Kommentar
14:00 Uhr, 05.10.2018

Diese Art von Zinswende brauchen wir - aber die Notenbanken trauen sich nicht!

Der Markt scheint gerade wegen steigender Zinsen nervös zu werden. Zumindest wird der donnerstägliche Selloff diesem Thema zugeschrieben. Dabei gerät die wirklich relevante Frage in den Hintergrund: brauchen wir die Zinswende nach oben überhaupt?

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  • US 10Y Bond Yield
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Global gesehen ist die Zinswende noch eine Illusion. Die USA sind praktisch der einzige nennenswerte Währungsraum, in dem die Zinsen steigen. Euro-, Pfund- und Yenraum sind von einer nachhaltigen Zinswende noch ein Stück entfernt.

Die englische Notenbank hat die Zinsen inzwischen auf 0,75 % angehoben. Im Big Picture ist das allerdings irrelevant (Grafik 1). Den Zinsschritt sieht man kaum und er hatte auch auf die Langfristzinsen keinen großen Einfluss. Dafür ist die Notenbankbilanz wohl einfach zu aufgebläht. Immerhin gab es einen so raschen Anstieg der Notenbankbilanz noch nie in der Historie.


In den USA sieht die Sache anders aus. Hier haben sich die Langfristzinsen deutlich von den Tiefs gelöst. Der Realzins ist immer noch sehr niedrig und oszilliert nahe der Marke von 0 %. Im Vergleich zu den letzten Jahren ist das niedrig. Im Vergleich zur gesamten Historie ist das nicht weiter auffällig.
US 10Y Bond Yield
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Inzwischen sind die Zinsen in den USA sogar wieder so hoch, dass man über einen Zeithorizont von fast 220 Jahren keine Auffälligkeit mehr feststellen kann. In insgesamt 50 Jahren war der Zins sogar tiefer als heute. So ungewöhnlich ist das Zinsniveau in den USA nicht mehr. Noch mehr Zinswende ist gar nicht notwendig.

Die USA haben nun aber wenigstens Zinsen, was man etwa von der Eurozone nicht behaupten kann. Aber braucht es überhaupt viel höhere Zinsen?

Ja und nein. Es braucht höhere Zinsen, wenn man keine Rentenkrise erleben will. Immer mehr Menschen müssen selbst vorsorgen. Wenn man allerdings keine Rendite erwirtschaften kann, reicht das nicht. Am Ende führt das zu einer Situation, in der immer mehr gespart werden muss, um das gleiche Resultat bei höheren Zinsen zu erzielen. Das wirkt deflationär. Japan kann davon ein Lied singen.


Deflation ist problematisch. Sinken die Preise, werden Schulden relativ gesehen immer mehr wert. Deflation macht jeden Schuldenberg früher oder später untragbar. Genau das soll vermieden werden. Nun kann man aber die Zinsen nicht schnell und schon gar nicht besonders drastisch anheben. Dafür sind die Schulden schon zu hoch.

Niedrige Zinsen bedingen bis zu einem gewissen Grad Deflation (über den Spareffekt). Genau die darf es wegen der Schulden nicht geben und wegen der Schulden bleiben die Zinsen niedrig. Es ist ein Teufelskreis. Aus dem müssen wir raus.

Es gibt zwei Varianten, wie das geschehen kann. Entweder werden die Zinsen angehoben oder die Inflation wird erhöht. Ersteres ist unwahrscheinlich, weil es die Schuldenblase zum Platzen bringt. Das soll ja mit allen Mitteln vermieden werden. Es bleibt nur die Inflation.

Inflation haben Notenbanken zu kreieren versucht. Sie sind gescheitert, wie wir heute wissen. Sie könnten dennoch Inflation schaffen, wenn sie wirklich wollten. Sie müssten einfach nur in die Staatsfinanzierung einsteigen. Das birgt die Gefahr in sich, dass das gesamte Geldsystem kollabiert (siehe Venezuela). Dosierte Finanzierung eines Konjunkturprogramms sollte allerdings ohne Kollaps des Geldsystems möglich sein.

Dazu fehlt den Notenbanken bisher der Mut. Es würde jedoch viele Probleme lösen. Deflation wäre kein Thema mehr, ebenso wenig die Schulden. Diese würden weginflationiert. Mit geringerer Verschuldung sind auch wieder höhere Zinsen möglich. So absurd es vielleicht ist, wir brauchen eine Zinswende, allerdings nicht nach oben, sondern nach unten, über den Umweg der Notenpresse. Diesmal allerdings zweckgebunden an Mehrausgaben des Staates.

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6 Kommentare

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  • While E. Coyote
    While E. Coyote

    Zinswender gibts beim Soda, oder bei Obi

    18:09 Uhr, 05.10. 2018
  • Danyo
    Danyo

    Hallo Herr Schmale,

    is vielleicht eine sehr eindimensionale Sicht auf den Markt, aber unter Umständen bewirkt das Anheben der Zinsen eine Erhöhung der Inflation. In einem Artikel vor einiger Zeit sagten sie, dass die Zinslast der US-Unternehmen heute genauso hoch ist wie 2008, obwohl die Zinsen nur 1/4 von damals betragen.

    Die Zinsen steigen -> Gewinn sinkt -> Preise werden erhöht.

    15:30 Uhr, 05.10. 2018
    1 Antwort anzeigen
  • wolp
    wolp

    Das Armen? Oder doch das Beinen? Klar, haben die damals bei den Muscheln auch gesagt. Kopf hoch, das System hält ewig. Mit der Erfahrung weiß man das Ihr Jungen Wilden!

    14:55 Uhr, 05.10. 2018
    1 Antwort anzeigen
  • Zukunft21
    Zukunft21

    das Geldsystem wird uns früher oder später gewaltig auf die Füße fallen das ist so sicher wie das Armen in der Kirche !

    14:10 Uhr, 05.10. 2018

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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