Das Konzept der Relativen Stärke - Stärke, nicht Schwäche kaufen!
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Oft ist beispielsweise in Internetboards zu lesen, dass Boardbenutzer relativ schwache Aktien kaufen. Diese relative Schwäche drückt sich in einer Underperformance gegenüber einem Index, dem zugrundeliegenden Sektor oder einer anderen Aktie aus. Der vermeintliche Grund für den Kauf liegt auf der Hand: Im Falle eines Reversals verspricht sich der Marktteilnehmer ein besonders hohes Kurspotential, denn die Aktie ist ja stark gefallen und sollte demzufolge auch wieder stark steigen. Doch diese Annahme ist im Allgemeinen grundverkehrt! Vielmehr sollten Marktteilnehmer versuchen, relativ starke Aktien zu kaufen und relativ schwache Aktien zu verkaufen beziehungsweise leer zu verkaufen. Insbesondere in Bärenmärkten, die durch eine besonders hohe Frequenz und Eigendynamik hinsichtlich der Sektorenrotation gekennzeichnet sind, stellt der Gebrauch der Relativen Stärke ein nützliches Tool dar, von dem permanent Gebrauch gemacht werden sollte, um starke von schwachen Sektoren zu unterscheiden und dementsprechend starke Aktien in starken Sektoren zu kaufen und/oder schwache Aktien in schwachen Sektoren zu verkaufen.
Was ist Relative Stärke?
Die Relative Stärke misst – wie oben angedeutet - die Performance eines Wertes in Relation zu einem anderen Titel. Sie ist ein sehr leichtes, aber effektives Hilfsmittel zur Chartanalyse. Die Relative Stärke darf nicht mit dem Relative-Stärke-Index (RSI) verwechselt werden, zumal sie ein quantitativer und kein technischer Indikator ist!
Die Formel für die Relative Stärke lautet:
((A2 / B2) - (A1 / B1)) / (A1/B1)
A1 = Erster Kurs der Aktie A
A2 = Letzter Kurs der Aktie A
B1 = Erster Kurs der Aktie B oder des Indexes B oder des Sektors B
B2 = Letzter Kurs der Aktie B oder des Indexes B oder des Sektors B
Wenn die Relative Stärke steigt, ist die Aktie ein Outperformer gegenüber einem Index oder einem Sektor oder einer Aktie. Sinkt hingegen die Relative Stärke, ist die Aktie ein Underperformer gegenüber einem Index oder einem Sektor oder einer Aktie.
Konzepte und charttechnische Darstellung der Relativen Stärke?
William O’Neil kalkuliert in seinem Buch „How to Make Money in Stocks“ die Relative Stärke so, dass die prozentuale Veränderung einer Aktie pro Quartal als Grundlage dient. Bei dieser Methode werden die letzten vier Quartale einbezogen, wobei das letzte Quartal doppelt gewichtet wird. Es geht also um folgendes Verhältnis: Relative Stärke (letzte 3 Monate) x 2 zu Relative Stärke (12 Monate). Neben dem Konzept O’Neil’s sieht die häufigste Anwendung zur Ermittlung der Relativen Stärke vor, dass ein Aktienkurs durch einen bekannten Marktdurchschnitt, in der Regel der S&P 500, geteilt wird. Letztlich wird also die prozentuale Veränderung einer Aktie mit der prozentualen Veränderung eines Marktdurchschnittes für einen bestimmten Zeitraum verglichen. Diese Kalkulation wird auch „normalisierte Division“ genannt und ist in vielen Charting Softwares enthalten. Auf diese Weise lassen sich Relative-Stärke-Charts grafisch darstellen und Relative-Stärke-Rankings ableiten. Verläuft zum Beispiel die aus dem Relative Stärke-Chart resultierende Linie nach oben, hat die Aktie eine höhere Performance als zum Beispiel ein Marktdurchschnitt. Wir sehen uns das einmal in der nachfolgenden Abbildung 1 an.
Abbildung 1: Relative Stärke von Cree (CREE) gegenüber dem S&P 500 Index (SPX). Die Relative-Stärke-Linie zeigt ab Oktober die Outperformance von CREE gegenüber dem SPX. Ein EMA(20) ist für das Tagesintervall eventuell hilfreich, stellt aber keine Bedingung dar.
Da es sich bei dem Unternehmen Cree um einen Wert aus dem High-Tech-Bereich handelt, ist es angebracht, dessen Relative Stärke auch gegen den Nasdaq Composite, in dem die Aktie ebenso enthalten ist, zu bemessen:
Abbildung 2: Relative Stärke von Cree (CREE) gegenüber dem Nasdaq Composite (COMP). Die Relative-Stärke-Linie zeigt ab Ende Oktober die Outperformance von CREE gegenüber dem COMP.
Auch hier lässt sich eine deutliche Relative Stärke gegenüber dem Nasdaq Composite ab Ende Oktober feststellen. Ab diesem Zeitpunkt bis weit in den Dezember hinein ist der Aufwärtstrend sowohl in der Relativen-Stärke-Linie als auch in der Aktie intakt. Da es sich bei Cree auch um einen Chip-Wert handelt, möchten wir nun wissen, wie hoch die Relative Stärke von CREE gegenüber dem Philadelphia Halbleiter Index (SOX) ist. Die Aktie von Cree ist zwar nicht in diesem Sektor enthalten, der SOX bietet sich dennoch als ein Benchmark an:
Abbildung 3: Relative Stärke von Cree (CREE) gegenüber dem Philadelphia Halbleiter Index (SOX). Die Relative-Stärke-Linie zeigt ab Ende November eine Outperformance von CREE gegenüber dem SOX.
Hier lässt sich ebenso feststellen, dass CREE eine hohe Relative Stärke gegenüber dem SOX besitzt. Der Uptrend der RS-Linie ist in allen drei Vergleichen steigend und der Trend der Relative-Stärke-Linie ist bis dato ungebrochen. Unter der Voraussetzung, dass der Nasdaq Composite gegenüber dem Gesamtmarkt im angegebenen Zeitraum outperformte und der SOX der Outperformer im COMP war (beides war im angegebenen Zeitraum der Fall), hatten wir es demzufolge bei CREE mit einer sehr starken Aktie zu tun. Die Relative Stärke sagt grundsätzlich jedoch noch nichts über die eigentliche Performance einer Aktie selbst aus, zum Beispiel ob diese Aktie steigt oder fällt. Normalerweise geht eine steigende Relative-Stärke-Linie auch mit steigenden Kursen einher, jedoch kann es auch sein, dass die Aktie weniger stark fällt als der Marktdurchschnitt. In solchen Fällen würde die Relative Stärke-Linie ebenso steigen. Zudem sollte immer der entsprechende Zeitraum der Untersuchung der Relativen Stärke bedacht werden. So kann es beispielsweise sein, dass die Aktie XYZ zwar in den letzten drei Monaten eine sehr hohe Relative Stärke gegenüber dem S&P 500 besitzt, aber auf Jahresbasis eine sehr geringe Stärke gegenüber dem S&P 500 aufweist. Je nach Trading-Stil und Risiko-Profil muss der Trader wissen, ob er nur Wert auf eine kürzlich bewiesene Relative Stärke legt oder eine zusätzlich länger bewiesene Relative Stärke als weiteren Entscheidungsfaktor hinzuziehen will. Grundsätzlich empfiehlt sich ein Betrachtungszeitraum von einem bis zu 4 Quartalen - demnach hätten wir es mit einer Relativen Stärke der letzten 3 bis 12 Monate zu tun. In Grenzfällen allerdings, in denen genauere Aussagen schwierig sind, empfiehlt sich auch die Betrachtung der kurzfristigen Relative Stärke-Linien. Hierbei sind 5-, 20-, 30-, 60- und 90-Tage Relative Stärke-Vergleichsintervalle sinnvoll, um kurzfristige Trading-Möglichkeiten noch besser isolieren zu können. Auf der Gegenseite würden es längerfristig orientierte Marktteilnehmer bevorzugen, mit geglätteten Versionen der RS-Linien zu arbeiten. Wichtig ist auch folgendes: Insbesondere dann, wenn ein Trader einen Markt positiv beurteilt, sollte er sich auf Aktien mit hoher Relativer Stärke in Sektoren mit hoher Relativer Stärke konzentrieren. Umgekehrt gilt: Bewertet ein Trader einen Markt negativ, also geht er von einem schwachen Markt aus, dann sollte er sich auf Aktien mit niedriger Relativer Stärke in relativ schwachen Sektoren konzentrieren und diese leer verkaufen. Als kurz- bis mittelfristig orientierter Trader kann man sich zu diesem Zweck eine Liste der Sektoren mit den höchsten und den niedrigsten Relative Stärke-Rankings anfertigen. Als nächstes werden die in den Sektoren enthaltenen Aktien dergleichen Prozedur unterzogen. Auf diese Weise betreiben wir eine erste wichtige Aktienselektion und erhalten einerseits die relativ stärksten Aktien in den stärksten Sektoren und andererseits die relativ schwächsten Aktien in den schwächsten Sektoren.
Relative Stärke-Linien und Charting
Da sich die Relative Stärke in Trends bewegt - genauso wie das Aktien tun - können auch die gleichen Techniken wie im normalen Charting verwendet werden. Daher benutzt die Analyse der Relativen Stärke zum Beispiel Trends, gleitende Durchschnitte, Formationen, Widerstands- und Unterstützungszonen. Besonders erfolgsversprechend ist es, Patterns zu identifizieren, die in beiden Charts auftauchen, sowohl im Chart der Aktie als auch im Relative Stärke-Chart. Dabei spielen auch Trendlinienbrüche der Relative Stärke-Linie eine Rolle und geben wichtige Hinweise bezüglich der Verfassung der Aktie gegenüber einem Index, einem Sektor oder einer anderen Aktie. Auch Formationen wie Flaggen, Dreiecke oder Keile in der Relative Stärke-Linie können wichtige und aufschlussreiche Signale geben, dabei ist jedoch immer der Trend der Relative-Stärke-Linie zu beachten. Weiterhin ist zu beachten, dass Relative-Stärke-Linien weit volatiler sind als der Aktienkurs. Aus diesem Grunde sollte man also mit Schlussfolgerungen vorsichtig sein, die ausschließlich auf Relative-Stärke-Linien beruhen. Auch Ausbrüche zu neuen Hochs oder Ausbrüche zu neuen Tiefs können mit Hilfe des Relative-Stärke-Konzeptes bestätigt werden. Dabei kann die Relative-Stärke-Linie zum Beispiel vor oder zeitgleich zum Preisausbruch im Chart der Aktie erfolgen. Natürlich muss die Relative-Stärke-Linie nicht vorzeitig ausbrechen, aber wenn sie es tut, ist dies in der Regel sein sehr zuverlässiges Signal für den Preis der Aktie. Befindet sich beispielsweise die Aktie in einer Trading Range und überschreitet die Relative-Stärke-Linie ein altes Hoch, so ist auch damit zu rechnen, dass die Aktie aus der Trading-Range ausbricht.
Divergenzen
Es ist von großem Nutzen, den aktuellen Wert der Relativen Stärke zusammen mit dem Preisindex zu benutzen. Die Abbildung 4 zeigt einen Kursverlauf, in dem der Preis in einer Folge von drei steigenden Hochpunkten steigt. Die ersten beiden Tops werden dabei durch neue Tops in der Relativen-Stärke-Linie bestätigt, das dritte jedoch nicht. Dies stellt eine negative Divergenz dar und ist ein starkes Signal dafür, dass der positive Trend im Preis auch vor einer Trendumkehr stehen könnte.
Die Abbildung 5 zeigt eine ähnliche Situation, dieses Mal alllerdings am Boden der Kursentwicklung, wo ein neues Tief im Preisindex nicht durch die Relative-Stärke-Linie bestätigt wird. Hier handelt es sich um eine positive Divergenz, die eine bullische Indikation darstellt.
Abbildung 4: Negative Divergenz. Die Relative Stärke-Linie indiziert vorzeitig eine Schwäche des Preises
Abbildung 5: Positive Divergenz. Die Relative Stärke-Linie indiziert vorzeitig eine Stärke des Preises
Grundsätzlich ist anzumerken, dass das Konzept der Relativen Stärke auf fast alle Marktsituationen angewendet werden kann. Soll etwa eine Entscheidung über den Tausch einer Aktie gegenüber einer anderen getroffen werden, so liefert eine schnelle Kalkulation der Relativen Stärke der einen gegenüber der anderen Aktie einen wichtigen Hinweis. Ebenso kann das Konzept der Relativen Stärke ein Hilfsmittel sein, um das ganze Jahr über an der Sektoren-Rotation zu partizipieren, bei der wir relativ starke Sektoren kaufen und/oder relativ schwache Sektoren verkaufen. Mit dieser Lesson erhalten Sie eine Microsoft Excel-Tabelle mittels derer Sie die Relative Stärke berechnen können, ohne ein Chart zu benutzen. Die Bedienung der Tabelle ist einfach: Im Beispiel wurde in der Spalte A der Schlusskurs von Aktie XYZ eingetragen und in Spalte B der Schlusskurs des S&P 500. Die Formel für die Relative Stärke ist der heutige Schlusskurs für Aktie XYZ (siehe A3) dividiert durch den Schlusskurs des S&P 500 (B3) minus den anfänglichen Schlusskurs von Aktie XYZ (A2) dividiert durch den anfänglichen Schlusskurs des S&P 500 (B2). Diese Differenz wird dividiert durch den anfänglichen Schlusskurs von Aktie XYZ (A2) dividiert durch den anfänglichen Schlusskurs des S&P 500 (B2). Das $-Zeichen vor einem Spaltenbuchstaben oder vor einer Reihenzahl indiziert, dass die Werte konstant sind.
Autor: Frank Thönnißen - Co-Investment Advisor bei STRADIVARI (Luxemburg)
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