Kommentar
10:05 Uhr, 24.12.2018

Das türkische Wirtschaftswunder

Der Kollaps der türkischen Lira ist noch nicht lange her. Es spricht aber niemand mehr darüber. Was ist aus der Sache geworden?

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Es ist Weihnachten. Da passt es ganz gut, wenn man über ein Wunder berichten kann. Dieses Wunder fand in der türkischen Wirtschaft statt und nennt sich freier Markt. Damit wäre auch schon erklärt, was passiert ist. Marktkräfte haben im Rekordtempo zu einer Anpassung geführt und haben damit das größte Problem der Wirtschaft beseitigt.

Die Türkei hat seit Jahrzehnten eine negative Handelsbilanz. Die ständigen Kapitalabflüsse drücken die Währung ganz automatisch. 2018 kam dann der wahrscheinlich längst überfällige Knall. Anleger glaubten nicht mehr daran, dass die Schulden, vor allem die Auslandsschulden, gezahlt werden können.

Investoren zogen im großen Stil Gelder ab. Die Währung kollabierte. In der Folge stieg die Inflationsrate über 25 % und die Zentralbank hob die Zinsen auf 24 % an. Das kam nicht überall gut an, stabilisierte die Lage aber kurzfristig. Inzwischen haben die Marktkräfte gewirkt und wahre Wunder vollbracht.

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Die schwache Währung hat vor allem dazu geführt, dass weniger importiert wurde. Importe brachen um ein Drittel ein (Grafik 1). Im Gegenzug konnten die Exporte ansteigen. Zum ersten Mal seit 30 Jahren überstiegen die Exporte die Importe. Gleichzeitig konnte der Tourismus von der schwachen Lira profitieren.

Der Tourismus ist eine wichtige Einnahmequelle. Er litt 2016 unter dem Putschversuch. 2017 kam es zu einer Erholung. Trotzdem blieben die Einnahmen unter den Werten von 2015 zurück. 2018 konnte dieser Wert wieder erreicht werden. Das brachte dringend benötigtes Geld ins Land.
Tourismus ist ein Dienstleistungsexport. Betrachtet man sämtliche Importe und Exporte (Waren, Dienstleistungen), so ist die Handelsbilanz erstmals seit 2008 wieder positiv. Betrachtet man nur die Waren, muss man in die 80er Jahre zurückblicken.

Zusammen mit Transferleistungen und der Kapitalbilanz ergibt sich die Leistungsbilanz (Grafik 2), die nun bereits drei Monate in Folge stark positiv ist. Es fließt effektiv wieder Geld ins Land. Das hat in den vergangenen Wochen zu einer deutlichen Aufwertung der Währung geführt.

Die Inflation ist mit über 20 % immer noch hoch. Es wird noch Monate dauern bis sie sich wieder normalisiert hat. Die Wirtschaft ist im dritten Quartal geschrumpft. Es ist also noch nicht alles wieder rosig. Das wird noch Zeit ins Anspruch nehmen.

Das Hauptproblem, das Leistungsbilanzdefizit, ist behoben. Das geschah in absoluter Rekordzeit. Es brauchte keine Hilfskredite vom Internationalen Währungsfonds oder aus Europa. Die Regierung wollte keine Kredite, um weiterhin frei agieren zu können. Das hat zu einer Schockanpassung geführt. Das Ziel wurde erreicht, wenn auch ziemlich brutal.

Der Theorie nach sollte genau das geschehen. Die Geschwindigkeit ist allerdings bemerkenswert. Es gleicht schon fast einem Wunder, was die freien Marktkräfte so anstellen können.

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2 Kommentare

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  • Bigdogg
    Bigdogg

    Das andere Wunder kann man in Griechenland bestaunen....wenn alle rumpfuschen und keiner verantwortlich sein will.

    12:58 Uhr, 27.12.2018
  • wizardmw
    wizardmw

    Diesen Artikel sollten Sie mal Herrn Draghi schicken..... Frohe Wheinacht

    10:16 Uhr, 24.12.2018

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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