Kommentar
10:04 Uhr, 13.03.2019

Die niedrige Inflation ein Systemfehler?

Alle reden über die schlechte Konjunktur. Wie steht es eigentlich mit der Inflation?

  • Die Inflation ist in den letzten Jahren trotz langer Zeit guter Konjunktur, hoher Liquidität und niedriger Zinsen überraschend niedrig geblieben.
  • Das war eine gute Nachricht für Anleger.
  • Es gibt aber Probleme. Preissteigerungen sind ein Fieberthermometer für die Ungleichgewichte in der Wirtschaft. Könnte es sein, dass das Thermometer kaputt ist?

Die Entwicklung der Inflation hat in den letzten Jahren viele Fragezeichen aufgegeben. Lange Zeit lebten wir in der Angst, dass sie wegen der guten Konjunktur und der lockeren Geldpolitik außer Kontrolle geraten und nach oben ausbrechen könnte. In der zyklischen Abschwächung der letzten Monate hätte sie eigentlich kräftig nach unten gehen müssen. Weder das eine noch das andere ist geschehen. Seit 2017 bewegt sie sich unter Schwankungen im Schnitt um die 1,5 %. Das ist für sich genommen ein hervorragendes Ergebnis. Es bedeutet, dass wir praktisch Stabilität haben.

Eigentlich müssten wir vor Freude in die Luft springen. Eine Welt ohne Inflation ist Goldilocks pur. Wie sehr haben wir uns immer gewünscht, dass Güter und Dienste auf den Märkten nicht permanent teurer werden und unser Geld nicht immer mehr an Wert verliert? Ein stabiler Geldwert ist Lebensqualität für alle Schichten der Bevölkerung.

Er entschädigt die Sparer – jedenfalls ein bisschen – für die niedrigen Zinsen. Die Altersvorsorge wird etwas leichter, weil weniger für den Lebensabend zurückgelegt werden muss (unter der Voraussetzung, dass die Inflation auch künftig so niedrig bleibt). Von den positiven Wirkungen der Stabilität auf Wachstum und Beschäftigung sowie auf die Einkommens- und Vermögensverteilung gar nicht zu reden. Auch die Kapitalmärkte profitieren, wenn die Preise stabil sind.

INFLATION EURORAUM

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Quelle: EZB

Trotzdem ist von Euphorie wenig zu spüren. Wie kommt das? Wenn man genauer hinschaut, gibt es dafür eine Reihe von Gründen.

Einer ist, dass viele dem Frieden nicht trauen. Sie fürchten, die Preise könnten mit einer Zeitverzögerung doch reagieren. Das dicke Ende könnte also noch kommen. Die amerikanische Notenbank hat sich die Option auf weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr vorsorglich offen gehalten. Andererseits winkt die Europäische Zentralbank ab. Sie erwartet noch für die nächsten zwei Jahre Preissteigerungen von unter 2 %. Da muss man keine Angst haben.


»Preissteigerungen sind ein Fieberthermometer für die Ungleichgewichte in der Wirtschaft.«


Zweitens ist die Inflation noch nicht völlig weg. Sie ist nur nicht mehr so groß wie befürchtet. Es gibt immer noch Grund zum Klagen. Besonders ärgerlich sind die hohen Steigerungen in einzelnen Bereichen der Wirtschaft, zum Beispiel bei Mieten und Hauspreisen.

Drittens sind die Zentralbanken nicht zufrieden. Die EZB müsste laut Gesetz eigentlich eine Inflation von "nahe aber unter 2 %" erreichen. Sie bräuchte also eine höhere Inflation. Allerdings ist das Unterschießen des Inflationsziels für die meisten Menschen weniger schlimm, vorausgesetzt es gibt keine Deflation. Das ist derzeit aber nicht der Fall. Nie­mand wird der EZB also einen Strick drehen. Im Übrigen beträgt die Abweichung der aktuellen Preissteigerung von dem Ziel nur ein paar Zehntel Prozentpunkte. Das ist nicht die Welt.

Viertens haben wir anstelle der Inflation ein neues Problem: Die Abschwächung der Konjunktur und die Angst vor einer Rezession. Das eine hat zwar mit dem anderen nur bedingt etwas zu tun. Die Preissteigerung war auch niedrig, als die wirtschaftliche Aktivität noch besser war. Trotzdem belastet es natürlich die Stimmung.

Fünftens und im Zusammenhang damit gibt es grundsätzliche Zweifel. Wenn gute Konjunktur nicht mehr automatisch zu höheren Löhnen und mehr Preissteigerungen führt und schlechte nicht zu niedrigeren Löhnen und weniger Geldentwertung, dann stimmt etwas nicht in der Volkswirtschaft. Der marktwirtschaftliche Preismechanismus ist gestört. Die geringe Inflation ist nicht – wie das früher der Fall war – Ausdruck der Tatsache, dass sich die Wirtschaft im Gleichgewicht befindet.

Sie wird vielmehr durch strukturelle Faktoren gering gehalten. Das sind die neuen Technologien, die die Kosten senken und die Preise digitaler Produkte niedrig halten. Das ist das wachsende Angebot der Niedriglohnländer auf den Weltmärkten. Das ist die Zurückhaltung der Gewerkschaften, weil ihre Mitglieder Angst vor Arbeitsplatzverlusten haben. Das ist die Ausweitung der Laufzeit bei Tarifabschlüssen (zuletzt fast drei Jahre im öffentlichen Dienst). Der Ölpreis wird durch die großen Förderländer stabilisiert.

Das ist ein Problem. Inflation ist unter normalen Umständen wie ein Fieberthermometer. Das Fieber steigt an, wenn es Ungleichgewichte gibt oder sie größer werden. Es geht runter, wenn der Patient gesund wird. Wenn das Fieber jetzt trotz der Ungleichgewichte nicht zunimmt, dann geht es uns
nicht besser, sondern das Thermometer ist kaputt oder funktioniert nicht mehr richtig. Das ist kein gutes Zeichen. Vor allem fehlt es der Wirtschaftspolitik an dem Kompass, an dem sie sich bei ihrem Kurs orientieren kann.

Die Finanzpolitik hat keine Bremse, die öffentlichen Defizite in Grenzen zu halten. In den USA erreicht der Fehlbetrag im Bundeshaushalt derzeit USD 900 Mrd. – trotzdem scheint sich keiner daran zu stören. Die Europäische Zentralbank hat vorige Woche Feueralarm ausgerufen und ihre Löschzüge ausgefahren. Dabei geht sie selbst davon aus, dass wir weit von einer Rezession entfernt sind.

Für den Anleger

Für die Kapitalmärkte sind niedrige Inflationsraten, wenn sie wie jetzt keine Deflation signalisieren, gut. Bei Bonds muss man keine Kursverluste befürchten, in den letzten Wochen gab es sogar trotz der niedrigen Zinsen Kursgewinne. Bei Aktien verringert sich die Unsicherheit. Berücksichtigen Sie aber, dass unter der Oberfläche einer "heilen Welt" Probleme lauern, die erhebliche Unsicherheit und Schwankungen mit sich bringen.


Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen:martin.huefner@assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

18 Kommentare

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  • German2
    German2

    Quelle: www.shadowstats.com

    ...man gewichter einfach die Dinge geringer die stark im Preis steigen..Mieten usw .. Mieten sollten im Warenkorb 30-40% betragen, tun sie aber nicht , Wasser, strom ,lebensmittel ... alles extrem verteuert... da aber jeder weiss das Draghi ein betreüger istz kann man auch nicht erwarten das sie die wahrheitsgemässe Inflation verkünden

    07:06 Uhr, 14.03.2019
  • German2
    German2

    die Inflation liegt bei 5-6% ..diese Schummelrate die uns vorgegaugelt wird kann man vergessen

    07:03 Uhr, 14.03.2019
  • Solid2016
    Solid2016

    Eine meiner Ansicht nach plausible Erklärung dafür, dass wir zwar starke Inflation im Bereich der Vermögenswerte haben, also Aktien, Häuser, Anleihen etc., aber kaum Inflation bei den Konsumgütern hatte ich vor einiger Zeit von, wenn ich mich recht erinnere, Thomas Gebert gelesen.

    Kurz zusammengefasst schrieb er, dass sich durch Niedrigzinsen eben nicht nur die Geldmenge massiv ausweitet sondern auch die Produktion von Konsumgütern. Wenn Geldmenge und Gütermenge im gleichen Umfang steigen gibt es dort auch keine Inflation. Die Menge an Vermögenswerten lässt sich hingegen nur langsam (Immobilien, Gold) oder kaum bis gar nicht ausweiten (Aktien, Anleihen). Dort zeigt die Ausweitung der geldmenge sofort entsprechende Wirkung in rapide ansteigenden Preisen.

    23:34 Uhr, 13.03.2019
  • Ich_bin_ein_Berliner
    Ich_bin_ein_Berliner

    Euro long 3 Jahre sieht richtig mies aus

    21:41 Uhr, 13.03.2019
  • Floh11
    Floh11

    Leider geht das Video nicht einzufügen. Das Leerzeichen bitte selbst entfernen.

    11:48 Uhr, 13.03.2019
  • Gibson
    Gibson

    Alles richtig. Aber was ist der Auslöser, der das alles zum Kippen bringt? Da bin ich der Meinung, dass bei den Firmen, denen es jetzt schon nicht mehr so gut geht - und das sind nicht wenige - die weitere Verschuldung zu einem schlechteren Rating führen wird. Damit verbundene höhere Zinslasten sind nicht lange zu schultern. Dann geht die Lawine los.

    11:35 Uhr, 13.03.2019
    1 Antwort anzeigen
  • JürgenSK
    JürgenSK

    Was Inflation betrifft, soll die ja geschönt sein ( die Zusemmensetzung de Warenkorbes zur Berechnung wird einfach verändert)..in Wahrheit soll sie ja bei 4-5% liegen, meint zumindest der Ökonom Max Otte. Diese 4-5% könnte die EZB gar nicht öffentlich machen...dann müsste sie wohl die Zinsen erhöhen.

    11:01 Uhr, 13.03.2019
  • Floh11
    Floh11

    Wer bestimmt im Wesentlichen die Inflation nach Warenkorb? Es sind die normalen Menschen mit den normalen Jobs. Ein Milliardär wird die Inflation nicht positiv beeinflussen, indem er jetzt statt 1 Milliarde 4 Milliarden hat. Sein Warenkorb sind Vermögenswerte welche im Warenkorb der Inflationsberechnung nicht enthalten sind. Im Bereich der Vermögenswerte lässt sich Jedoch eine starke Inflation erkennen. Die Vermögenswerte sind alle Samt im Zuge der Geldpolitik gestiegen. Es ist ganz einfach.

    1. Der Normalbürger hat sein Einkommen entsprechend der Inflationsrate gesteigert. (Nullsummenspiel für Ihn). Bzw. Dadurch, dass er im wesentlichen auf der Bank spart hat er effektiv wahrscheinlich sogar noch einen Verlust seines Ersparten verkraften müssen.

    2. Der Vermögende hat sein Einkommen entsprechend der bereitgestellten Geldmenge gesteigert. Die aktuelle Inflation hat sich im Bereich der Vermögenswerte abgespielt. Netto gesehen ist er aber auch nicht reicher geworden, da seine Vermögenswerte zwar nominal mehr Wert sind, aber die Neuanschaffung gleichwertiger Vermögenswerte sich entsprechend stark verteuert haben.

    Am Ende lässt sich erkennen, das wir am Grenznutzen des Schuldenzyklus angekommen sind.

    Die erzeugten Buchwerte resultieren aus geringeren Finanzierungskosten und sind netto nahe Null zu betrachten.

    Nominal gewonnen haben die Vermögenden.

    In Summe gewonnen hat niemand, da dies alles nicht mit einer Produktivitätssteigerung einherging.

    Schöne Zahlen nix dahinter.

    10:44 Uhr, 13.03.2019
    2 Antworten anzeigen
  • Gibson
    Gibson

    Verschuldung!!

    Schauen Sie auf die Bilanzen der Unternehmen, vor allem in den USA. Ein schöner Artikel hierzu ist im Februar in "Capital" erschienen. Aktienkurse werden geschönt durch Aktienrückkäufe, die über Schulden finanziert werden (Bspl. McDonalds), die Bilanzen leiden, das Rating wird bei steigenden Zinsen negativ. Über kurz oder lang wird das Gehäuse instabil.

    10:26 Uhr, 13.03.2019