Kommentar
14:03 Uhr, 25.05.2012

Eurobonds - es wird spannend

Gemeinschaftsanleihen, Solidaritätsanleihen, Eurobonds – der Teufel hat viele Namen. Die Idee gemeinsamer Schulden spielt wieder die Hauptrolle in Brüssel. Warum Deutschland endlich mal hart bleiben muss.

Nach der Wahl von Francois Hollande zum neuen Präsidenten Frankreichs hat der wichtigste Partner Deutschlands seine Position gegenüber der Vergemeinschaftung europäischer Schulden bekräftigt. Eurobonds seien der Startpunkt für mehr europäische Integration und gäben den Krisenländern die Möglichkeit, sich aus der Zinszwangsjacke der Anleihenmärkte zu befreien und somit finanziellen Spielraum für das so benötigte Wachstum zu gewinnen. Ins gleiche Horn blasen seit eh und je auch Oppositionspolitiker, die EU-Kommission und neuerdings auch die OECD, der Klub der wichtigsten Industrieländer. Traditionell ablehnend ist dagegen die Haltung vieler nordeuropäischer Staaten und speziell der Bundesregierung, wenngleich sie gemeinsame Anleihen mittlerweile durchaus als letzten Stein des Lösungsweges akzeptieren möchte. Entstand in den letzten Wochen und Monaten ein wenig der Eindruck, das Thema habe an Wichtigkeit verloren, so kommt es nun mit Pauken und Trompeten zurück auf die Tagesordnung der EU-Gipfel.

Griechenland baumelt schon am Galgen und japst vergebens nach Luft, Spanien und Portugal spüren die Schlinge schon um ihren Hals und auch Italien schaut bereits durch die Schlaufe des Stricks. Was läge also näher als die Finanzierungskosten neuer Schulden zu drücken und wieder für mehr Luft zum Atmen – sprich Wachstum durch günstige Verschuldung – zu sorgen? Die Argumente der Befürworter sind im Großen hinlänglich bekannt: Eurobonds würden die Finanzierungskosten der Schuldenländer massiv senken, da alle Euroländer gemeinsam haften und die Schuldentragfähigkeit der einzelnen Staaten keine so gewichtige Rolle mehr spielt. Dies ginge natürlich zu Lasten der starken Nationen wie Deutschland, die sich aber ein paar Zinspünktchen mehr ruhig leisten könnten.

Der bekannte Ökonomieprofessor und seines Zeichens „Wirtschaftsweise“ Peter Bofinger ist beinahe seit Anbeginn der Diskussion ein Verfechter der Gemeinschaftsanleihen. In der TV-Sendung Münchner Runde hat der Wirtschaftswissenschaftler die vermeintlichen Vorzüge von Eurobonds so erläutert: Die Ausgabe gemeinschaftlicher Anleihen aller Euroländer gliche dem Schuldsystem der USA, wo ein Staatenbund geschlossen auftritt und trotz sehr viel höherer Verschuldung überhaupt keine Probleme hat sich zu refinanzieren. Außerdem gehe es den Amerikanern blendend, die Wirtschaft läuft ja schließlich rund, die Arbeitslosigkeit sinkt endlich und überhaupt, „haben Sie schon einmal etwas von einer Dollar-Krise gehört?“ Bofinger folgert daraus, dass auch beispielsweise Italien keine Probleme mehr hätte sich zu refinanzieren, würde Europa doch einfach nur genauso geschlossen auftreten und gemeinsam einstehen! Einer für alle, alle für einen! Was dort funktioniert kann ja hier auch nicht schief gehen!

Trotz dieser genialen Schlussfolgerung sollte man einen kritischen Gedankengang wagen: Zunächst einmal fällt es schwer, die USA mit Europa zu vergleichen. Auch wenn die Amerikaner eine riesige Nation mit kulturellen Differenzen und unterschiedlichsten Landesteilen sind, so sind sie eben doch: eine Nation. Sie blicken auf eine gemeinsame Geschichte zurück, sind sehr viel enger politisch und wirtschaftlich miteinander verbunden als wir das mit anderen Euroländern sind und nicht zuletzt sprechen sie alle die gleiche Sprache. Das von Bofinger angesprochene geschlossene Auftreten der Amerikaner ist daher auch nicht ohne weiteres auf Europa übertragbar. Bei aller Solidarität mit unseren kontinentalen Partnern – innerhalb einer einzigen Nation wie der USA fällt ein sozialer Zusammenhalt wohl deutlicher einfacher als über Landesgrenzen hinweg. Beschweren Sie sich über den Länderfinanzausgleich in der Bundesrepublik? Darüber, dass einige Bundesländer schlicht für andere Mitzahlen und zwar Milliardenbeträge jedes Jahr? Das tun vermutlich die wenigsten, bleibt das Geld ja schließlich „zu Hause“ und fließt nicht irgendwo hin. So oder so ähnlich mag man sich das auch in den USA denken. Das macht vieles leichter. Europa ist schlicht kein einzelnes Land und aller Bemühungen zum Trotz wird es das wohl auch niemals werden.

Selbst bei Nichtbeachtung der kulturellen und sozialen Unterschiede schwebt ein großes imaginäres Fragezeichen über Bofingers Aussage, den Amerikanern ginge es blendend. Vor noch nicht mal einem Jahr war die Supermacht wie paralysiert in Folge eines Streits um die Anhebung der Defizitgrenze. Nur mit viel Zähneknirschen konnte ein Zahlungsausfall damals verhindert werden. Und der Status quo in Übersee? Ist der nicht bedingt durch unsere Schulden- und Eurokrise? Stehen die niedrigen Zinsen in den USA nicht unter dem Einfluss der Suche nach einem „sicheren Hafen?“ Wäre das sehr viel höhere Defizit der Amerikaner auch noch so leicht auszuhalten, wenn es in Europa auch so sichere Anlagen gäbe? Der Wirtschaftsweise gibt die Antwort eigentlich selbst: „Wenn die Investoren keine Eurobonds nehmen, was sollen sie denn dann nehmen? Dollarbonds? Da kann man sagen viel Spaß, das amerikanische Defizit ist doppelt so hoch wie das europäische…“

Doch Moment – sind nicht genau diese Dollarbonds das ideale Vorbild für die Eurobonds? Aber nur solange es eben diese Eurobonds nicht gibt? Funktionieren Eurobonds dann nur, wenn es keine Dollarbonds gibt? Oder funktionieren die Eurobonds dann doch nicht, weil ja die Dollarbonds als Vorbild nicht funktionieren, wenn die Eurobonds funktionieren…?

Wie man es dreht und wendet, Eurobonds führen zwangsläufig zu einem Ergebnis: die Finanzierung neuer Schulden der Peripherie auf Kosten des reicheren Nordens, allen voran Deutschland. Es mag gut möglich sein, dass ihre Einführung zu sehr viel geringeren Zinssätzen führt. Aber ist das auch tatsächlich so wünschenswert? Seit Einführung des Euro gab es bis Anfang 2008 praktisch einen einheitlichen Zins für zehnjährige Staatsanleihen in der Eurozone. Niemand möchte heute noch bestreiten, dass diese suggerierte Gleichverteilung von Risiko zu massiven Fehlentwicklungen der Kapitalströme geführt hat. Warum sollte das diesmal langfristig anders sein? Zins als Sanktions- und Anreizmechanismus hat eine disziplinierende Wirkung und sorgt für eine Kapitalallokation gemäß der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes. Die jetzigen Verwerfungen dienen dem ohne Zweifel nicht mehr uneingeschränkt – eine vollständige Beseitigung dieses Instruments kann aber auch nicht die Lösung sein!

Abgesehen von allem ökonomischen Für und Wider, ein Punkt kommt in der Diskussion noch immer viel zu kurz: Ist die Bevölkerung in den potentiellen Geberländern überhaupt dazu bereit, die Risiken anderer Nationen selbstlos mitzutragen? Möchte man hierzulande im Zweifelsfall die Haftung für griechische oder spanische Schulden übernehmen? Man kann wohl niemandem einen Vorwurf machen, der das ablehnt. Und doch zeigt die Geschichte immer wieder, dass solch große Schritte ohne die Unterstützung des Volkes nicht zu machen sind. So birgt die Idee der Eurobonds nicht nur wirtschaftlichen sondern auch sozialen Sprengstoff – ein hochexplosives Gemisch!

Trotz aller Vorbehalte und der bisherigen Standhaftigkeit der Bundesregierung: Die Erfahrung der letzten Jahre lässt erahnen, dass Eurobonds wohl doch irgendwann kommen werden. Zu groß wird schon jetzt der Druck auf Angela Merkel, den Geldbeutel zu öffnen und „Verantwortung“ zu übernehmen. Deutschland sollte hart bleiben – ich persönlich glaube aber nicht mehr daran. Auch viele Kritiker glauben mittlerweile, dass die Vergemeinschaftung der Schulden der Weisheit letzter Schluss sein wird. Allerdings gibt es neben den klassischen Eurobonds noch diverse Alternativvorschläge bzw. Abwandlungen, die die fehlende Anreizproblematik, die (hier gar nicht angesprochenen!) rechtlichen Probleme oder die Frage der Haftungsübernahme deutlich offensiver angehen. Hier sei nur beispielhaft auf die Idee der ESBies von Princeton-Professor Markus Brunnermeier und Kollegen verwiesen. Sollte sich die Bundeskanzlerin doch weichklopfen lassen, so bleibt zu hoffen, dass diese Ideen Eingang finden in die Endlösung der Schuldensozialisierung.

Philipp Hagspiel
Redakteur bei GodmodeTrader.de

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