Kommentar
08:51 Uhr, 11.11.2015

Abgeltungsteuer vor der Abschaffung?

Finanzminister Schäuble lässt kaum noch Hoffnung zu: 2017 geht es der anonymen, pauschalen Versteuerung von Kapitaleinkünften direkt an der Quelle an den Kragen.

Die Grundlage dieser Art der Besteuerung ist offenbar entfallen, nachdem ein Land nach dem anderen seine Bereitschaft erklärt, im Rahmen eines automatischen Informationsaustausches den deutschen Behörden die Kapitalerträge deutscher Bürger zu melden. Denn aus keinem anderen Grund wurde die Abgeltungsteuer überhaupt eingeführt - es gab davor schlicht keinen effektiven Zugriff. “25 Prozent von X ist besser als 45 Prozent von nix” lautete das Motto von Schäubles Amtsvorgänger Peer Steinbrück.

Seit 2009 werden Kapitaleinkünfte pauschal mit 25% plus Solidaritätszuschlag direkt an der Quelle besteuert. Der Steuerpflichtige muss in in der Regel selber gar nicht tätig werden, sofern er nicht über Auslandskonten verfügt (dort wird keine Abgeltungsteuer abgeführt) oder Verlustverrechnungen über mehrere Depots vornehmen will.

Wie war es vor der Abgeltungsteuer?

Vor dem Abgeltungsteuerregime wurden Kapitaleinkünfte unterschiedlich besteuert. Bei Aktien und Dividenden galt das Halbeinkünfteverfahren, Zinsen und Gewinne aus anderen Wertpapieren mussten voll versteuert werden. Alle Angaben waren vom Steuerpflichtigen selbst im Rahmen der Einkommensteuererklärung zu machen. Insofern war die Abgeltungsteuer für den (steuerehrlichen) Bürger eine massive Erleichterung, während die Banken die Bürde der Gewinnermittlung tragen mussten.In diesem Punkt kann man sich sicher sein: Das wird auch so bleiben! Nachdem über zwei Jahre lang die IT-Systeme unter hohen Kosten angepasst wurden, werden die Finanzinstitue natürlich auch in Zukunft die Gewinne des Kunden ermitteln.

Ist die Abgeltungsteuer wirklich ungerecht?

Gespannt darf man nun abwarten, welche Vorschläge genau auf den Tisch kommen. Die Argumente, die vorgelegt werden, sind nämlich kaum durchdacht. Es ist die alte Gerechtigkeitskeule. Der Arbeitnehmer muss seine Einkünfte voll versteuern und der Bezieher von “leistunglosem Einkommen” zahlt nur 25% - so klingt das übliche antikapitalistische Geschrei. Dabei werden ganz wesentliche Faktoren nicht berücksichtigt:

- Dividenden

Dabei handelt es sich um Gewinnausschüttungen von Unternehmen. Im Durchschnitt haben Kapitalgesellschaften in Deutschland eine Steuerlast von 30% zu tragen (Körperschaftsteuer plus Gewerbesteuer). In dieser Höhe ist der ausgeschüttete Gewinn also bereits belastet. Im Rahmen des Abgeltungsteuer-Regimes kommt es zu einer Besteuerung der Dividende von 26,375% (25% plus Solidaritätszuschlag). Die Abgeltungsteuer auf Dividenden ist eine Doppelbesteuerung, die effektive Gewinnbelastung beträgt somit 30% plus 26,375%*0,7=48,46%.

Der Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer liegt dagegen bei 42% plus Solidaritätszuschlag bzw. bei 45% plus Soli ab einem zu versteuernden Einkommen von 250.731 EUR (“Reichensteuer”) .

Fazit: Es kann daher keine Rede davon sein, dass Dividenden steuerlich bevorzugt werden. Eher ist das Gegenteil der Fall.

- Spekulationsgewinne aus Aktien

Theoretisch lässt sich herleiten, dass Aktienkurse abdiskontierte Dividendenzahlungen darstellen. Zu Recht wurde bereits im Halbeinkünfte-Regime argumentiert, dass Gewinne aus Aktienveräußerungen daher wie Dividenden zu behandeln sind.

Fazit: Auch hier liegt also keine “Gerechtigkeitslücke” vor.

- Zinserträge

Dass Zinserträge steuerlich besser gestellt werden als Arbeitseinkünfte, könnte man tatsächlich zunächst als ungerecht ansehen. Dabei ist aber zu bedenken, dass in Höhe der Inflationsrate nur Scheinerträge vorliegen. Dies ist derzeit besonders augenscheinlich bei deutschen Anleihen der Fall. So rentiert eine 10jährige Bundesanleihe aktuell etwa mit 0,63%. Die Inflationsrate, gemessen am statistischen Warenkorb, dürfte dieses Jahr bei etwa 0,3% liegen, nächstes Jahr dank Euroverfall aber schon deutlich höher. . Real bleibt also praktisch kein Ertrag übrig. Da aber der nominale Ertrag der Besteuerung unterworfen wird, führt schon der Abgeltungsteuerabzug zu einem realen Kaufkraftverlust des der Zinszahlung zugrundeliegenden Vermögens. (Bei anderen Konstellation des Zinses und der Inflationsrate ist dies aber anders).

Lösungsmöglichkeiten: Die Notenbanken streben eine 0%-Inflation statt 2% an (das wird wohl nie passieren) oder es wird nur der Zinsertrag der Steuer unterworfen, der die Inflation übersteigt. Der Gesetzgeber wird dies vermutlich nie regeln, man könnte sich höchstens selber mit inflationsindexierten Anleihen behelfen.

Fazit: Tatsächlich sind Zinserträge je nach Höhe der Inflationsrate und des Zinssatzes steuerlich mal bevorzugt, mal benachteiligt gegenüber Arbeitseinkünften.

- Verrechnungsmöglichkeiten

Schon innerhalb der Abgeltungsteuer sind die Verrechnungsmöglichkeiten limitiert. Es gibt zwei getrennte “Verlustverrechnungstöpfe”. Einen für Aktien, einen für alle anderen Kapitaleinkünfte (Zinsen , Dividenden, Gewinne aus Derivaten etc.).

Außerhalb der Kapitaleinkünfte ist derzeit gar keine Verrechnung möglich.

Das ist z.B. bei Immobilien bzw. Mieterträgen anders, die man durchaus auch als Kapitaleinkünfte ansehen könnte, wenn man wollte. Verluste aus Vermietung und Verpachtung können mit anderen Einkünften verrechnet werden.

Machen Sie an der Börse dagegen Verluste, interessiert das steuerlich niemanden! Es gibt einen Verlustvortrag, den Sie aber logischerweise nur nutzen können, wenn Sie auch wieder Gewinne machen.

Wird der Gesetzgeber wirklich die Abgeltungsteuer kippen?

Es sind mehrere Varianten denkbar.

- Die Abgeltungsteuer wird erhöht. Dazu gab es bereits Vorschläge. Sätze von 32 bis 35% wären vermutlich realistisch. Das hätte den Vorteil, dass die etablierte Methode der Abführung der Steuern beibehalten werden könnte und einfach nur die Einnahmen steigen. Nach derzeitigem Stand der Dinge ist das unwahrscheinlich geworden

- Die Abgeltungsteuer wird abgeschafft. Die Banken ermitteln weiter die Erträge, schicken diese dem Kunden für seine Steuererklärung und außerdem Kontrollmitteilungen an die Finanzämter.Es erfolgt eine Besteuerung nach dem persönlichen Einkommensteuertarif.

Mehr Aufwand für Bürger und Steuerbehörden wäre die eine Folge. Die andere wäre aber gravierender.

Denn was die Politiker, die ein “Zurück” fordern, wohl nicht bedenken: Vor der Abgeltungsteuer galt ja das Halbeinkünfteverfahren. Das war für Aktionäre steuerlich noch attraktiver als die Abgeltungsteuer. Und vor dem Halbeinkünfteverfahren galt das Körperschaftsteuer-Anrechungsverfahren bei Dividenden, das verhasst war, da kompliziert. Außerdem gab es die steuerliche Haltefrist für Aktien (erst 6 Monate, zuletzt 12 Monate).

Wohin genau will die Politik denn nun zurück?

Das müssen wir einfach abwarten.

Aber eines sollte man unbedingt beachten: Die Aktienkultur in Deutschland ist ohnehin völlig unterentwickelt. Jede Maßnahme, die dies noch untermauert, ist zu vermeiden. Und es droht ja auch noch die Rückkehr der Börsenumsatzsteuer aka Finanztransaktionssteuer.

Sollten wir eine Rückkehr zum Halbeinkünfte-Verfahren erleben, können Sie sich als Aktionär entspannt zurücklehnen. Dann stehen Sie sogar besser da als jetzt. Nur Derivate-Trader würden sich verschlechtern. Und Zinsbezieher - aber gibt es die überhaupt noch?

Ihr
Daniel Kühn

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23 Kommentare

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  • Unbedingt
    Unbedingt

    Es wurde hierbei vergessen, dass die Aktonäre auch für Schieflagen in Unternehmen gerade stehen müssen, Kapitalerhöhungen, Fehlinvestitionen, Aktivitäten von Heuschrecken oder sogar für überzogene Gewerkschaftsforderungen. Wozu Aktienkultur? Theoretisch könnte doch in der Zukunft das ganze benötigte Kapital von der EZB kommen? Treuhänderisch verwaltet vom deutschen Aktionärsvolk. Das ist immer noch nicht dasselbe wie volkseigen.

    11:05 Uhr, 12.11. 2015
  • student
    student

    Schöner Artikel.

    Hier wird die Gesellschaft einfach mit den Aktionären gleichgesetzt.

    Und dann werden noch Dividenden mit Schwankungen in den Aktienkursen in Beziehung gesetzt. Obwohl das eine aus Gewinnen des letzten Jahres bezahlt wird und letzteres eine bloße Finanzwette in die Zukunft ist.

    Es wäre schön, aber dem Sozialsystem schädlich, wenn die steuerzahlenden Arbeitnehmer ihre Steuern mit den Steuern des Arbeitgebers verrechnen könnten. Und die Unternehmen der Wertschöpfungskette nicht nur ihre Mehrwertsteuern, sondern auch noch ihre Gewinne untereinander gegenrechnen.

    Es ist aber so, dass hier eine juristische Person als Rechtsform eigenständig besteuert wird.

    Ein Aktionär bezieht aber in erster Linie nur ein leistungsloses Einkommen aus Dividenden und sollte daher wenigstens einen Obulus für die ihn umsorgende Gesellschaft leisten.

    20:35 Uhr, 11.11. 2015
    3 Antworten anzeigen
  • fiff
    fiff

    petition starten? abschaffung der abgeltungssteuer abschaffen!

    14:28 Uhr, 11.11. 2015
  • 1 Antwort anzeigen
  • Chamäleon
    Chamäleon

    Wieso verschlechtern sich Derivatetrader?

    10:42 Uhr, 11.11. 2015
    2 Antworten anzeigen

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der vielseitig interessierte Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3. Besondere Interessenschwerpunkte des überzeugten Liberalen sind politische und ökonomische Fragen und Zusammenhänge, Geldpolitik, Aktien, Hebelprodukte, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie generell neuere technologische Entwicklungen.

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