Kommentar
09:46 Uhr, 30.05.2018

Euro-Zusammenbruch durch Italien? So könnte ein "ItalExit" ablaufen

Die Eurokrise ist wieder da. Auf einmal wird wieder völlig ersichtlich, wie verletzlich die Währungsunion ist. Es ist eine wieder denkbare Option, zumindest ganz offensichtlich für einige italienische Politiker, dass es zu einem Austritt aus dem Euro kommen könnte. Aber wie müsste man vorgehen?

Jonathan Tepper vom Londoner Analysehaus „Variant Perception“ hat 2012 eine 53-seitige Studie veröffentlicht, in der er historische Beispiele für Auflösungen von Währungsgemeinschaften untersuchte. Demnach haben im letzten Jahrhundert ganze 69 Staaten einen „Exit“ vollzogen. Der Mechanismus ist kompliziert, aber durchführbar, und die Beispiele der Vergangenheit zeigen einen Weg auf, so Tepper.

Tepper kommt am Ende zu fünf Schlussfolgerungen bzw. Erkenntnissen. Ich habe diese auf den aktuell möglicherweise akuten Fall Italien übertragen

1. Umgang mit den bestehenden Währungen

In fast allen Fällen wurden „alte“ Banknoten vorübergehend genutzt, allerdings mit Stempeln markiert. In einer Übergangszeit waren diese Noten gesetzliches Zahlungsmittel. Nach dem Druck der neuen Noten in neuer Währung wurden die alten Scheine für ungültig erklärt

2. Ankündigung und Überraschungselemente

Überraschung ist wichtig, denn je früher die Bürger Bescheid wissen, desto eher können sie Gegenmaßnahmen ergreifen. Sprich, Gelder von den Banken abziehen, zuhause bunkern oder sogar ins Ausland transferieren. Ein Prozess, der in Griechenland 2012 zu beobachten war und nun auch in Italien droht.

3. Kapitalkontrollen

In den allermeisten Fällen wurden Kapitalverkehrskontrollen eingeführt.Das betraf früher im wesentlichen Banknoten und Münzen, und muss heute natürlich auch den wesentlich größeren elektronischen Zahlungsverkehr umfassen.

4. Abwertung von Auslandsschulden

Die meisten Staaten haben sich ihrer Schulden zum Teil entledigt, indem sie sie entweder gar nicht mehr bedient haben oder aber zu Umtauschraten der alten in die neue Währung, die nicht der Realität entsprachen. So könnte z.B. Italien einen offiziellen Umtauschkurs von 1:1 festlegen, während der sich am Markt bildende Kurs einer neuen Lira eher bei 1:2 oder 1:3 liegen dürfte, Tendenz fallend.

5. Monetäre und fiskalische Unabhängigkeit

Historische Beispiele zeigen, dass die Staaten, welche die neue Währung unter staatliche Kontrollen stellten und somit ihre Ausgaben mit der Druckerpresse bezahlten, unter hoher Inflation und starker Währungsabwertung litten. Länder mit unabhängigen Zentralbanken hatten stabilere Währungen. Für Italien könnte die Lösung darin liegen, stark abzuwerten und später eine relativ unabhängige Zentralbankpolitik einzuführen.

Tepper geht über die historische Analyse weit hinaus. Er leitet aus den empirischen Befunden relativ klare Handlungsanleitungen ab, eine „Roadmap to Exit“ in 13 Schritten. Wie müsste man vorgehen?

1. Parlamentssondersitzung an einem Samstag.
Verabschiedung eines Gesetzes, dass alle Details des Exits regelt: Abstempeln der Banknoten, Demonetarisierung der alten Banknoten, Kapitalkontrollen, „Neubewertung“ der Schulden. Diese Bestimmungen würden allesamt über das Wochenende in Kraft treten.

2. Schaffung einer neuen Währung

Idealerweise sollte sie so heißen wie die Währung vor der Währungsunion. Alles Geld, Einlagen und Schulden innerhalb des Landes würden in diese Währung umdenominiert. Das könnte z.B. aus Vereinfachungsgründen 1:1 geschehen, z.b. 1 neue Lira = 1 Euro

3. Alleinige Ermächtigung der nationalen Zentralbank zur Geldpolitik
Damit wird der Zustand vor der Währungsunion wieder hergestellt. Um Glaubwürdigkeit und niedrige Zinsen sowie nicht übermäßig hohe geringe Inflation zu erreichen, sollte es ihr idealerweise verboten sein, direkte Staatsfinanzierung zu betreiben.

4. Sofortige Einführung von Kapitalkontrollen über das Wochenende
Das gilt sowohl für physisches Geld als auch insbesondere elektronische Transfers.

5. Ankündigung von „Bankferien“
Nach dem Wochenende soll den Banken die Gelegenheit gegeben werden, alle ihre Banknoten zu stempeln und die dringendsten Änderungen an den elektronischen Zahlsystemen durchzuführen.

6. Sofortige öffentliche „Stempeloperation“
Alle Euro-Noten werden abgestempelt, dazu sollten um das Exit-Datum herum eigene „Währungsbüros“ eingerichtet werden.

7. Sofortiger Druck neuer Banknoten
Sobald genug neues Geld hergestellt wurden, dürfen die gestempelten alten Banknoten nicht mehr als gesetzliches Zahlungsmittel gelten.

8. Die neue Währung frei handeln lassen
Das würde zur gewünschten Abwertung beitragen und dabei helfen, Wettbewerbsfähigkeit zurückzuerlangen.

9. Vorbereitung auf Masseninsolvenzen
Vereinfachte Verfahren und mehr Ressourcen für entsprechende Gerichte, um mit einem unvermeidbaren Anstieg von Pleiten klar zu kommen.

10. Verhandlungen mit den Gläubigern
Restrukturierung der Staatschulden im Ausland. Italien hat das "Glück", das ein hoher Anteil der Staatsschulden im Inland gehalten wird. Zu einem erheblichen Teil sogar von der italienischen Zentralbank wegen des QE-Programms.

11. Vorabinformationen an die EZB und die globalen Zentralbanken

Dieser Schritt ist notwendig, damit die unweigerlich auf den Exit folgenden internationalen Turbulenzen möglichst gering gehalten werden.

12 . Verhandlungen mit der EZB
Behandlung von Vermögen und Schulden. Ein ganz wichtiger Posten sind die Target2-Salden. Mario Draghi hat letztes Jahr klargestellt, dass bei einem Euro-Austritt die Salden beglichen werden müssen. Aktuell reden wir von rund 450 Mrd. EUR.

13. Arbeitsmarktreformen
Flexiblere Arbeitsgesetze, Abnabelung der Löhne von der Inflation, stattdessen Orientierung an der Produktivität. Inflation wird unweigerlich als Folge der Abwertung auftreten. Das Land muss zwingend die Abwertung mit Strukturreformen begleiten.

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Immerhin ein Fahrplan, wenn auch sehr fragwürdig.

  • Warum sollte jemand freiwillig seine Euroscheine abstempeln lassen?
  • Sollte die Regierung nicht lieber schon vor dem Exit die neue Währung gedruckt haben?
  • Ist es realistisch, dass die Zentralbank Staatsschulden zumindest am Anfang nicht finanziert?
  • Würden die EU-Staaten ein solches Vorgehen sanktionsfrei akzeptieren ?

Unterstellt man eine Regierung, die die Vermögen eigenen Bürger im Rahmen des Austritts möglichst schützen will, könnte man in Abwandlung der obigen Schritte auch folgendes unterstellen:

Der Exit wird schon weit im Vorfeld angekündigt, den Bürgern damit signalisiert, dass sie ihr Geld in Sicherheit bringen sollen.
Dies könnte z.B. dazu führen, dass in Massen Geld von italienischen auf andere Konten der Eurozone überwiesen wird. Der Target2-Saldo wird dadurch im Ausmaß der Überweisungen höher. Das würde bedeuten, dass die Bürger ihr Erspartes letztlich auf Kosten aller anderen retten. Denn wenn die italienische Zentralbank den Saldo dann nicht begleicht/begleichen kann, wird der dadurch entstehende Verlust von allen anderen Euro-Zentralbanken gemäß ihrem Beteiligungsschlüssel an der EZB getragen werden müssen.

Gut möglich, dass die EZB bzw. die nationale Zentralbank den italienischen Geschäftsbanken im Falle eines starken Kapitalabflusses Restriktionen auferlegt. Doch dann könnte es schon fast zu spät sein.

Für die Regierung wäre es dann allerdings eine kaum zu bewältigende Herausforderung, die Fluchtgelder nach Einführung einer neuen Währung wieder zurück in die Heimat zu holen. Warum sollte man einem solchen Staat vertrauen?

Meine Meinung: Ein Exit Italiens würde dem Land immens schaden. Die anderen Euro-Staaten hätten fast keine andere Wahl als zu Sanktionen zu greifen, schon alleine um Nachahmer nicht zu ermuntern. Es besteht auch durchaus die Möglichkeit, dass dadurch der Euro insgesamt kollabieren und die Währungsunion scheitern würde. Darauf warten nicht wenige in Europa sehnsüchtig. Es steht jetzt sehr viel auf dem Spiel.

14 Kommentare

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  • Joshua
    Joshua

    D. Kühn schreibt: "Es steht jetzt sehr viel auf dem Spiel."

    Bleibt hier die Frage, was denn nun auf dem Spiel steht. Der deutsche Bürger und Steuerzahler ist mit dem Euro nicht sonderlich gut gefahren. Profitiert haben vor allem die Südländer und natürlich die übliche Klientel: Banken, Politiker, Großindustrie.

    Der europäischen Idee hat der Euro auch eher geschadet, er hat die europäischen Länder gegeneinander aufgebracht, alle wollten profitieren, am liebsten auf Kosten der anderen.

    Viel auf dem Spiel steht eigentlich nur für die EU-Bürokraten, sie verlieren ggf. ihre horrenden Einkünfte und ihre luxuriösen Büros.

    18:07 Uhr, 30.05.2018
  • Sascha Huber
    Sascha Huber Experte für Kryptowährungen

    Der Plan ist gut, jetzt heißt es umsetzen...

    17:30 Uhr, 30.05.2018
  • kingmidas
    kingmidas

    Die EU wird schon seit Jahren künstlich am Leben erhalten. Wie viele Beispiele brauchen manche Leute denn noch, um endlich zu verstehen, dass die EU ein gescheitertes Projekt ist?

    Und trotzdem springen immer wieder Traumtänzer ins Bild und wollen alles dafür tun, damit die EU weiterhin künstlich beatmet wird. Wofür? Nur um in den nächsten 2-3 Jahren wieder das gleiche durchzumachen mit anderen Staaten und einer neuen Zitterpartie? Das kann doch nicht die Lösung sein.

    Seht es endlich ein. Die EU ist gescheitert. Es kann nur besser werden indem die EU zerfällt und sich alle Länder neu Positionieren und verhandeln. Die EU ist Altbacken und verstaubt und hinkt China gewaltig hinterher. Es sollte doch jedem klar sein, dass es irgendwann an der Zeit ist das Haus einer Kernsanierung zu unterziehen, anstatt immer nur neue Farbe an die Fassade zu klatschen, um den Schimmel zu überdecken.

    Wie verseucht und verblendet die Medien sind, sieht man auch daran, dass jeder der die EU ablehnt, gleich als rechts abgestempelt wird. Auch wird man nicht müde immer hinzuzufügen, dass Partei X Europafeindlich ist, so als ob es ein Verbrechen wäre.

    Wer wirklich dauerhaft positive Veränderung will und Demokratie befürwortet, sollte gegen die EU sein, nicht gegen das Miteinander auskommen und zusammen wachsen, aber die EU ist ein peinliches Katastrophen Projekt, dass dank der Politiker, Missmanagment und Korruption gnadenlos gescheitert ist.

    11:57 Uhr, 30.05.2018
    2 Antworten anzeigen
  • einfach
    einfach

    jeder politiker, der mit dem ausstieg aus einem währungskreis droht weil er meint nicht mehr die möglichkeit zu haben durch abwertungen der währung wettbewerbsfähiger zu werden, ist zu bequem die wirklich wichtigen schritte zu einer verbesserung der wettbewerbsfähigkeit zu gehen die da wären, bessere bildung ausbau der infrastruktur sowie mehr investitionen in forschung und entwicklung, genauso gehört zu dieser entwicklung ein rechtssystem das seinen namen wert ist sowie sozialstrukturmaßnahmen die nicht mit der gießkanne vergeben werde.

    alles andere ist nur politiker bla bla.

    11:06 Uhr, 30.05.2018
    2 Antworten anzeigen
  • MDADVISORY
    MDADVISORY

    Interessanter Fahrplan - ich glaube nur nicht daran, dass ein "schwaches" Land "geordnet" eine Währungsunion verlassen kann. Das Ganze wird in einem totalen Chaos und riesigen (ad hoc) Wohlstandsverlusten münden. Davon mal abgesehen - wenn diese Phase überstanden ist, wäre eine eigene Währung für Griechenland, Italien (Südländer) sinnvoll. HIerüber erhielten sie wieder einen Regelmechanismus, um sich anzupassen.

    10:20 Uhr, 30.05.2018
  • P_44
    P_44

    Sehr interessant - aber das mit dem Stempeln der Euro-Noten macht doch keinen Sinn. Der Euro gehört doch nicht Italien. Und Italien könnte diesen doch nicht einfach im Alleingang für ungültig erklären. ... Was ist mit Touristen aus dem Euro-Raum? Müssen diese denn mit 0 Euro nach Hause zurückkehren und erst einmal Geld abheben, bevor sie beispielsweise das Parkticket bezahlten können? Hmm ...

    10:14 Uhr, 30.05.2018
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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