Kommentar
17:44 Uhr, 28.11.2019

Revolution bei den Target-Salden

Neue Entwicklung am europäischen Geldmarkt. Die Target-Salden steigen nicht mehr, sie verringern sich. Grund ist die Einführung des Tierings durch die EZB, das die Belastung der Banken durch die Minuszinsen verringern soll. Durch die Wiederaufnahme der Wertpapiergeschäfte seit 01.11. ziehen die Salden aber wieder an.

Zuerst hatte ich davon aus London gehört. Ein Kollege er­zählte mir, dass deutsche Banken ihren Widerwillen gegen Geldzuflüsse aus Italien aufgegeben hätten und nun ihrer­seits selbst kräftig Mittel bei Kreditinstituten in dem Land deponieren würden. Ich konnte mir das nicht vorstellen. Es schien eine der üblichen Sottisen zu sein, die Engländer über die "Konkurrenz" in Deutschland erzählen. Ich ging
der Sache trotzdem nach und – was Wunder – der Kollege hatte tatsächlich recht. Deutschland und andere Länder
des Euroraumes tun das, was sie sich immer geweigert hatten. Sie legen Geld bei Banken in Rom, Mailand und anderen Städten des Landes an.

»Es ist ein Schlag gegen alle Eurokri­tiker und Crash-Propheten, die aus den Target-Salden einen Zusammen­bruch des Euros vorhersagten.«

Als Folge dessen gehen die viel gescholtenen Target-Sal­den – das heißt die deutschen Überschüsse beziehungs­weise Defizite im europäischen Zahlungsverkehrssystem Target – zurück. Allein im Oktober war es ein Betrag von knapp EUR 80 Mrd. Wahrlich kein Pappenstiehl. Siehe Grafik. Nach dem Auslaufen der Wertpapierkäufe der EZB Anfang des Jahres hatte jeder zwar damit gerechnet, dass die Target-Salden nicht mehr steigen würden. Aber dass sie zurückgehen, und das auch noch unmittelbar vor dem Be­ginn neuer Wertpapierkäufe im November, das hatten wohl wenige auf der Rechnung.

Es ist ein Schlag gegen alle Eurokritiker und Crash-Pro­pheten, die aus den Target-Salden einen Zusammenbruch des Euros vorhersagten und vor allem auch eine Pleite der Bundesrepublik, die über die höchsten Target-Salden ver­fügt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in Deutschland bisher niemand über das neue Phänomen der Umkehr bei den Target-Salden spricht.

Was ist passiert, das so eine Revolution bei den Target-Salden auslöst? Um mit dem Negativen zu beginnen: An der wirtschaftlichen und politischen Situation Italiens liegt es nicht. Das Damoklesschwert einer Regierung Salvini ist zwar abgewehrt worden. Aber die neue Regierung Conte geht die notwendigen Reformen keineswegs kraftvoll und überzeugend an. Sie ist auch nicht so gefestigt, dass man ihr eine lange Lebensdauer prognostizieren würde.

Die Zinsen in Italien sind gefallen. Sie liegen für 10-jährige Staatspapiere bei 1,3 %. Das ist zwar erfreulich. Angesichts der nach wie vor bestehenden Risiken in dem Land er­scheint der Zinsrutsch vielen aber zu groß. Sie rechnen eher mit Zinssteigerungen. Auch das ist kein Grund für Geldtransfers in das Land.

Wirtschaftlich schrammt das Land an einer Rezession. Die Staatsverschuldung ist nach wie vor zu hoch. Die Leistungs­bilanz ist zwar im Plus, aber nicht wegen der hohen Wettbe­werbsfähigkeit, sondern weil das Wachstum so niedrig ist. All das was wir von unserem südlichen Nachbarn schon seit langem kennen.

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Woher dann also die Geldzuflüsse? Sie haben einen ganz anderen Grund. Sie hängen nicht mit der Attraktivität Itali­ens für Kapitalströme zusammen. Hier spielt vielmehr die Einführung des "Tierings" eine Rolle, das die EZB am 12. September beschlossen hatte, um die Banken bei den ne­gativen Einlagenzinsen zu entlasten. Durch das Tiering wer­den nicht wie bisher alle Überschussreserven der Banken mit Strafzinsen belegt, sondern nur ein Teil. Der Rest darf frei zu 0 % (statt minus 0,5 %) angelegt werden.

Für die deutschen Banken ist das keine große Erleichte­rung. Sie haben so viele Überschussreserven, dass ihnen keine Freibeträge verbleiben. Bei den italienischen Banken ist das anders. Sie besitzen nämlich – ebenso wie etwa die spanischen Häuser – relativ wenig Überschussreserven. Der Freibetrag, den sie durch das Tiering bekommen, ist größer als das, was sie tatsächlich benötigen. Das bedeu­tet, dass sie den Freibetrag anderen zur Verfügung stellen können. Und genau das tun sie. Deutsche Kreditinstitute nutzen das. So kommt es zu den Geldflüssen von Deutsch­land nach Italien.

Das Ganze dürfte sich nicht nur auf Deutschland und Italien beziehen, sondern auch auf andere Euromitglieder, die Frei­beträge für ihre Überschussreserven suchen beziehungs­weise anbieten. Leider liegen dazu noch keine aktuellen Zahlen vor. Deutschland und Italien dürften aber die promi­nentesten Länder sein.

Was ist davon zu halten? Insgesamt ist es eine positive Ent­wicklung. Die Fragmentierung der nationalen Geldmärkte verringert sich. Es passiert ein Schritt in Richtung einer engeren Zusammenarbeit in der Bankenunion, die auch auf
deren Gebieten angestrebt wird. Das Ärgernis der Target-Salden, das so viel diskutiert und kritisiert wird (ob mit Recht oder nicht), verliert etwas von seinem Schrecken. Ich ver­mute, dass die Target-Salden im November noch stärker zurückgehen, da die Tiering-Regel dann offiziell in Kraft getreten ist.

Andererseits sollte man aber auch nicht übertreiben. Die gesamten Target-Forderungen der Bundesbank belaufen sich auf EUR 837 Mrd. Der Rückgang, den wir im Oktober gesehen haben, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Zu­dem ist zu berücksichtigen, dass die Europäische Zentral­bank im November die Wertpapierkäufe wieder aufgenom­men hat. Es handelt sich zwar um einen relativ geringen Betrag (EUR 20 Mrd. pro Monat). Aber auch dadurch wer­den die Target-Salden wieder steigen.

Für den Anleger

Für die Kapitalmärkte ist der Rückgang der Target-Salden gut. Die europäische Integration wächst weiter, wenn auch im Schneckentempo. Die Belastungen des Euros mindern sich. Insgesamt dürften sich die Effekte aber in Grenzen halten. Die Symbolkraft ist aber umso größer.


Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen:martin.huefner@assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

23 Kommentare

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  • Sideliner
    Sideliner

    Vermutlich ist es sogar Absicht, Target-Saldo gegen echte Forderungen zu tauschen. Der Restwert dürfte vergleichbar sein, das Geld aber in der italienischen Bank vermutlich produktiver als sonstwo. Der Absicherungseffekt gegen nicht einbringbare Target-Salden dürfte den Staat motivieren, sich hinter solche Geschäfte zu stellen.

    Es ist schon der Ritt auf der Rasierklinge, den wir da in Zeitlupe beobachten dürfen. Und er ist viel länger hutgegangen als man das jemals sich hätte vorstellen können. Das alles vermutlich nur, weil die aufstrebenden Länder der zweiten und dritten Reihe ihre eigenen Probleme haben und dazu noch ein grosses Interesse daran, sich keine Instabilität in Europa draufzupacken.

    11:20 Uhr, 02.12.2019
    1 Antwort anzeigen
  • trend-x
    trend-x

    so lange niemand aus dem Euro austritt, ist das alles noch nicht wirklich relevant. Und richtig, zweifelhafte Forderungen kann man gerne mal beim Schuldner parken. Was das Tiering betrifft, so sollten die Banken bei Überschussliquidität entlastet werden. Besser wäre es aber für die Konjunktur, wenn die überschüssige Liquidität in Investitionen fließen würde, anstatt vermindert „bestraft“ zu werden. Es bleibt dabei: Die Geldpolitik der EZB ist am Ende- Ihre Maßnahmen haben bis dato nicht den gewünschten Effekt erzielt.

    10:45 Uhr, 02.12.2019
  • Sideliner
    Sideliner

    Man beachte, die Zahl im Jahre 2009, ganz links in der Grafik, ist die Zahl mitten in der Finanzkrise. Das waren 100 Milliarden. Heute ist man bei 800 Milliarden plus Kleingeld. Das 8-fache.

    Und wenn deutsche Banken nun 10 Monate lang jeden Monat 80 Milliarden in Italien anlegen, dann ist der Target wieder auf dem Level der Finanzkrise 2009. Wobei 800 Milliarden Abschreibungen entstehen, denn Italiens Banken sind bekanntlich übel dran.

    Ob über Target oder über Verleih nach Italien, das Geld ist so oder so weg - das dürfte auch der Grund sein, warum man so freizügig ist...

    10:14 Uhr, 02.12.2019
  • trend-x
    trend-x

    Bei den Target-Salden handelt es sich nicht um werthaltige Forderungen. Ferner kauft die EZB seit November wieder Assets, dass dürfte die Target-Salden wieder in naher Zukunft belasten. Von Revolution zu sprechen, ist wohl zu viel des „Guten“.

    10:09 Uhr, 02.12.2019
  • 1 Antwort anzeigen
  • JürgenSK
    JürgenSK

    naja...hat halt jeder seine Meinung und seine Infos. Grundlegend wirds es mittelfristig/langfristig eher keine Rolle spielen. Deutschland profitiert noch vom billigen Euro, schwache Länder leiden darunter. Treten die Länder aus, steht der Euro zum Dollar wohl bei 1,70, eher höher, was dann mit den Exporten passieren würde, kann man sich vorstellen. Ich denke das dieses Konstrukt dem Tod geweiht ist....also das spielen dann die Target- Salden keine Rolle mehr....war trotzdem interessant sich mal auszutauschen

    16:09 Uhr, 29.11.2019
  • JürgenSK
    JürgenSK

    Klar kaufen Banken keine Waren...aber sie vergeben eben die Kredite und mit Geldern von der Bundesbank/ EZB. Herr Sinn nennt das ja öffentlich verzinste Kredite zur Finanzierung von Leistungsbilanz-Defiziten. "Reicht der private Kapitalimport nicht aus und steht auch noch kein Hilfskredit der Staatengemeinschaft zur Verfügung, kann sichdas Land nur helfen, indem es seine Notenbank veranlasst, ihm neues Geld zuleihen. Dieses Leihgeschäft wird durch dieTarget-Salden abgebildet." ich denke ganz unwissend wird Herr Sinn nicht sein
    https://www.ifo.de/DocDL/ifosd...

    16:01 Uhr, 29.11.2019
  • JürgenSK
    JürgenSK

    Also ich denke im Falle der Banken ist es ein Buchungsvorgang, wenn sie geld dort unten parken. Was anderes ist es, wenn Banken dort unten Geld erhalten haben und hier dafür Waren kaufen!!!!..dann enstehen Schulden, dies soll ja ein nicht unerheblicher Teil der Targetsalden sein,..darum hat das Draghi wohl auch als " nicht wichtig" abgetan....ist aber nur meine Sicht, also ich bin kein Experte und kann auch falsch liegen..

    15:23 Uhr, 29.11.2019
    1 Antwort anzeigen
  • JürgenSK
    JürgenSK

    Also das sinken der Targetsalden ist ja nur solange der Fall, wie lang die Banken das Geld bei italienischen Banken lassen...also ist es nur ein Buchungsvorgang....

    ansonsten findet man keine klare Formulierung über die Targets, sogar Experten widersprechen sich. Herr Sinn meint, dass im Zuge der Krise eben Kredite aus den südlichen Ländern abgezogen wurden, dieses Geld musste ersetzt werden von den dortigen Notenbanken. Also man stellte den Banken wieder Geld zu Verfügung, damit unser Export nicht einbricht...die Folgen wären wohl teuerer gewesen :-) Selbst Draghi hat sich ja nicht direkt dazu geäussert...also das stinkt doch gewaltig, der kann das doch genau nachprüfen..oder er hat den falschen Job...

    Welchen Anteil diese vier Gründe (Abzug von Krediten, Kapitalflucht, Exportüberschuss, EZB-Programme) jeweils am Aufblähen des deutschen Target-Saldos haben, lässt sich nicht sagen. EZB-Chef Mario Draghi teilte jedoch Ende Juli seine Einschätzung mit, dass die Salden vor allem auf die Kaufaktionen der Notenbanken zurückgingen. „Alles andere ist zweitrangig“, sagte er. Seit 2015 hatte die EZB Papiere im Wert von 2,5 Billionen Euro erworben.

    14:42 Uhr, 29.11.2019
    1 Antwort anzeigen
  • JürgenSK
    JürgenSK

    was den Realzins betrifft kann man das hier nachlesen. Nach Meinung vieler Ökonomen liegt die Infaltion aber wohl höher, eher zwischen 3 und 4,5%....wenn man sie nicht schönrechnet und den Warenkorb entsprechend zusammenstellt.

    https://www.comdirect.de/cms/u...

    14:26 Uhr, 29.11.2019