Wann ist eine Analyse richtig?
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An der Börse stellte ich schnell fest, dass andere Trader zu anderen Einschätzungen kamen, z.B. über den weiteren Kursverlauf einer Aktie, obwohl alle über die gleichen Informationen verfügten.
Von Warren Buffett und seinem Geschäftspartner Charlie Munger habe ich viel über den „Circle of Competence“ (Kreis der Kompetenz) gelernt.
Munger und Buffett hatten im Laufe ihrer Karriere herausgefunden, dass sie wesentlich besser darin waren zu bestimmen, worin sie keine Kompetenz besaßen. Indem sie ihre Grenzen der Entscheidung bestimmten, konnten sie viele "falsche" oder törichte Entscheidungen ausschließen.
Charlie Manger sagte: „I think part of the popularity of Berkshire Hathaway is that we look like people who have found a trick. It's not brilliance. It's just avoiding stupidity.“
(Freie Übersetzung: „Ich denke Berkshire Hathaway ist so populär, weil wir so aussehen, als hätten wir einen Trick gefunden (um viel Geld zu verdienen). Tatsache ist jedoch, dass es kein Geniestreich ist. Wir vermeiden es einfach dumme Sachen zu tun.“)
Ich hatte in einem letzten Artikel über das Trading schon über Mungers Prinzip der Inversion geschrieben. Er sagt, dass Umkehrung ein Instrument ist, um Probleme zu lösen.
Buffett und Munger erarbeiteten sich über die Zeit einen gigantischen Vorteil, indem sie kontinuierlich versuchten falsche Entscheidungen zu vermeiden, statt richtige zu treffen.
Charlie Munger erzählt häufig den Witz, dass er gerne wissen würde, wo er sterben wird. Er bräuchte dann einfach niemals an diesen Ort zu gehen.
Für die Analyse von Märkten oder Unternehmen kann dieses Prinzip ebenfalls angewendet werden.
Ich könnte mich mit Blick auf den Chart oder in die fundamentalen Kennzahlen eines Unternehmens fragen, welche Aussagen meiner Analysen wahr sind und welche ich hineininterpretiere.
Unterschiedliche Aussagen über die Börse entstehen einzig und allein durch unterschiedliche Wahrnehmungen des Marktes.
Für den einen Analysten sind die aktuellen Quartalszahlen eine Bestätigung seiner Erwartung, für einen anderen Analysten vielleicht eine Enttäuschung.
Aber das Quartalsergebnis, die nackte Zahl, ist für beide dieselbe.
Schon 1641 zweifelte der französische Philosoph René Descartes in seinen „Meditationes de prima philosopha“ an unserer objektiven Wahrnehmung.
Mit Hilfe des von ihm entwickelten „Methodischen Zweifels“ entwickelte Descartes einen Entscheidungsprozess, um auf den wahren Kern einer Frage vorzudringen. (Ich kann jedem fortgeschrittenen Anleger empfehlen diesen Prozess einmal gelesen zu haben).
Descartes erkannte, dass uns unsere Sinne häufig in die Irre führen und dass unser Denken nicht auf einer ungefilterten Beobachtung der Wirklichkeit basiert, sondern von früheren Erfahrungen geprägt ist.
Man könnte auch sagen unser Verständnis der Welt ist ein persönlicher Kinofilm über die Realität. Die Welt, wie wir sie wahrnehmen, ist nur eine Projektion unserer Gefühle und Erinnerungen.
Mit Hilfe des Methodischen Zweifels versuchte Descartes unwiderlegbare - wahre - Sätze zu finden.
Für den Philosophen spielte dabei die Intuition eine wichtige Rolle.
Die Intuition beschreibt die Wirklichkeit mit einfachen Aussagen aufgrund unserer Erfahrungen, z.B. „Das Fahrrad ist rot“ oder „Der DAX fällt“ und macht unser Leben in einer komplexen Welt überhaupt erst möglich.
Stellen Sie sich vor, Sie müssten beim Autofahren über jede Entscheidung erstmal gründlich nachdenken.
Komplizierte Sachverhalte hingegen müssten laut Descartes derart in ihre Einzelprobleme zerlegt werden, dass ihre jeweiligen Elemente als wahr bzw. richtig erkannt werden können.
Letztlich basiert jede gute Analyse auf dem Zerlegen von Problemen. Schon das Wort Analyse selbst kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Auflösung“.
Schon der römische Kaiser und Philosoph Marc Aurel fragte sich 1.500 Jahre vor Descartes in seinen „Selbstbetrachtungen“:
„Was ist es in sich selbst?“
Könnte also eine gute Analyse eine Argumentation sein, die einzig und allein auf wahren Fakten beruht?
Schauen wir uns doch aber die meisten Analysen an.
Beruhen die auf sicheren Fakten oder häufig auf „glauben“ und „denken“?
Eine Weiterentwicklung des rationalen aber auch empirischen Denkens verfasste der deutsche Philosoph Immanuel Kant mit seiner "Kritik an der reinen Vernunft" (1781). Seine These war, dass eine Erkenntnis ohne subjektive Wahrnehmung nicht möglich sei und daher immer ein Urteil bleibe.
Hier kommen wir dem Wesen der Börse schon näher, denn nichts an den Finanzmärkten ist wirklich sicher.
Heute ist eine gute Tradingidee für mich eine Kette mit möglichst vielen „wahren“ Aussagen bzw. begründeten Urteilen.
Denn was machte ich in den ersten Jahren meiner Tradingkarriere immer wieder falsch?
Ich setzte entweder auf Vermutungen, die ich nur oberflächlich geprüft hatte („Ich glaube, dass der Markt fallen wird.“) oder ich gründete meine Trades auf zu wenigen Argumenten („Der Markt ist laut Indikator XYZ überverkauft.“).
Mit dieser Erkenntnis blickte ich auf viele meiner Trades zurück und stellte fest, dass ich so einige aus ziemlich zweifelhaften Überzeugungen eingegangen war.
Wie würde sich nur mein Trading verbessern, wenn ich mich erstmal darauf konzentrierte, nur auf Basis „richtiger“ Aussagen zu handeln?
Ich prüfe heute vor jeder Anlageentscheidung so viele Fakten wie möglich und versuche nur Argumente in mein Urteil einfließen zu lassen, die ich letztlich mit "ja" oder "nein", bzw. "richtig" oder "falsch" beantworten kann.
Viele Grüße
Jakob Penndorf
Out 12'140 manuell
Short 12'140, Stopp 12'170, Trailing Stopp 25 P.
Meine persönliche Erfahrung und Meinung ist, dass jede Analyse zwar eine Meinung enthalten darf, aber niemals eine Prognose, nach der ich dann meinen Trade ausrichte. Zu jedem Zeitpunkt versuche ich unvoreingenommen zu sein und den Markt in seiner aktuellen Richtung zu lesen. Sobald ich aber das Gefühl habe, den Markt zu kennen oder ihn vorhersagen zu können, unterliege ich bereits wieder einem Bestätigungsvorurteil und laufe Gefahr zu hoffen, dass der Markt nun das macht, was ich von ihm erwarte.
Beispiel: Der gestrige schöne Strich nach unten war von mir erst "lesbar", als der DAX < 12'150 fiel, Trailing Stopp 25 P. und dann weg. Zuvor und danach konnte ich nicht wissen, was passiert. Aber da Kurse ja Erwartungen spiegeln und Menschen (Psychologie) dahinter stehen, kann man zweitweise am Handeln der Masse = am Tendieren der Kurse eine kurze Zeit lang partizipieren.
Um zu dieser Einsicht zu gelangen brauchte ich rund 16 Jahre. Heute spare ich mir Wirtschaftsnachrichten und Analysen. Heute sitze ich an den Rechner wenn ich Zeit und Lust zum Traden habe, beobachte NUR die Kurse und warte dann einfach, bis der Markt mir sagt, wo er hin möchte.
Meine Meinung (keine Prognose) für die nächsten Tage: gestern sahen wir den Abschluss der kurzfristigen Korrektur im Aufwärtstrend. Aber bevor ich long gehe, muss dies der Markt mir zuerst beweisen.