Kommentar
11:11 Uhr, 09.02.2016

Greift Mario Draghi zu dieser radikalen Maßnahme?

Die bisherigen Methoden der EZB stoßen sichtlich an ihre Grenzen, wenn sie denn überhaupt Wirkung zeigen. Was kann die Zentralbank noch machen?

Am 10. März findet die nächste EZB-Sitzung statt.

Vom Markt mit hoher Wahrscheinlichkeit antizipiert wird eine weitere Senkung des Einlagenzinses (“Strafzins”) von derzeit -0,3 % auf -0,4 %. Soviel muss eine Bank pro Jahr für die Guthaben bei der EZB bezahlen, die die Mindestreservepflicht übersteigen.

In der Theorie soll der Strafzins die Banken dazu animieren, mehr Kredite zu vergeben. Denn Kreditvergaben führen unter sonst gleichen Bedingungen zu einer Minderung des Zentralbankguthabens. Zum einen steigt je 100 Euro vergebenen Kredit die Mindestreservepflicht (die keinen Strafzins unterworfen ist) um einen Euro. Zum anderen werden gewährte Kredite häufig auf Konten anderer Banken überwiesen, was das Zentralbankguthaben der kreditgewährenden Bank nochmals mindert.

Verrückte Zeiten: In einem Normalumfeld (Sie erinnern sich: Das war vor 2008) wollen Banken unbedingt Zentralbankguthaben. Jetzt wird das Zentralbankgeld herumgereicht wie eine heiße Kartoffel.

Der negative Einlagenzins als Folterinstrument der Zentralbanken ist durchaus umstritten. In einer höchst kompetitiven Umgebung haben die Banken ohnehin schon genug Probleme, und das Weiterreichen der Kosten an die Kunden ist wegen der Konkurrenzsituation ein schwieriges Unterfangen. Wo es versucht wird, sind Ausweichbewegungen der Kunden vorprogrammiert. So bleibt der Zusatzaufwand überwiegend an den Banken selbst hängen.

Nun ist es nicht ausgeschlossen, dass dies angesichts der derzeit eskalierenden Bankenkrise auch in der EZB erkannt wird. Was wäre dann die Alternative, wenn man den Einlagezins nicht weiter ins Negative treiben, aber dennoch die Kreditvergabe weiter anheizen will?

Es würde sich eine Maßnahme anbieten, die bis vor kurzem als undenkbar schien und von EZB-Chef Mario Draghi bisher auch implizit ausgeschlossen wurde: Die Senkung des Leitzinses in negatives Terrain.

In der Praxis würde dies bedeuten: Banken müssten für Refinanzierungsgeschäfte mit der EZB nicht nur keine Zinsen bezahlen, der Rückzahlungsbetrag läge sogar niedriger als der nominale Kreditbetrag.

Das wäre ein echter Paukenschlag und würde die Märkte massiv überraschen.

Der Euro würde vermutlich deutlich abwerten (was Draghi und seine südeuropäischen Kollegen ohnehin herbeisehnen), was wiederum die Inflationsentwicklung antreiben könnte.

Sind diese Gedanken Fiktion? Noch! Aber ich denke nicht mehr lange...

34 Kommentare

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  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    Wenn es einfach nur darum geht, Geld unter die Leute zu bringen, dann könnte man ja auch einfach mal die Reallöhne erhöhen ...

    20:46 Uhr, 09.02.2016
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Zum guten Schluss wird Heli-Ben bzw. seine oft belächelte Idee zum Einsatz kommen, garniert mit Kapitalverkehrskontrollen und weiteren Zutaten aus der Giftküche staatlicher Zwangsmaßnahmen. Juristisch nicht möglich? Na da werden Merkel und Schäuble doch garantiert höchst kreativ werden. In der Not zimmert Berlin gemeinsam mit Brüssel übers Wochenende ein entsprechendes Gesetz. Schließlich geht es für die Herrschaften um alles oder nichts

    Die Strippenzieher werden nicht kampflos vom Platz gehen, niemals.

    20:24 Uhr, 09.02.2016
  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    Hallo Daniel,

    guter Artikel. Danke für den wichtigen Hinweis! Die Idee ist bestechend und zieht intern sicherlich schon einige Kreise.

    Steuergeschenke für die Bürger hatten wir auch noch nicht. Sollte eine zentrale EU-Steuerbehörde kommen, was ja gerade angedacht wird, wäre auch so etwas keine Utopie.

    Wir erleben den finanzpolitischen Irrsinn.

    20:15 Uhr, 09.02.2016
  • 1 Antwort anzeigen
  • Morningstar
    Morningstar

    Schuld sind primär die Politiker der jeweiligen Schuldenstaaten. Herr Draghi versucht, bzw. hat versucht, das Unvermeidliche durch QE oder wie auch immer man Staatsfinanzierung durch EZB-Käufe nennen will hinauszuschieben. Unumstössliches Faktum ist einfach, dass SÄMTLICHE Staaten überschuldet sind - weltweit. Der angebliche Reichtum des Westens ist auf Schulden aufgebaut und sonst gar nichts. Viele Lösungen gibt es nicht, Austeritätspolitik (wurde am Versuchsballon GR ausprobiert), kompletter Reset, oder wie zur Zeit der Versuch des Schuldenabbaus durch eine Art Reflationierung. Wenn das nicht funktioniert tritt eh Fall b ein, daher ist das, so unpopulär und rechtsbrüchig es auch sein mag, was die ZB gerade machen, ein strategisch nachvollziehbarer Zug. Funktioniert es, gewinnen wir ein paar Jahre dazu, wenn nicht, fürchte ich droht uns ein schuldeninduzierter Systemkollaps. Rein mathematisch kann dieses ständige Schuldenmachen einfach nicht funktionieren, und zur Zeit funktioniert es nur, weil die Staaten keine Zinsen mehr zahlen müssen.

    15:17 Uhr, 09.02.2016
    1 Antwort anzeigen
  • whynot
    whynot

    Die Sparer und Versicherten erst über Jahre durch Nullzinsen um ihre Erträge gebracht oder sie in riskantere Anlageformen getrieben, um sie dann später noch einmal durch die durch die Geldschwemme der EZB (Fed usw.) verursachte hohe Inflation zu schädigen. Die Zentralbanken gehen ja davon aus, sie könnten die Inflation perfekt kontrollieren. Diesen Beweis müssen sie erst einmal erbringen, wenn sie da ist. Die Historie lehrt: ist die Preisspirale erst einmal in Gang gesetzt, dann lässt die sich nur schwer wieder bremsen. Aber so lange es ja nur die 99% betrifft.

    15:09 Uhr, 09.02.2016
    1 Antwort anzeigen
  • whynot
    whynot

    Was dieser Mann an Schaden angerichtet hat und noch anrichten wird, wird sich leider erst rückblickend offenbaren. Wie kann das sein, dass eine demokratisch nicht legitimierte Schattenregierung EZB so einen Einfluß über das Wohl von Mio. EU-Bürger hat. Die Vertreter der Bundesbank, die Anfangs mal noch wagten, Kritik zu üben, sind längst mundtot gestellt. Aber hier auf diesem Portal wurde Mario bislang immer als Magier der Märkte in den höchsten Tönen gelobt (meistens seitens H. W.). Der MARIO-nettenspieler hat fertig.

    14:59 Uhr, 09.02.2016
  • Investor
    Investor

    Wer soll denn das Geld verleihen? Firmen in Ländern mit einem spread der heimischen Staatsanleihen gegen D leiten unter hoher Arbeitslosigkeit und Banken mit vielen ausfallgefährdeten Krediten.

    Jeder der seine Anleihen an die EZB verkauft, bleibt als Alternative wegen der gesetzlichen Vorschriften nur Bufu. Seit QE sind die dt target2 Salden wieder auf Rekordhochs gestiegen - ein zeichen das Kapital in D gesichert wird..

    Solange Austeritätspolitik in Europa gelebt wird, scheitert Draghi. Bei 15% Arbeitslosigkeit in Europa mit Ausnahme D hilft nur eine steigende Nachfrage. Dies ist aber nicht Europas Strategie.

    Weitere Maßnahmen Draghis führer zu weiteren Geldflüssen aus Europa nach D und werden mittelfristig die Eurozone zerreissen.

    14:33 Uhr, 09.02.2016
    1 Antwort anzeigen
  • MDADVISORY
    MDADVISORY

    Ich bin aber bei Rocco: ab 8.000 geht es in den Bullenmarkt. Denn es wird eine koordinierte Intervention kommen sofern es weiter runter geht.

    12:07 Uhr, 09.02.2016
  • Daniel Kühn
    Daniel Kühn Freier Finanzjournalist

    Negative Zinsen im Kontext dieses Artikels heißen zunächst mal nur, dass die Banken sich zu diesen Konditionen refinanzieren könnten. Das bedeutet nicht zwingend, dass auch Kredite für Firmen/Privatleute in dieses Terrain driften.

    12:06 Uhr, 09.02.2016
    3 Antworten anzeigen

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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