Fundamentale Nachricht
13:39 Uhr, 14.12.2021

Die neue Realität: Weltwirtschaft der zwei Geschwindigkeiten

Die Kapitalmarktexperten von Jupiter Asset Management ziehen ein Resümee aus dem vergangenen, herausfordernden Jahr im Kontext der Corona-Krise und geben einen Ausblick auf das Investmentjahr 2022. Mark Nash gibt seine Einschätzung zu den Herausforderungen für die Geldpolitik.

Das zurückliegende Jahr war ein Jahr voller Hoffnungen und Enttäuschungen. Mit der Markteinführung der Impfstoffe kam zum Jahreswechsel 2021 Optimismus in Bezug auf eine Erholung der vom Coronavirus gebeutelten Weltwirtschaft auf. Angesichts der lockeren Geldpolitik und üppigen Konjunkturpakete war die Reflation am Jahresanfang das große Thema an den Märkten.

Im Jahresverlauf machte sich dann jedoch eine Ernüchterung breit. Nachdem das Schreckgespenst der „Stagflation“ kurz die Runde machte, droht jetzt die Inflation zum Spielverderber zu werden. Der jüngste Preisschub macht den Zentralbanken und den Finanzmärkten gleichermaßen zu schaffen. In den meisten Teilen der Welt ist der Preisanstieg auf Lieferengpässe durch pandemiebedingte Unterbrechungen der Logistikketten zurückzuführen. In Verbindung mit den Supply-Chain-Problemen hat in den USA ein starker Anstieg der Verbrauchernachfrage die Inflation auf den höchsten Stand seit mehr als drei Jahrzehnten befördert. Gleichzeitig sind die Öl- und Gaspreise gestiegen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was uns im nächsten Jahr erwartet. Wie werden sich die großen Zentralbanken in dieser Situation verhalten? Sie stecken in der Zwickmühle: Während in den USA inzwischen ein größerer Wachstumsoptimismus herrscht, leidet der Rest der Welt noch immer unter den Folgen der Pandemie.

Die China-Frage

Von den großen Zentralbanken hat die US-Notenbank Fed bereits begonnen, ihre Wertpapierkäufe zu drosseln. Die Bank of England hatte einen Fehlstart mit Zinserhöhungen und die Europäische Zentralbank scheint keine Eile zu haben, da ihre Wirtschaft viel stärker auf China ausgerichtet ist.

Der Schlüssel zur Lösung dieser schwierigen Frage wird China sein, wo die politischen Bemühungen um eine Entschuldung der Wirtschaft für mehr finanzielle Stabilität mit der Pandemie zusammengefallen sind. Die Schwäche der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ist auf eine restriktivere Haushaltspolitik, geringere Investitionsausgaben und die Einstellung der starken Kreditausweitung zurückzuführen. Hinzu kommen die für China typische hohe Sparquote und die schwache Konsumnachfrage. Unterdessen hat der Fall Evergrande die Probleme im chinesischen Immobiliensektor offengelegt.

In Verbindung mit dem starken Renminbi und den hohen Realzinsen macht dies eine rasche Erholung sehr unwahrscheinlich. Das Exportgeschäft läuft zwar gut, aufgrund der weltweiten Konjunkturschwäche aber nicht gut genug. China unternimmt keinerlei Anstrengungen zur Wiederbelebung der Konjunktur. Das verheißt nichts Gutes für das weltweite Wachstum.

Herausforderungen für die Geldpolitik

Dieses Szenario wird durch die aggressive Abflachung der Zinskurve abgebildet. Die Renditen kurzfristig fälliger Anleihen steigen schneller als die langfristiger Anleihen. Seitdem sich die Zentralbanken im Bemühen um eine Eindämmung der Inflation restriktiver äußern, sind die Renditen am kurzen Ende der Kurve rasch gestiegen. Die Zentralbanken können es sich nicht leisten, untätig zu sein, wenn die Inflation anzieht. Gleichzeitig dürfen sie aber auch keinen geldpolitischen Fehltritt in Form einer zu frühen Zinserhöhung riskieren.

Wir sind in unserer Strategie aktuell long in Dollar (rechnen also mit einer Aufwertung der US-Währung) und short in US-Staatsanleihen (rechnen also mit Kursrückgängen) gegenüber dem Rest der Welt. Der steigende Dollar dämpft die hohen Importpreise für Waren, insbesondere aus China. Ich denke, die Fed würde einen starken Dollar bevorzugen und eine höhere Volatilität herbeiführen, um die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und private Haushalte zu straffen.

Eine solche Vorgehensweise wird einen erheblichen Ausverkauf am Anleihenmarkt verhindern. Für die Schwellenmärkte könnte ein starker Dollar jedoch eine Belastung darstellen: Sie würden sich gezwungen sehen, ihre Geldpolitik zu straffen, um eine anhaltende Abwertung ihrer Währungen zu verhindern. Das wiederum könnte das Wachstum bremsen. Auslöser eines Ausverkaufs von Anleihen wären ein schwächerer Dollar und/oder niedrige Realzinsen und ein breit angelegtes Wachstum. Dies ist aktuell nicht zu beobachten.

Übertriebene Erwartungen für Zinserhöhungen

Die Fed wird sich im neuen Jahr weiter restriktiv äußern. Dadurch könnten sich interessante Einstiegsmöglichkeiten bei US-Staatsanleihen bieten. Obwohl die Sorgen über mögliche Zinserhöhungen am Markt zunehmen können, halten wir die vom Markt eingepreiste Straffung für übertrieben, da die Wachstumsentwicklung außerhalb der USA ein Sorgenfaktor sein wird. Daher ist der langfristig neutrale Zinssatz (Terminal Rate) der Fed weiterhin niedrig. Eine höhere Volatilität dürfte den Anstieg der Zinsen am kurzen Ende der Kurve letztlich stoppen.
Wir werden unsere Einschätzungen im Jahresverlauf anpassen, wenn sich das Umfeld so entwickeln sollte, wie von uns erwartet, und wir rechnen mit einer erhöhten Volatilität, was zu steileren Zinskurven führen und risikoreiche Anlagen günstiger machen wird. Außerdem erwarten wir, dass Emerging-Market-Anlagen im nächsten Jahr günstig sein werden.

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