Deflation, Double Dip, Depression - Rückkehr der bösen "D-Wörter" am Markt?
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Zürich (BoerseGo.de) - Die Angst vor einer Deflation (konstanter und gravierender Preisrückgang bei gleichzeitig schwachen Wachstumsraten) ist nach Einschätzung von Christian Gattiker, Head of Research bei Julius Bär wohl am stärksten ausgeprägt. Die Renditen 10-jähriger US-Treasuries sanken im August auf die Marke von 2.5%. Das gilt auch für Deutschland (Bundesanleihe bei 2.2%), die Schweiz (1.5%) und Japan (0.9%). "Die Anleger scheinen sich damit zufrieden zu geben, den Regierungen Geld zu Zinssätzen zur Verfügung zu stellen, die kaum Raum für Fehler bei den Inflationsprognosen zulassen“, so Gattiker.
Nach der Aufstockung der Lager im Winterhalbjahr 2009/ 2010 sorgten die Konjunkturindikatoren zu Beginn des 2. Quartals dieses Jahres erneut für einige unliebsame Überraschungen. Der Ökonom fragt sich: "Ist dies das übliche Luftloch nach der ersten Erholungsphase im Anschluss an eine Rezession - oder stehen die USA - und mit ihr ein Großteil der Weltwirtschaft – am Rande einer zweiten Rezession (einem Double Dip ) , da die Stimulierungsmaßnahmen auslaufen und die strukturelle Neuausrichtung noch nicht abgeschlossen ist?"
Laut dem Ökonomen entwickeln sich die Wohnimmobilienmärkte nach wie vor schwach, insbesondere in Volkswirtschaften, in denen in den letzten Jahren eine Immobilienblase platzte. Die USA beispielsweise erlebten eine weitere Abkühlung in den negativen Bereich. Das bestätigen auch die jüngsten Wohnimmobiliendaten: So sind die Verkäufe bestehender Häuser im Juli um 27% eingebrochen. Das bedeute aber nicht zwingend, dass die gesamte Wirtschaft erneut in die Rezession abgleitet. Im Gegensatz zu 2008 gebe es nämlich auch ermutigende Anzeichen. Die letzte Senior Loan Officer Survey zeige, dass die Banken wieder Kredite gewähren wollen oder zumindest das Kreditvolumen nicht noch stärker reduzieren. Das sei ein wesentlicher Unterschied zur Finanzkrise 2008, als die Abkühlung am Wohnimmobilienmarkt eine Kreditklemme auslöste. Vor allem große Unternehmen haben laut Gattiker uneingeschränkt und zu attraktiven Bedingungen Zugang zu den Kapitalmärkten, wie die Anleihenemissionen von IBM und BMW kürzlich bewiesen haben.
Der Julius Bär Ökonom fasst es wie folgt zusammen: Das Wachstumin den USA ist «schwach, aber nachhaltig». Die Anleihenmärktescheinen diese Sichtweise zu teilen – undeben diese Märkte waren es, die im letzten Jahrhundert Rezessionenam verlässlichsten vorausgesagt haben: Der Verlaufder Renditekurve zeigte jede der letzten acht Rezessionen an.Gemäß dem US-Anleihenmarkt liegt die Wahrscheinlichkeit,dass die US-Wirtschaft in den nächsten vier Quartalen wiederin eine Rezession abrutscht, zurzeit bei gerade einmal 0.0047%. Manche Anleger glauben jedoch, dass es diesesMal anders ist, da die Zentralbanken die Zinsen auf unhaltbartiefen Niveaus halten und der Transmissionsriemen für Kreditegerissen ist. Doch ein Blick auf Japan (das genau die gleichenProbleme hatte) verdeutlicht, dass die Renditekurve jedeRezession korrekt anzeigte, obwohl die Bank of Japan die Märkte mit billigem Geld flutete.
Julius Bär Ökonomen waren bei den Renditeprognosen zuletzt eher zurückhaltend und sagten für USStaatsanleihen ein Renditeniveau von unter 3% voraus. Doch selbst sie halten gewisse Staatsanleihen wie deutsche Bundesanleihen oder Eidgenossen für teuer bewertet. Eine kurzfristige Korrektur bei Anleihen ist bei den aktuellen Niveaus also nicht ausgeschlossen. Eine strukturelle Trendwende scheint nach Meinung von Julius Bär unwahrscheinlich.
Die Anleger mögen fragen sich, woher das Wachstum überhaupt kommen soll, wenn eine Double-Dip-Rezession außerhalb des Wohnimmobilienmarkts ausbleibt. Die Konsumenten zahlen ihre Schulden zurück, statt zu konsumieren, und die Regierungen können nicht noch mehr ausgeben. Das Szenario eines «schwachen, aber nachhaltigen Wachstums» stützt sich auf die Investitionsfähigkeit der Unternehmen ab. In den USA und in Europa verfügen die Unternehmen über mehr liquide Mittel als je zuvor in den letzten 50 Jahren. Somit stehen bei ihnen Investitionen wieder auf dem Programm, nachdem sie diese jahrelang zurückgestellt hatten. Da Investitionen in Sachanlagen einen eher kleinen Teil der Wirtschaft ausmachen (im Gegensatz zum Anteil des Konsums von 60– 70%), werden die Ausgaben der Unternehmen aber nur einen moderaten Wachstumsbeitrag leisten. Dieser ist dafür relativ nachhaltig, da die geschaffenen Vermögenswerte weiteren wirtschaftlichen Nutzen generieren werden. Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zum rein konsumgetriebenen Wachstumsmodell dar, das zu Beginn dieses Jahrzehnts die Regel war, denn der kreditfinanzierte Konsum hat sich als nicht nachhaltig erwiesen.
Auf den ersten Blick scheinen die oben beschriebenen Szenarien auf ein weniger düsteres Bild hinzudeuten, als es die Anleihenmärkte erahnen lassen. Die Julius Bär-Ökonomen rund um Gattiker bleiben jedoch defensiv positioniert. Diese Einschätzung basiert auf vier Argumenten: 1) Der US-Arbeitsmarkt könnte erneut enttäuschen. Obwohl die schleppende Erholung angesichts des Ausmasses der Kreditklemme vollkommen normal ist, bleibt das Risiko weiterer Enttäuschungen bis in den Herbst hinein hoch. Die Konsensschätzungen sind nach wie vor zu positiv. 2) Die Krise der Eurozone ist noch längst nicht überstanden. Die volatile Entwicklung der Risikoaufschläge für Staatsanleihen überschuldeter Länder dürfte die Märkte weiterhin beschäftigen. 3) Diesen September ist das Anleihenangebot besonders üppig. Da in den USA und in der Eurozone allein im September Auktionen von Staatsanleihen im Umfang von USD 120 Mrd. bzw. EUR 75 Mrd. anstehen, dürfte die Nachfrage nach anderen Anlagen eher gering sein. 4) Die saisonalen und technischen Faktoren stimmen nicht gerade zuversichtlich. Wir sprechen hier nicht vom berühmtberüchtigten «Hindenburg-Omen», sondern von der Tatsache, dass die Märkte in der Vergangenheit im Vorfeld von Zwischenwahlen in den USA jeweils unter Druck gerieten. Auch unsere taktischen Modelle mahnen zur Vorsicht.
Angesichts der oben erläuterten Fakten und Meinungen hält es das Julius Bär Investment Committee nicht für angebracht, das Risikobudget zum jetzigen Zeitpunkt zu erhöhen. Die seit Beginn des Quartals bestehende defensive Positionierung wird beibehalten. Die aktuelle Marktsituation bietet aber auch Chancen, um das Risiko innerhalb der bestehenden Grenzen umzuverteilen. Das Investment Committee war sich einig, dass eine kurzfristige vorsichtige Einschätzung von Aktien auf taktischer Basis die Möglichkeit eröffnet, einen beachtlichen Teil der Aktien reifer Märkte in ein strategisches Engagement von Lokalwährungsanleihen asiatischer Schwellenländer umzuschichten. Was das reine Risiko anbelangt, korrelieren beide Anlagen natürlich stark miteinander. In einem Umfeld niedriger Renditen ist dagegen eine Anlage mit ansprechender Couponzahlung wie ein Schwellenländerbond von Vorteil. Zudem sollten sich die soliden Fundamentaldaten dieser Länder in den nächsten Jahren auszahlen, da die Märkte stark zwischen lohnenden und «schlechten» Risiken differenzieren werden.
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