Fundamentale Nachricht
13:42 Uhr, 01.08.2017

„Das leise Stupsen in Richtung Zinswende“

In Europa rückt das Ende von Quantitative Easing näher. Allerdings stehen wir Robeco-Chefanlagestratege Lukas Daalder zufolge nicht vor radikalen Veränderungen.

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Rotterdam (GodmodeTrader.de) - Gegensätzliche Signale, verwirrende Kommunikation: In seinem aktuellen Marktkommentar nimmt Lukas Daalder die Äußerungen der europäischen Notenbanker genau unter die Lupe. Robecos Chefanlagestratege kommt zu dem Schluss: Das Ende der lockeren Geldpolitik (Quantitative Easing) rückt näher.

In den letzten Jahren ist es den Notenbanken gelungen, durch den Stil ihrer Verlautbarungen eine Verunsicherung an den Märkten zu verhindern. Die jüngsten Meinungsänderungen in Bezug auf die Geldpolitik lassen allerdings vermuten, dass die Zentralbanken die Marktteilnehmer nun dazu bewegen wollen, sich in Europa allmählich auf ein Ende der Politik des billigen Geldes einzustellen, wie Lukas Daalder, Chief Investment Officer von Robeco Investment Solutions, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Ein bekanntes Zitat von Alan Greenspan, dem ehemaligen Chef der US-Notenbank Fed, zeige, dass die Kommunikation der Währungshüter nicht immer einfach sei: „Seitdem ich Notenbanker geworden bin, habe ich gelernt, mit großer Inkohärenz vor mich hin zu murmeln. Wenn meine Äußerungen jemandem übermäßig klar erscheinen, dann hat er sicher missverstanden, was ich gesagt habe.” Wer sich – wie Greenspan es formuliert habe – „übermäßig klar“ äußere, könne von früheren Aussagen eingeholt werden. Wer dagegen zu vage bleibe, könne die Marktakteure verunsichern, weil sie dann nicht wüssten, was sie zu erwarten hätten. Am besten sei deshalb der Mittelweg: Optionen offen halten, sich niemals übermäßig klar äußern und versuchen, die Märkte in die gewünschte Richtung zu bewegen, heißt es weiter.

„Diese Strategie wird erfolgreich praktiziert: Veranstaltungen, auf denen Notenbanker zur Geldpolitik Stellung nehmen, sind mittlerweile langweilig. Dass die Fed im laufenden Erhöhungszyklus die Zinsen dreimal anheben und die ersten Schritte zur Rücknahme von Quantitative Easing (QE) bekannt geben konnte, ohne die Renten- oder Aktienmärkte zu sehr zu beunruhigen, ist ein eindeutiger Beweis, dass ihre Kommunikation funktioniert hat”, so Daalder.

Angesichts dessen könne man sich fragen, was sich in den letzten Wochen diesseits des Atlantiks abgespielt habe. „Was genau versuchen Europas Notenbanker uns mitzuteilen?“, fragt Daalder, für den die Hinweise auf ein Ende von Quantitative Easing zunehmen.

Für Daalder hat die eher behäbige britische Notenbank („Bank of England” – BoE) ein gutes Beispiel dafür geliefert, wie die neue Orientierung eine Verschärfung der Geldpolitik andeuten könnte. Am 15. Juni habe der Chefökonom der BoE dafür votiert, den Leitzins bei 0,25 Prozent zu belassen. Doch innerhalb von nur einer Woche habe er eine Kehrtwende vollzogen, indem er angedeutet habe, dass eine Rücknahme von Stimulierungsmaßnahmen in gewissem Umfang angebracht wäre. Der Gouverneur der BoE, der zuvor ebenfalls für unveränderte Leitzinsen plädierte, habe sich am 28. Juni ähnlich geäußert, heißt es weiter.

„An sich ist es nicht ungewöhnlich oder verkehrt, wenn Notenbanker ihre Meinung ändern. Nach dem unerwarteten Ausgang des britischen EU-Referendums im letzten Jahr beschloss die BoE zusätzliche geldpolitische Stimulierungsmaßnahmen, um den für die britische Wirtschaft erwarteten Schock abzufedern. Doch der kam nie, und die Wirtschaft setzte ihr Wachstum fort. Das könnte für sich genommen schon ein stichhaltiger Grund sein, diese zusätzlichen Stimuli teilweise zurückzunehmen”, so Daalder, für den der plötzliche Sinneswandel schwer nachvollziehbar bleibt. „Die Wachstumsaussichten sind schwächer geworden, die Verbraucher leiden unter höheren Preisen und rückläufigen Realeinkommen, und die BoE hat ‚vorübergehende’ Inflationsausschläge nach oben bisher ziemlich locker gesehen. Wenn die BoE es also ernst meint und den Markt auf eine bevorstehende Zinserhöhung einstimmen will, darf man in den nächsten Monaten eine weitere Orientierung in dieser Richtung und bessere Konjunkturdaten erwarten.”

Die Europäische Zentralbank (EZB) stehe zwar vor einem ganz anderen Szenario, doch ihr Präsident Mario Draghi habe sich ähnlich diffus geäußert, heißt es weiter. „Auf der Juni-Sitzung überraschte Draghi die Märkte mit der Absenkung der Inflationserwartung für 2018 auf 1,3 Prozent. Dies zeigt, dass kein wirklicher Inflationsdruck entsteht, weil die Verknappung des Arbeitskräfteangebots bislang nicht zu größeren Lohnsteigerungen geführt hat. Selbst für 2019 prognostiziert die EZB nur eine durchschnittliche Inflationsrate von 1,6 Prozent. Die dahinterliegende Botschaft lautet: Wir haben keine Eile, an der derzeitigen geldpolitischen Konstellation etwas zu verändern”, fasst Daalder zusammen. Doch dann habe Draghi in einer Rede am 28. Juni gesagt, dass „die deflationären Kräfte durch reflationäre Kräfte abgelöst worden sind” – und habe damit die Märkte schockiert. Die Folgen: Der Euro habe aufgewertet und die Renditen auf Staatsanleihen hätten angezogen.

Was bedeute das jetzt für Anleger? „Ungeachtet des verwirrenden Geschehens lautet die Botschaft: In Europa rückt das Ende von Quantitative Easing näher. Interessanterweise kommen die lautesten Äußerungen in Richtung Ende der lockeren Geldpolitik von der am wenigsten glaubwürdigen Notenbank, der BoE. Die EZB, die die Aussichten herunterspielt, dass es dazu kommen wird, hat dagegen viel bessere Argumente. Wir stehen nicht vor radikalen Veränderungen. Vielmehr wird es in den nächsten Monaten ein weiteres Stupsen geben”, prognostiziert der Robeco-Experte.

Daalder zufolge dürfte sich dies auf die Finanzmärkte unter dem Strich wie folgt auswirken: Die Renditen auf europäische Anleihen würden weiter anziehen und ihre Kurse weiter fallen. „Wir bleiben bei der Untergewichtung von Staatsanleihen und sind deshalb nicht allzu unglücklich über die jüngste Entwicklung”, betont Daalder. „Aktien profitieren von den niedrigen Anleiherenditen und Kreditrisikoaufschlägen, während die Aussicht auf eine QE-Reduzierung durch die Notenbanken die Stimmung trüben könnte. Da wir in der Geldpolitik nicht mit plötzlichen oder raschen Kursänderungen rechnen, bleiben wir gegenwärtig bei unserer neutralen Gewichtung von Aktien.“

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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