Kommentar
13:03 Uhr, 10.09.2015

Chinas Wachstumslüge Teil I

Exakt 7% ist Chinas Wirtschaft im zweiten Quartal gewachsen. Das entspricht genau der Wachstumsrate, die von der Regierung für dieses Jahr angestrebt wird. Zufall? – Wohl kaum.

China hat sich selbst äußerst ungeschickt in eine Ecke manövriert, aus der es nicht mehr so einfach herauskommt. Bis vor kurzem hat niemanden interessiert, ob die offiziellen Wachstumszahlen der Realität entsprechen. Jeder wusste zwar, dass die Zahlen die Realität nur annäherungsweise widerspiegeln, doch interessiert hat das niemanden. Das Wachstum war hoch. Daran gab es keinen Zweifel. Jetzt gibt es allerdings große Zweifel und Analysten weltweit stürzen sich darauf die „wahren“ Zahlen zu berechnen.

China hat die weltweiten Zweifel selbst zu verantworten, da sie mit ihrer willkürlichen Wirtschaftspolitik alle Augen auf sich gerichtet haben. Erst kamen die täglich absurder werdenden Eingriffe auf dem Aktienmarkt, dann zeigten die offiziellen Zahlen eine Schwäche in der Industrieproduktion. Die Wachstumszahlen, die kurz darauf veröffentlicht wurden, zeigten dennoch ein Wachstum von 7%. Das passte nicht zusammen.

Endgültig überzeugte China die Welt von der Realitätsferne seiner offiziellen Zahlen als der Yuan abgewertet wurde. Das war ein klares Zeichen für Panik und als Versuch interpretiert die Wirtschaft zu stützen. Jetzt schaut jeder ganz genau hin und das Rätselraten beginnt.

Von der Faktenlage her hat sich nichts geändert. Die offiziellen Zahlen aus China sind genauso zuverlässig oder willkürlich wie vor einem Jahr oder vor 10 Jahren. Jahrelang hat das niemanden gestört, doch jetzt auf einmal interessiert es alle.
Die offiziellen Wachstumszahlen sind fabriziert. Soweit sind sich alle einig. Wenn es jedoch darum geht zu eruieren, wie hoch das Wachstum wirklich ist, gehen die Meinungen stark auseinander. Nach der medialen Aufregung nach zu urteilen muss man den Eindruck haben, dass sich die chinesische Wirtschaft in einem monumentalen Zusammenbruch befindet. Wenn sie noch nicht komplett zusammengebrochen ist, dann steuert sie zumindest ungebremst auf einen tiefen Abgrund zu.

In einer solchen Situation hilft es nicht, wenn Analysten auf Basis einzelner Daten Wachstumsschätzungen veröffentlichen, die vermutlich noch weiter von der Wahrheit entfernt sind als die offiziellen Zahlen. Die von Analysten berechneten Zahlen stützen sich vor allem auf einzelne Datensätze, die als einigermaßen zuverlässig gelten. Dazu gehört unter anderem das Transportaufkommen.

Grafik 1 zeigt zwei Datenreihen. Die eine zeigt die an den größten Häfen verschiffte Menge an Waren, die andere das Gesamttransportaufkommen Chinas. Beide Datensätze laufen größtenteils parallel und zeigen eine deutliche Verlangsamung.


Von Januar bis Juli wurden über die Häfen 2,5% mehr Waren verschifft als im Vorjahr. Das gesamte Transportvolumen liegt 4,3% höher als vor einem Jahr. Beide Werte sind weit von den 7% entfernt, die die Regierung für das Wirtschaftswachstum nannte. Hier stellt sich die Frage, ob man die beiden Werte (Wachstum und Transportvolumen) überhaupt vergleichen kann.
China ist eine Industrienation und gilt als Werkbank der Welt. Wer produziert, muss auch transportieren. Das leuchtet ein und ist unbestritten. Wenn nun das Transportaufkommen deutlich langsamer wächst, zeigt das auch eine Verlangsamung der gesamten Wirtschaft. Nachdem dieser einen Großteil der Wirtschaftsleistung ausmacht kann die Rechnung insgesamt nicht mehr aufgehen, wenn das Land um 7% gewachsen sein soll.

Unterstützt wird diese Vermutung durch den Stromverbrauch. Grafik 2 zeigt den Stromverbrauch Chinas auf Jahressicht seit 1971 und die dazugehörigen Wachstumszahlen. Der Stromverbrauch liegt in diesem Jahr 1,3% über dem Vorjahreswert. Bestätigt sich dies für das Gesamtjahr, dann ist dies das niedrigste Wachstum seit 1974.

Im langjährigen Durchschnitt lag das Wachstum des Stromverbrauchs bei etwa 60% des Wirtschaftswachstums. Für jedes Prozent Wirtschaftswachstum ist der Stromverbrauch um 0,6% gestiegen. Nach einer Milchmädchenrechnung beträgt das Wirtschaftswachstum demnach 2,16% in diesem Jahr. Dieser Wert wird errechnet, indem man das Wachstum des Stromverbrauchs (1,3%) durch den Stromanteil am Wachstum dividiert (60%).

Die so errechnete Wachstumszahl passt größenordnungsmäßig auch zum Transportaufkommen. Dieses zeigt ein Wachstum von 4,3% an. Inkludiert man noch das Personenaufkommen, dann sinkt der Wert unter 4%. Es scheint also relativ realistisch anzunehmen, dass Chinas Wirtschaft nicht 7%, sondern vielmehr zwischen 2 und 4% gewachsen ist. Die konsensfähige Bandbreite unter Analysten liegt genau in dieser Range.

Die Gedankengänge, die zu einem „tatsächlichen“ Wachstum von 2 bis 4% führen sind nachvollziehbar und logisch. Es ist auch nicht wesentlich, ob man neben Stromverbrauch und Transportaufkommen noch andere Datensätze miteinbezieht. Fast alle Statistiken weisen in die gleiche Richtung. Es sieht so aus als wäre Chinas Wachstumslüge ziemlich groß. Die offiziellen Zahlen zeigen ungefähr den doppelten Wert dessen, was realistisch erscheint. Es gibt dabei nur ein Problem, welches die ganzen Überlegungen wieder über den Haufen wirft. Mehr dazu in Teil II des Artikels.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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