Kommentar
13:12 Uhr, 10.09.2015

Chinas Wachstumslüge Teil II

Das von China veröffentliche Wachstum liegt doppelt so hoch wie das von einigen westlichen Analysten berechnete. Vermutet wird, dass China seine Wachstumszahlen einfach nur fabriziert. Auf den ersten Blick ist das nicht nur dreist, sondern fast schon lächerlich. Auf den zweiten Blick ist die Sache etwas komplizierter.

Hier geht es zu Teil I

Weltweit machen sich Anleger, Politiker und Institutionen große Sorgen um Chinas Wirtschaft. Grund ist die Intransparenz des Landes. Jeder weiß, dass die offiziellen Wachstumsdaten höchstwahrscheinlich nicht korrekt sind. Kurz nach Ende eines jeden Quartals werden die Wachstumszahlen veröffentlicht. Das geht sehr viel schneller als in allen anderen Ländern weltweit. Selbst die schnellsten und fleißigsten Statistikbehörden dieser Welt brauchen 4 Wochen, um eine erste Schätzung herauszugeben.

Die Erstschätzungen werden über mehrere Monate verfeinert und oftmals deutlich korrigiert. In den USA kommt es so häufiger vor, dass ein Quartal in der Erstschätzung vom endgültigen Wert einen ganzen Prozentpunkt abweicht. Teils ist lange Zeit nicht mit Sicherheit zu sagen, ob die Wirtschaft in einem Quartal gewachsen oder geschrumpft ist.

China ist ein riesiges Land. Hier überhaupt sinnvolle Daten über die ländlichen und abgelegenen Regionen zu erhalten erscheint fast unmöglich. Umso unseriöser wirkt es, wenn die Berechnung der Wirtschaftsleistung für jedes Quartal lediglich 2 Wochen in Anspruch nimmt. Deutlicher könnte es die Regierung eigentlich gar nicht sagen: Die Zahlen sind fabriziert.

Die Zahlen sind vielleicht der Fantasie der Partei entsprungen, doch das heißt nicht, dass sie keinen Wert haben. Sie zeigen eine klare Tendenz an und diese scheint auch mit den von außen berechneten Werten zusammenzupassen. Die Größenordnung der Wachstumszahlen passt jedoch oftmals nicht zusammen. Während China offiziell im zweiten Quartal 7% gewachsen ist, gehen Analysten von einem tatsächlichen Wachstum von 2 bis 4% aus. Wie man auf diese Werte kommt habe ich in Teil I des Artikels beschrieben. Kurz zusammengefasst wird das offizielle Wachstum mit dem Wachstum von Stromverbrauch, Industrieproduktion und Transportaufkommen verglichen und so das reale Wachstum berechnet.
Die Berechnungen aus dem Ausland sind nachvollziehbar. Es gibt dabei jedoch ein ganz großes Problem. Die Modelle, die aus dem Transportaufkommen und anderen Indikatoren das Wirtschaftswachstum berechnen, passen nicht mehr zur chinesischen Wirtschaft.

Grafik 1 zeigt den monetären Beitrag der drei Sektoren zur gesamten Wirtschaftsleistung. China ist nach wie vor eine Industrienation. Ein Großteil des Bruttoinlandsproduktes kommt aus der Industrie und dem Primärsektor (Grundstoffe), doch das wandelt sich. Vor 10 Jahren machten Dienstleistungen 40% des BIPs aus. Heute sind es 50%.

Faktoren wie die Menge des transportieren Warenvolumens sind aussagekräftig, allerdings vor allem für den Primär- und Sekundärsektor. Wächst der Dienstleistungssektor überproportional, dann spiegelt sich das in der Menge an transportierten Tonnen nicht wider. Die Modelle, die das chinesische Wachstum aufgrund von Stromverbrauch und Transportaufkommen berechnen, sind fehlerhaft, weil sie nur das Wachstum von 50% der Wirtschaft ordentlich beschreiben.
Inzwischen ist der Dienstleistungssektor nicht nur genauso wichtig wie die beiden anderen Sektoren, sondern trägt auch überproportional zum Wachstum bei. Bis 2011 lag das Wachstum der Industrie und des Dienstleistungssektors nah beieinander (Grafik 2). Seit 2011 geht das Wachstum der Industrie stark zurück. Zuletzt wuchs die Industrie nach offiziellen Zahlen noch um 1,8%. Das passt relativ gut zu den Zahlen, die sich aufgrund von Stromverbrauch und Transport berechnen lassen.

Man kann durchaus sagen, dass die offiziellen Zahlen zur Industrieproduktion konsistent zu den berechneten Zahlen sind. Viele Analysten unterstellen jedoch, dass die Berechnung aufgrund einiger weniger Indikatoren für die gesamte Wirtschaft Gültigkeit haben. Das muss man in Frage Stellen. Je größer der Dienstleistungssektor wird, desto weniger wird die transportierte Warenmenge wachsen.
Ähnliches gilt auch für den Stromverbrauch. Grafik 3 zeigt einen Vergleich von Brasilien und China. Der Servicesektor trägt in Brasilien 70% zur Wirtschaftsleistung bei. Als der Anteil noch deutlich geringer war, wuchs der Stromverbrauch deutlich schneller als heute. Eine ähnliche Tendenz ist auch für China zu erwarten.

Der Vergleich von Brasilien und China ist alles andere als ein Beweis dafür, dass sich das Wachstum des Stromverbrauchs abschwächen sollte. Die Annahme macht allerdings Sinn. Vereinfacht und pauschalisiert kann man sagen: ein Aluminiumschmelzer braucht mehr Strom als ein Call Center. Man darf sich also nicht wundern, wenn der Stromverbrauch langsamer wächst, wenn Dienstleistungen einen größeren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt leisten.

Keiner weiß wie schnell oder langsam China wirklich wächst. Persönlich glaube ich nicht an die offiziellen Zahlen. Ich halte jedoch die von einigen Analysten berechneten Zahlen auch nicht für stichhaltiger, weil sie sich fast ausschließlich auf die Betrachtung der Industrie fokussieren und 50% der Wirtschaft ignorieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass die globale Panik und Angst übertrieben ist. Keine weiß das so genau. Vielleicht schrumpft die chinesische Wirtschaft auch schon. Nachvollziehen kann man das nicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die Lage jedoch weniger dramatisch als befürchtet.

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  • student
    student

    In dem Tempo, wie China beim letzten Putin-Besuch in China fast 40 Vertrâge mit Russland zur Entwicklung Ostsibiriens abgeschlossen hat, ist der Weg für weiteres Wachstum fûr beide BREIT geebnet. Wie die Börsenkurse tanzen, interessiert dabei die Realwirtschaft nur am Rande, wenn überhaupt.

    Daran sollte sich Deutschland ein Beispiel nehmen und endlich mit Rückgrat wieder neueste Technik zusammen mit dem schnellsten und leistungsfähigsten Zug der Erde - dem TRANSRAPID - liefern.

    Die Aufgabe Deutschlands heute liegt darin, sich mit Russland und China zu verbünden, um endlich ganz Eurasien zu entwickeln. Darin liegt der Schlüssel zu Frieden und Wohlstand.

    22:47 Uhr, 10.09.2015
  • 1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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