Kommentar
06:11 Uhr, 20.12.2008

Bulgarische Aktien nehmen bereits viel Negatives vorweg

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Schon die fallenden Kurse an der Schweizer Börse bereiten vielen Aktionären erhebliches Kopfweh. Verglichen mit den Anlegern an der bulgarischen Börse sind die in der Schweiz investierten Investoren aber noch gut bedient. Denn was dort passiert, kann getrost als Mega-Baisse bezeichnet werden. Derzeit beläuft sich das Minus für den Sofix-Index in diesem Jahr auf knapp 80 Prozent und in der Spitze sogar auf 82 Prozent.

Beim Blick auf den Haushaltsüberschuss und das Wirtschaftswachstum erschließt sich nicht sofort, warum die Kurse so stark eingebrochen sind. Ist das Bruttoinlandsprodukt in den ersten neun Monaten diesen Jahres doch um sieben Prozent gewachsen und im ersten Halbjahr betrug der Anstieg sieben Prozent. Aber die Börse nimmt bekanntlich die Zukunft vorweg und offenbar rechnen viele Marktteilnehmer mit einem signifikanten Abschwung. Die Realwirtschaft erwies sich zwar lange als immun gegen die Kreditkrise, aber inzwischen sind Bremsspuren unübersehbar. Und da fast zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts vom Export abhängen, erscheint es laut Krassimir Tahchiev, Analyst bei First Financial Brokerage House unwahrscheinlich, dass die bulgarische Wirtschaft ungeschoren bleibt. Dazu passt auch die Klage eines Vertriebsmitarbeiters bei einem deutschen Maschinenbauer: „Seit zwei Monaten stehen die Telefone bei uns plötzlich still.“ Schon länger schwerer mit dem Vertrieb tun sich auch die Immobilienmakler an der Schwarzmeerküste und in den Skigebieten.
Wachsende volkswirtschaftliche Probleme

Vor diesem offensichtlich eingetrübten Hintergrund hat die Regierung inzwischen ihre Prognosen gesenkt. Während im Haushaltsentwurf für 2009 noch ein Wachstum von 4,7 Prozent vorhergesagt wurde, hieß es zuletzt, im optimistischen Szenario könne mit einem Plus von 2,7 Prozent gerechnet werden und im negativen Fall mit plus 1,5 Prozent. Allerdings ist auch das noch ein erheblicher Kontrast zu der Kontraktion von vier Prozent, die der Wirtschaftsprofessor Dimitar Ivanov für denkbar hält.

Eine schwere Bürde stellt auch das extrem hohe Leistungsbilanzdefizit dar. Für 2008 ist wohl ein Defizit von mehr als 20 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt nicht zu vermeiden. Und für 2009 befürchtet die Bulgarische Industrievereinigung sogar ein Defizit von 24 bis 28 Prozent. Langfristig sind das unhaltbare Relationen. Angesichts der sinkenden ausländischen Direktinvestitionen und kurzfristigen Auslandschulden, die sich der Marke von 100 Prozent gemessen an den ausländischen Devisenreserven annähern, provoziert das die Frage nach dem Fortbestand des Currency Pegs. „Ich würde die Chance auf eine erfolgreiche Verteidigung der Bindung des Lev an den Euro in 2009 und 2010 auf 50:50 beziffern“, sagt dazu Vladislav Panev, Vorstand von Status Capital.

Um zu bestehen braucht das Land aus seiner Sicht EU-Gelder, um wichtige Infrastrukturprojekte voranzutreiben. Deshalb ist es ein schwerer Rückschlag, dass die EU-Kommission wegen der grassierenden Korruption Hilfsgelder in mittlerer dreistelliger Millionenhöhe gestrichen hat. Panev hofft nun, dass diese Strafe sowie die zugespitzte wirtschaftliche Lage helfen, den Säuberungsprozess voranzutreiben. Hilfe von außen ist in dieser Hinsicht jedenfalls sehr wichtig. Denn die Durchschnittsbürger, die tendenziell ohnehin zum Pessimismus neigen, sehnen ein Ende des Problems herbei, haben aber oft die Hoffnung aufgegeben. Auch Tahchiev äußert sich skeptisch: „Anstatt effektive Maßnahmen gegen Korruption zu unternehmen, schiebt die Regierung bisher die Schuld eher auf die EU. Deshalb droht Bulgarien weiter EU-Gelder zu verlieren.“

Immerhin hat sich bisher das von ausländischen Instituten dominierte Bankensystem als relativ stabil erwiesen. Doch auch die Bulgaren machen sich Gedanken um die Stabilität des Sektors. Und manche Gesprächspartner gestehen auch ein, ihr Erspartes aus Vorsichtsgründen bereits abgehoben zu haben. Doch nicht nur die Sparer machen sich Sorgen, sondern auch die Schuldner. Das hat mit den zuletzt deutlich gestiegenen Kreditzinsen zu tun und damit, dass die Zinsen nicht fixiert sind. „Bei Abschluss meines Kreditvertrags für ein Apartment musste ich 33.000 Euro zurückzahlen, doch jetzt sind es schon 36.000 Euro“, beschwert sich Grafikerin Cristina Toneva.

Illiquide Börse

Gründe gibt es somit genug, warum sich die Anleger von der bulgarischen Börse zurückgezogen haben. Ablesen lässt sich das Desinteresse auch an den Umsätzen. Im Schnitt sind diese in diesem Jahr auf 5,5 Mio. Euro am Tag gefallen. Zuletzt lagen die Tagesumsätze teilweise sogar bei unter 500 Mio. Euro. Zusammen mit der niedrigen Marktkapitalisierung von rund 6,4 Mrd. Euro ist das kein Umfeld, in dem sich institutionelle Anleger wohlfühlen.

Durch den Ausverkauf werden inzwischen aber immerhin Stockpicker wieder fündig. Von der Börse wird das Markt-KGV auf unter fünf beziffert und das Kurs-Buchwert-Verhältnis auf unter eins. Viel Negatives scheint somit schon in den Kursen eskomptiert. Dass deswegen die Anleger bald an den bulgarischen Aktienmarkt strömen, daran glauben aber die wenigsten Experten vor Ort. „Wegen der konjunkturellen Aussichten bin ich nicht sehr optimistisch. Eine Rally ist zwar nicht ausgeschlossen, aber die geringe Liquidität macht starke Kapitalzuflüsse unwahrscheinlich“, glaubt Nadia Nedelcheva, Fondsmanagerin bei Karoll Capital Management.

Quelle: Ostbörsen-Report

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