Finanzkennzahlen des Unternehmens können mittlerweile fast mit denen seines Rivalen Kroger mithalten, der im Investment-Grade-Segment angesiedelt ist. Wir sehen darin einen weiteren Katalysator für eine Spread-Verengung.

Fazit

Treiber der Rally sind weiter die staatlichen Hilfsprogramme und nicht die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die, wie viele Datenreihen zeigen, weitaus schlechter sind als während der letzten Finanzkrise. Wir erwarten für das kommende Jahr eine Phase der Insolvenzen. Uns erscheint die derzeitige Situation günstig für Anleger, die gezielt nach interessanten Titeln suchen. Wir konzentrieren uns deshalb weiter auf die Suche nach Unternehmen mit robustem Geschäftsmodell, die sich trotz des unsicheren Umfelds behaupten können und die das Potenzial für eine attraktive Gesamtrendite bieten. Es ist wohl damit zu rechnen, dass die Deflation noch eine ganze Weile ein beherrschendes Thema bleiben wird. Vor diesem Hintergrund ist auch eine gesunde Allokation in Staatsanleihen, selbst auf dem derzeit niedrigen Niveau der Renditen, weiterhin gerechtfertigt.

1 Kommentar

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  • virgonet33kh
    virgonet33kh

    "Immer mehr Schulden sind nicht die Lösung" warum nichts solange es funktioniert ,...erst dann wird es andere "Lsg." geben

    15:02 Uhr, 07.08.2020