Kommentar
11:46 Uhr, 05.06.2014

Frankreich – weder Rückenwind noch Gegenwind

Der «Train à Grande Vitesse», einer der erfolgreichsten Hochgeschwindigkeitszüge der Welt und Inbegriff französischer Ingenieurskunst, ist etwas aus der Spur geraten. Angesichts der schwachen Wirtschaft und der Widerstände gegen Veränderungen ist die zweitgrößte Wirtschaft der Eurozone schon lange hinter Deutschland als treibende Kraft der Eurozone zurückgefallen. Es könnte jedoch Licht am Ende des Tunnels geben. Die von Präsident François Hollande geplanten Reformen sind ein Anfang – vorausgesetzt, sie werden richtig umgesetzt. Eine Wiederbelebung der französischen Wirtschaft wäre ein entscheidender Faktor für eine Verbesserung des langfristigen Ausblicks für die Eurozone.

Zuerst zu den positiven Aspekten: Die Finanzkrise hat Frankreich nicht aus der Bahn geworfen. Tatsächlich hat das Land wirtschaftlich weniger gelitten als Deutschland. So fiel 2009 das französische Bruttoinlandsprodukt um 2,9 Prozent, während Deutschland einen Rückgang von 5,1 Prozent erlebte – und es geriet im Zuge der Krise in der Eurozone nie unter finanzielle Bedrängnis (siehe Grafik 1). Frankreich erlitt nicht das Schicksal «peripherer» Nationen wie Irland, Griechenland, Italien, Spanien oder Portugal, die entweder ein Rettungsprogramm der so genannten Troika – bestehend aus dem Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission – oder Unterstützung der EZB für ihre Staatsanleihenmärkte benötigten, um einen möglichen Zahlungsausfall abzuwenden.

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Doch Frankreich leidet unter einer wirtschaftlichen Stagnation, und die Staatsverschuldung nähert sich der Marke von 100 Prozent des Bruttonationalprodukts (BIP). Das Land hat zu kämpfen, um das Ziel einer Reduzierung des Haushaltsdefizits auf drei Prozent des BIP bis 2015 zu erreichen. Die Handelsbilanz ist noch immer negativ, die Arbeitslosenrate steigt, und in der Industrie werden Stellen abgebaut. Die starke und anhaltende wirtschaftliche Schwäche im Vergleich zu Deutschland seit 2010 zeigt sich in einem wachsenden Abstand bei der Wettbewerbsfähigkeit – ein Prozess, der Anfang der 2000er-Jahre begonnen hat (siehe Grafik 2). Darüber hinaus hat das französische Volk das Vertrauen in die traditionelle «Classe Politique» verloren, was durch das starke Abschneiden der rechtsgerichteten Front National bei den Europawahlen deutlich wurde.

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Im Gegensatz zu Spanien oder sogar Italien unternimmt Frankreich keinerlei ernsthaften Versuche, seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, das übermäßige Gewicht des öffentlichen Sektors zu verringern und/oder das langfristige Wachstumspotenzial zu steigern. Auch hat die sozialistische Regierung die einzigen signifikanten Reformen, die die konservative Vorgängerregierung durchgeführt hatte, verwässert beziehungsweise rückgängig gemacht, nämlich die Nicht-Wiederbesetzung von einer bei zwei frei werdenden Stellen im Staatsdienst und die Erhöhung des Rentenalters. Infolgedessen zehren der stetig wachsende finanzielle Druck und die endemische Unfähigkeit, die öffentlichen Ausgaben einzudämmen an den lebensnotwendigen Kräften und hemmen das Wachstum – und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem in den Ländern der europäischen «Peripherie» eine Belebung zu beobachten ist. Tatsache ist, dass Frankreich (neben Dänemark) in Europa die höchsten öffentlichen Ausgaben im Verhältnis zum BIP hat, nämlich 56 Prozent im Vergleich zu 44 Prozent in Deutschland und 32 Prozent in der Schweiz. Natürlich hat der französische Staat maßgeblich zum historischen Erfolg von Unternehmen wie Airbus und Ariane im Luft- und Raumfahrtsektor, dem Atomkraftprogramm sowie dem Hochgeschwindigkeitsnetz beigetragen. Doch diese glorreichen Tage scheinen vorüber zu sein. Statt Innovation voranzutreiben, ist die Regierung vor allem bestrebt, die Auswirkungen der industriellen Veränderungen auf die Wirtschaft des Landes zu begrenzen.

«Pakt der Verantwortung» könnte die Ausgabenbremse ziehen

Zuletzt stellte François Hollande in einer 180-Grad-Wende einen ehrgeizigen «Pakt der Verantwortung» vor, mit dem die Kosten der Unternehmen gesenkt und gleichzeitig die öffentlichen Ausgaben um 50 Milliarden Euro gekürzt werden sollen. Dies ist zumindest auf rhetorischer Ebene eine größere Veränderung und somit als positiv zu betrachten. Die Details müssen jedoch noch ausgearbeitet werden, und die entsprechenden Vorschläge werden auf Widerstände in der eigenen Sozialistischen Partei des Präsidenten stoßen – die Tatsache, dass viele Parteimitglieder schlechte Aussichten auf eine Wiederwahl haben, dürfte dabei kaum hilfreich sein. Anders als Spanien, das sich nach tiefgreifenden, schmerzhaften Reformen im Aufschwung befindet, haben die «Opfer», die das französische Volk bringen musste, bislang noch keine greifbaren Ergebnisse gebracht, und dies diskreditiert die gesamte politische Klasse. Der «Pakt der Verantwortung» ein durchaus positiver Schritt, aber sein Erfolg wird davon abhängen, ob er sich umsetzen lässt oder nicht.

Aktien bleiben attraktiv

Wir haben unser Engagement an den Aktienmärkten weiter verstärkt und unsere übergewichtete Position ausgebaut. Die Gründe für eine optimistische Haltung gegenüber Aktien sind unverändert: Risikoanlagen und vor allem die Aktienmärkte erhalten weiter Unterstützung durch die Liquiditätsspritzen der Zentralbanken, niedrige Zinsen bei Staatsanleihen und ordentliche Unternehmensgewinne. Es ist reichlich Liquidität vorhanden, und die Anlegerstimmung hat noch nicht das Maß an Euphorie erreicht, das normalerweise den Höhepunkt markiert. Dies vorausgeschickt, ist uns durchaus bewusst, dass die Bewertungen bestenfalls angemessen sind und dass für weitere Kursanstiege reichlich und billige Liquidität nötig sein wird.

Christophe Bernard, Chefstratege bei Vontobel

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