Kommentar
16:29 Uhr, 13.06.2022

Eurozone ohne Quantitative Easing (QE): Kann das gutgehen?

Anleger beschäftigt vor allem die Anhebung der EZB-Zinssätze. Das wichtigere Ereignis findet jedoch an anderer Stelle statt.

Die EZB-Führung kam in den vergangenen Monaten zunehmend unter Druck. Der Druck wurde nun so groß, dass die EZB nachgibt und das Ende der ultralockeren Geldpolitik einläutet. Das einzige Mandat ist die Preisstabilität und das Mandat wird nicht erfüllt. So kam es zu gleich zwei bemerkenswerten Entwicklungen. Zum einen brach die EZB ein Versprechen. Versprechen der Notenbanken werden als Forward Guidance bezeichnet. Unter dieser Guidance legt die Notenbank fest, wie lange sie z.B. einen Zinssatz auf einem bestimmten Niveau belässt. Eine solche Guidance gab es auch für Wertpapierkäufe. Diese sollten ab Oktober mit 20 Mrd. pro Monat fortgeführt werden. Dieses Versprechen wurde im Februar gegeben und ist nun längst überholt. QE wird in Kürze beendet. Zum anderen kündigte die EZB bei ihrem letzten Entscheid an, was sie beim nächsten tun wird. Obwohl sie die Zinssätze erst im Juli anheben wird, wirkt die frühe Festlegung auf eine Anhebung de facto wie ein erster Zinsschritt. Die Renditen von kurzfristigen Anleihen sprangen sofort in die Höhe. Die Entscheidung, schon jetzt zu kommunizieren, was im Juli geschieht, war wohl ein Kompromiss. Einerseits wollte die EZB nicht zu panisch wirken und die Wertpapierkäufe noch früher beenden als angekündigt. Den Zins konnte sie noch nicht anheben, da dieser erst nach Ende der Käufe steigen sollte. Andererseits hinkt die EZB der Inflation weit hinterher. So dürfte es zu dem Kompromiss gekommen sein, eine Quasi-Zinserhöhung durchzuführen, indem man sich bereits jetzt festlegt...

Trotz Kompromiss ist die Reaktion des Anleihemarktes spektakulär. Die Rendite zweijähriger Anleihen stieg in Deutschland innerhalb von drei Monaten von -0,8 % auf fast 1 %. Die Geschwindigkeit und das Ausmaß sind einmalig, zumindest seit der Einführung des Euro. Grafik 1 vergleicht frühere Anstiege. Einige konnten mit ähnlichem Tempo beginnen, gingen aber nicht so weit wie der jetzige, z.B. im Jahr 2010. Die schwarzen Striche in der Grafik zeigen alle den gleichen Anstieg und Winkel (optisch mag es anders wirken).


Der schnelle Zinsanstieg ist ein Problem. Bereits jetzt liegen die Renditen in vielen Ländern auf dem höchsten Stand seit 2014 (Grafik 2). Dieses Zinsniveau ist angesichts der hohen Inflation noch kein Grund zur Sorge. Regierungen müssen sich nun zwar zu höheren Zinsen Geld leihen, doch auch die Einnahmen steigen.

Mit der Inflation steigen die Preise von Konsumgütern, und mit Verzögerung steigen auch die Löhne. Beides wird besteuert und so führt höhere Inflation auch zu höheren Steuereinnahmen. In den meisten Ländern steigen die Steuereinnahmen aktuell im zweistelligen Prozentbereich.

Der bisherige Zinsanstieg ist also verkraftbar. Setzt sich der Anstieg in diesem Tempo fort, kann man das in einigen Monaten schon nicht mehr behaupten. Vor Beginn der Finanzkrise waren die Renditen für 10-jährige Anleihen in Griechenland und Italien niedriger als jetzt. Die Verschuldung ist hingegen deutlich höher.

Der Anleihemarkt entwickelt bereits eine Ahnung, dass die Zinslast wieder zum Problem werden könnte. Die Zinsdifferenz zu deutschen Anleihen erreicht wieder das Niveau von März 2020 (Grafik 3). Die EZB konnte die Spreads über QE wieder drücken. Jetzt hat sie dieses Instrument nicht mehr.


Die Fragmentierung der Eurozone nimmt wieder zu. In Erfüllung ihres Mandats (Zinserhöhungen für die Preisstabilität) riskiert die EZB die Stabilität der Eurozone. Eine wirkliche Wahl hat sie nicht, sei es wegen des Drucks aus Ländern wie Deutschland und den Niederlanden oder wegen der Treue zi ihrem Mandat. Würde die EZB nun nicht die Inflation bekämpfen, käme es mittelfristig zu einer Vertrauenskrise beim Euro. So oder so, die Alternativen sind alle schlecht. Mir persönlich fehlt die Fantasie, wie eine Krise vermieden werden kann.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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