Wissensartikel
13:32 Uhr, 27.02.2017

Traden mit robusten Strategien: Über Zusammenhänge, die es nicht gibt

Ich hab schon so manche Zeile darüber geschrieben, warum Prognosen und Signalen nicht uneingeschränkt zu trauen ist. Das Problem ist, dass unser Blick auf einen Chart oder die Börse immer nur ein subjektiver Ausschnitt ist, man könnte auch sagen unsere selbst erfundene Wirklichkeit.

Erfolgreiche Trader wissen, dass ihre Einschätzung der Märkte eine äußerst unsichere Wirklichkeit ist, die jederzeit einstürzen kann.

Die Herausforderung ist, dass man als Trader für eine einmal konstruierte Wirklichkeit in Charts, Nachrichten und Fundamentaldaten immer eine Bestätigung finden wird. (Man muss nur lange genug suchen)

Wenn ich der Meinung bin, dass die Kurse jetzt steigen müssen, dann werde ich eine Trendlinie finden, die gerade so noch passt oder unter unzähligen Börsennachrichten eine Meldung finden, die positiv ist und meine Wahrnehmung stützt.

Der Trader Paul Tudor Jones (heutiges Vermögen über 5 Milliarden Dollar geschätzt) sagte in einem Interview mit Jack Schwager: "Every day I assume every position I have is wrong." (1)

Außerdem kennen Sie dieses Phänomen auch aus dem Alltag, wenn unser Gehirn unsinnigerweise Verknüpfungen herstellt, wo gar keine sind. An der Börse passiert das jeden Tag.

Nassim Taleb, einer der wenigen erfolgreichen Hedgefondsmanager, die auf den Zusammenbruch des Immobilienmarktes 2008 gesetzt hatten, schreibt im Vorwort seines Buches „Antifragilität“:

„Ich möchte in einer Welt, die ich nicht verstehe, glücklich leben können.“

Eine Welt, die ich nicht verstehe.

Das schreibt ein erfolgreicher Hedgefondsmanager (bzw. ehemaliger Hedegfondsmanager, heute ist er "nur" Berater seines Schülers Mark Spitznagel bei Universa Investments und verbringt seine Zeit mit Schreiben und gelegentlichen Wutausbrüchen auf Twitter). (2)

Was aber glauben die meisten Trader? Dass sie genau wüssten, wo der Markt hingeht, wie die nächsten Arbeitsmarktdaten ausfallen, welche Struktur der Markt ausbilden würde, usw.

Der Psychoanalytiker und Stanford-Professor Paul Watzlawick stellte einmal folgendes Experiment vor. Es zeigt auf eine amüsante Art und Weise, wie wir uns manchmal unsere eigene Welt konstruieren. Vielleicht kommt Ihnen ja der ein oder andere Gedanke aus dem Tradingalltag bekannt vor.

Einer Gruppe von Probanden wurde die Aufgabe gestellt, eine Reihe von Zahlenpaaren mit einander zu vergleichen und zu beantworten, ob die Zahlen zusammenpassen oder nicht. Dabei wurde nicht näher definiert was „zusammenpassen“ bedeutet. Auch sonst wurden keine weiteren Informationen gegeben. Die Probanden tappten also im Dunkeln und mussten sich ihre eigene Realität schaffen.

Das Experiment beginnt.

Es kommen die ersten Zahlen.

48 und 12.

Proband denkt: „Passt. Beide Zahlen sind gerade. 48 ist ein vielfaches von 12. Da könnte ein Zusammenhang bestehen. Außerdem könnte man ja 48 und 12 addieren, das ergäbe 60 und wenn es sich dabei um Minuten handeln würde, wäre das eine volle Stunde.“

Ganz normale Überlegungen eines Gehirns, das nach einem Zusammenhang sucht.

Antwort: „Ja, passen zusammen.“
Antwort des Versuchsleiters: „Falsch, kein Zusammenhang.“

Proband ist irritiert, aber nimmt das zur Kenntnis.

Es kommen die nächsten Zahlen.

17 und 83.

Proband denkt: „Ok, Gerade war im letzten Zahlenpaar kein Hinweis. Aber vielleicht besteht das „Passen“ ja in dem Zusammenhang, das beide Zahlen ungerade sind? Außerdem ist diesesmal die kleinere Zahl vor der größeren Zahl genannt. Auch das könnte ja ein möglicher Zusammenhang sein. Ferner sind 17 und 83 Primzahlen. Das ist ein guter Hinweis. Zumal ergibt 17 und 83 gleich 100, eine runde, schöne Zahl.“

Antwort: „Ja, passen zusammen.“
Antwort des Versuchsleiters: „Falsch, kein Zusammenhang.“

So geht das Experiment weiter und mit jedem Zahlenpaar wird der Proband besser und besser, bekommt also immer öfter eine „Richtig“-Antwort vom Versuchsleiter.

Was passiert nun im Verstand des Probanden?

Bei den meisten bildet sich eine komplexe Theorie darüber, welchen Regeln dieses Zahlenuniversum unterliegt. Natürlich stimmt die Theorie nicht immer, mal bekommen die Probanden noch ein „Falsch“, aber sie haben zunehmend das Gefühl eine valide Theorie über die Bestimmung eines Zusammenhangs der Zahlenpaare zu haben.

Was die Probanden noch nicht wissen: Es gab nie einen Zusammenhang zwischen den Zahlenpaaren.

Sobald sich etwas Selbstsicherheit bei den Probanden entwickelt, bricht der Versuchsleiter das Experiment ab und fragt die Teilnehmer nach ihrer Erklärung.

Nachdem die Probanden ihre Theorie dargelegt haben, wonach sie die Zahlenpaare zugeordnet haben, erklärt der Versuchsleiter, dass zwischen den Antworten und einem "Richtig" oder "Falsch" kein Zusammenhang bestand.

Die "Richtig"- oder "Falsch"-Antworten des Versuchsleiters wurden in diesem Experiment nach der Verteilung auf einer Gaußschen Kurve gegeben. Anfangs bekamen die Teilnehmer nie ein „Richtig“, am Ende dann immer öfter (was die Selbstsicherheit steigerte).

Die Probanden in diesem Experiment haben also eine fiktive Ordnung in einer chaotischen Zahlenwelt konstruiert.

Was interessant war, ist dass bei nur 25 % richtigen Antworten, die der Versuchsleiter in Testreihen gab, die Probanden irgendwann aufgaben. Sie befanden das Experiment für unsinnig und meinten, dass es keinen Zusammenhang gab.

Gab der Versuchsleiter aber viele „Richtig“-Antworten, etwa um die 75 % der Zahlenpaare, so entwickelten die Teilnehmer sehr kreative Erklärungen, welche Ordnung hinter den Zahlenpaaren stand.

Aber die verrücktesten und unsinnigsten Erklärungen gaben jene Teilnehmer ab, denen eine 50 % Trefferquote untergemogelt wurde. (Was der Trefferquote beim Trading ziemlich nahe kommt...)

Viele dieser Probanden weigerten sich sogar hinterher, den mühsam aufgebauten Glauben an ein System hinter den Zahlenpaaren aufzugeben, nachdem ihnen der Versuchsleiter erklärte, dass er seine Antworten zufällig ausgewählt hatte.

Einige der Versuchspersonen versuchten sogar den Versuchsleiter zu überzeugen, welche von ihnen entdeckte Ordnung hinter den Zahlenpaaren stand, die der Versuchsleiter anscheinend übersehen hatte.

Haben wir uns nicht alle schon mal eine fiktive Ordnung an den Märkten konstruiert, die wir nur unter großen Schmerzen aufgeben wollten?

George Soros, wohl einer der erfolgreichsten Trader des 20. Jahrhunderts sagte mal: "Once we realize that imperfect understanding is the human condition there is no shame in being wrong, only in failing to correct our mistakes." (3)

Das ist der Hauptgrund warum Trader oft an einem Geschäft festhalten, bis sich ihre Annahme bestätigt oder von einer anderen Wirklichkeit eingeholt wird. Dieses Zusammenbrechen einer subjektiv konstruierten Wirklichkeit ist der Hauptgrund für finanzielle und emotionale Schmerzen an der Börse.

Wer den Umstand akzeptiert, dass jede Tradingidee (egal in welchem Zeitfenster, auch passives Investieren mit ETFs ist eine sehr lange Konstruktion der Wirklichkeit) nur eine subjektive Annahme ist, der kann auch einen großen Vorteil daraus gewinnen.

Gute Trader entwickeln so etwas wie ein Gespür (was meiner Meinung nach ein Mix aus Erfahrung und Information ist) und treffen daraufhin Entscheidungen.

Steven Cohen, einer der erfolgreichsten Hedgefondsmanager der Welt, trifft seine Entscheidungen zu über 50 % aus dem Bauch heraus. Intuitive und einfache Entscheidungen sind in Situationen der Unsicherheit, deren Paradebeispiel wohl die Börse ist, oftmals den faktenbasierten und komplexen Entscheidungen überlegen.

Auf der Jackson Hole Konferenz 2012 hielt der britische Notenbanker Andrew Haldane eine bemerkenswerte Rede mit dem Titel „The dog and the frisbee“ („Der Hund und die Frisbee“) (4)

Darin führte er eine überzeugende Beweisführung warum die Regulierung der Finanzmärkte durch ihre Hüter (im Englischen auch „Watchdogs“ („Wachhunde“) genannt) mit immer komplexeren Regeln und Verordnungen Gefahr laufe Risiken in der Bankenwelt zu fördern, statt sie wirksam zu bekämpfen.

Wer einmal den Film „Margin Call“ mit Kevin Spacey gesehen hat, der in der Nacht von Lehman Brothers Zusammenbruch spielt, hat eine Vorstellung davon, wie komplex Risiken in der Bankenwelt sind.

Andrew Haldanes Hypothese dagegen ist einfach.

Er führt das Beispiel eines Hundes an, der eine Frisbee fängt. Jeder, der das schon einmal probiert hat, weiß, dass es gar nicht so einfach für uns Menschen ist, eine Frisbee zu fangen. Wir müssen – theoretisch - verschiedene Vektoren und Flugbahnen beachten und physikalische, als auch atmosphärische Bedingungen in unseren Fangversuch einbringen. Ein Physiker, der einen optimalen Prozess dieser sportlichen Tätigkeit skizzieren müsste, würde wohl eine komplexe Anordnung von Bedingungen und physikalischen Gesetzen wie Newton Gravitationsgesetz formulieren.

Doch in der Realität können sogar Kinder mit etwas Übung eine Frisbee werfen und fangen, ja sogar ein Hund schafft es, diese komplexe Aufgabe zu bewältigen.

Also was ist das Geheimnis eines Hundes? Ist er ein heimliches Genie?

Nein, die Antwort ist, dass wir auf manche komplexen Fragen im Leben auch mit einfachen Antworten weiter kommen oder anders gesagt eine schwere Antwort auch einfach halten können, um zum selben Ergebnis zu kommen.

Fazit

Meine persönliche Erkenntnis der jahrelangen Beobachtung der Finanzmärkte ist, dass ich bei zu vielem Nachdenken die irrsten Theorien entwickelt habe. Ich wollte mit aller Macht Zusammenhänge konstruieren, wo es keine gab. Heute fahre ich mit einfachen und robusten Strategien wesentlich besser.

Viele Grüße
Jakob Penndorf

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(1) The 15 Best Things Paul Tudor Jones Has Ever Said About Trading. Businessinsider.com. Abgerufen am 13.02.2017. (Übersetzung: „Ich stelle mir jeden Tag vor, dass jede Position, die ich halte, komplett falsch ist.“)
(2) Unternehmenswebseite von Universa Investments L.P. Abgerufen am 24.02.2017 
(3) Englischsprachiger Wikiquote-Artikel über George Soros. Wikiquote.org. Abgerufen am 13.02.2017. (Übersetzung: „Sobald wir einmal eingesehen haben, dass Missverständnisse Teil des menschlichen Wesens sind, so ist es keine Schande mehr seine Fehler einzusehen, sondern nur noch eine, sie nicht zu korrigieren.“)
(4) Speech by Mr Andrew G Haldane, Executive Director, Financial Stability, Bank of England, and Mr Vasileios Madouros, Economist, Bank of England, at the Federal Reserve Bank of Kansas City’s 366th economic policy symposium, “The changing policy landscape”, Jackson Hole, Wyoming, 31 August 2012.

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Jakob Penndorf
Jakob Penndorf

Jakob Penndorf teilt seit 2015 seine Expertise als Finanz- und Tradingexperte auf GodmodeTrader und Guidants, den Finanzportalen der BörseGo AG. Er startete seine Karriere als Börsenhändler und Analyst bei einer Wertpapierhandelsbank, war Berater und Fondsmanager für Asset Manager in Frankfurt am Main und Gründer eines Finanztechnologie-Unternehmens in Berlin. Jakob Penndorf hat zahlreiche Lehrgänge absolviert, u.a. ist er akkreditierter Berater der namhaften Investmentgesellschaft Dimensional Funds Advisors (DFA) aus den USA, deren Vorstand und Verwaltungsrat führende Finanzforscher wie Kenneth French, Roger Ibbotson oder Eugene Fama angehören. Jakob Penndorf veröffentlichte zahlreiche Fachartikel über Börsenstrategien, Anlegerverhalten und technische Handelssysteme. Er trainiert Unternehmer, Börsenhändler und Investoren im Umgang mit Risiken an den Finanzmärkten.

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