EZB: September-Ratssitzung in Zeiten fallender Verbraucherpreise und eines stärkeren Euro
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Insgesamt ist der Wachstumsausblick nicht ganz so schlecht wie bisweilen befürchtet. Eine gute Nachricht für die EZB ist die Einigung auf den EU-Wiederaufbaufonds, zumal die Notenbank schon lange für eine koordinierte Fiskalpolitik geworben hat. Außerdem haben sich die Stimmungsindikatoren und Konjunkturdaten verbessert, sodass das EZB-Basisszenario für die kommenden Quartale jetzt mit einer höheren Wahrscheinlichkeit erreicht wird. Dennoch bleibt die Unsicherheit groß, denn der deutliche Anstieg der Covid-19-Neuinfektionen in einigen Ländern der Währungsunion ist nicht ohne Risiko für die Konsumfreude der Verbraucher. Andererseits ist die Inflation zuletzt drastisch zurückgegangen; im August fiel der (vorläufige) Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) im Vorjahresvergleich um 0,2 %. Das macht es unwahrscheinlicher, dass die Inflation in absehbarer Zeit wieder auf ihren Zielwert oder zumindest auf Werte wie vor der Pandemie steigt.
Was aber wird die EZB tun, wenn die Inflation mehr denn je hinter ihrem Zielwert zurückbleibt? Wir gehen davon aus, dass der EZB-Rat am Donnerstag insgesamt zurückhaltend auf die Inflationsentwicklung reagiert. Wenn die Notenbank ihre Inflationsprojektionen im September aktualisiert (unsere Erwartungen dazu s.u.), dürfte sie dabei den jüngsten Rückgang der Teuerung und ihrer Kernrate berücksichtigen. Vermutlich werden die Preise noch einige Monate fallen, bevor sie wieder steigen.
Wir rechnen damit, dass die EZB den Preisrückgang als „vorübergehend“ bezeichnet und mit Sonderfaktoren erklärt, etwa mit der Mehrwertsteuersenkung in Deutschland und einigen Verzerrungen durch Covid-19. Eine Deflation ist eine längere Phase mit fallenden Preisen. Mit Daten für lediglich einen Monat lassen sich somit keine drastischen Maßnahmen begründen, zumal sich die Inflationserwartungen des Marktes in den letzten Monaten stark erholt haben und jetzt wieder so hoch sind wie vor der Coronakrise (vgl. Abbildung unten). Und doch dürfte eine fallende Inflation ein frühes Ende des Pandemie-Notfallkaufprogramms (PEPP) möglich machen, wie es einige Ratsmitglieder im Juli erstmals vorschlugen.
2016 fielen die Verbraucherpreise nur drei Monate lang, gefolgt von einem starken Anstieg der Inflation in Richtung 2 % Anfang 2017. Eine derart schnelle Erholung, allein durch wegfallende Ba-siseffekte, schließen wir diesmal aus. Die Mehrwertsteuersenkung wird erst im Juli nächsten Jahres aus der Berechnung herausfallen, die Outputlücke dürfte uns noch länger erhalten bleiben, und auch die jüngste Euro-Aufwertung dürfte die Verbraucherpreise weiter dämpfen.
Was sind zurzeit die wichtigsten Risiken beim Thema Inflation?
Um die mittelfristigen Inflationsrisiken zu beurteilen, muss man sich auf jeden Fall mit dem Arbeitsmarkt befassen. Nach den jüngsten Zahlen ist die Zahl der Kurzarbeiter zwar zurückgegangen, aber noch immer außerordentlich hoch. Dies spricht gegen einen starken Beschäftigungszuwachs. Die Verlängerung der Kurzarbeiterregelungen in einigen Mitgliedsländern könnte die langfristigen wirtschaftlichen Folgen abmildern. Dennoch besteht das Risiko, dass das verfügbare Einkommen (und der Konsum) demnächst niedriger sein werden. Die EZB wird die Auswirkungen einer anhaltende Nachfrageschwäche auf die Preisentwicklung genau im Blick behalten.
Auch der starke Euro könnte der EZB allmählich Sorgen machen. Zwar hat die Notenbank oft betont, dass der Wechselkurs für die Geldpolitik nicht relevant sei, doch könnte eine weitere Euro-Aufwertung Wachstum und Inflation gleichermaßen bremsen (vgl. die OECD-Schätzungen zu den Auswirkungen einer 10-prozentigen Euro-Aufwertung unten). EZB-Chefvolkswirt Lane, eine der größten Tauben im EZB-Rat, hat bereits erklärt, dass der aktuelle Wechselkurs „eine Rolle“ spiele – woraufhin der Euro nach seinem jüngsten Rekordhoch von über 1,20 Euro gegenüber dem US-Dollar wieder abwertete. Für EZB-Präsidentin Christine Lagarde schließen wir derart deutliche Worte zum Wechselkurs in der nächsten Woche aus. Die Notenbankchefin könnte aber sagen, dass die „Volatilität“ des Euro – falls sie nicht mit einer deutlich besseren Konjunkturlage einhergeht – die Transmission der EZB-Geldpolitik beeinträchtigen könne.
Die EZB dürfte eher pessimistisch bleiben, die Geldpolitik aber nicht wesentlich ändern; Pandemie-Notfallkaufprogramm (PEPP) dürfte bis zu seinem natürlichen Ende 2021 fortgesetzt werden
Wie erwähnt, erwarten wir für den September uneinheitliche EZB-Projektionen (Einzelheiten in den Abbildungen unten). Die Inflationserwartungen für 2020 und 2021 dürften herunterrevidiert werden, obwohl sie schon im Juni recht niedrig waren, und der erwartete Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) dürfte auch 2022 unter dem Zielwert liegen. Steigende Ölpreise würden die Euro-Aufwertung neutralisieren, aber die Mehrwertsteuersenkung dürfte sowohl die Gesamtinflation als auch ihre Kernrate noch mindestens zwölf Monate lang dämpfen.
Die BIP-Erwartungen für 2020 dürften gegenüber dem bisherigen Median von 8,7 % leicht heraufrevidiert werden. Die Erwartungen für 2021 dürften sich insgesamt kaum ändern, und die Erwartungen für 2022 könnten angehoben werden, wenn man die Wirkungen des EU-Wiederaufbaufonds klarer einschätzen kann.
Insgesamt dürfte die EZB mit eher niedrigem Wachstum und niedriger Inflation rechnen, was aus unserer Sicht für eine anhaltend lockere Geldpolitik spricht. Durch die geringeren Wertpapierkäufe im Rahmen des PEPP seit Beginn des Sommers hat die EZB jetzt genügend Spielraum, um das Programm bis weit ins Jahr 2021 hinein fortzusetzen. Wir glauben, dass die Notenbank zunächst noch auf weitere Anzeichen für eine Konjunkturentwicklung wartet. Angesichts der sehr niedrigen Realzinsen, der extrem hohen Liquidität und des Spreadrückgangs – fast auf das sehr niedrige Vor-Corona-Niveau – glauben wir, dass der EZB-Rat vor einer weiteren Lockerung der Geldpolitik erst noch abwartet. Weil nicht auszuschließen ist, dass eine zweite Coronawelle die Nachfrage weiter dämpft, dürfte sich die EZB für eine zurückhaltende Rhetorik entscheiden. Dennoch rechnen wir damit, dass die Notenbank noch etwas Pulver trocken halten will, falls sich die Wirtschaftslage verschlechtert.
Für die Märkte bedeutet dies, dass die Leizinsen niedrig bleiben. An den Märkten rechnet man auch langfristig nicht mit hohen Zinsen, und die EZB plant auf absehbare Zeit keine Zinserhöhungen. Dank der Flexibilität des PEPP, das nach den derzeitigen Planungen bis Mitte 2021 laufen soll, können europäische Staatsanleihen massiv gestützt werden, wenn sich die Fundamentaldaten der Emittentenländer verschlechtern. Deshalb und wegen der Fortschritte beim EU-Wiederaufbaufonds erwarten wir auf absehbare Zeit allenfalls einen geringen Anstieg der Staatsanleihespreads im Euroraum.
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