Wissensartikel
10:59 Uhr, 31.12.2018

Faustformel: So bewerten Sie jede Aktie richtig!

Gibt es eine einfache Faustformel, mit der man beurteilen kann, ob eine Aktie aus fundamentaler Sicht günstig bewertet ist? Benjamin Graham, der Lehrmeister von Warren Buffett, hat eine solche Bewertungsformel erfunden. Sie berücksichtigt sowohl den Substanz- als auch den Ertragswert eines Unternehmens.

Wer Aktien kauft, wird damit zum Miteigentümer eines Unternehmens. Um beurteilen zu können, ob der einzelne Anteilsschein so viel wert ist, wie man an der Börse dafür zahlt, gibt es im Wesentlichen zwei Herangehensweisen. Man kann entweder den Substanzwert des Unternehmens (und der einzelnen Aktie) oder den Ertragswert berechnen.

Der Substanzwert ergibt sich im einfachsten Fall aus dem Wert aller Vermögensgegenstände, die ein Unternehmen besitzt, abzüglich aller Schulden. Man bildet also die Summe beispielsweise aller Vermögenswerte wie Immobilien und Maschinen eines Unternehmens und zieht dann die Verbindlichkeiten (also die Schulden) ab. Der so ausgerechnete Substanzwert entspricht dem in der Bilanz ausgewiesenen "Eigenkapital". Alternativ können für den Substanzwert auch noch andere Formeln angesetzt werden, zum Beispiel gibt es gute Argumente dafür, die immateriellen Vermögenswerte eines Unternehmens nicht zu berücksichtigen. Wir wollen an dieser Stelle aber das Eigenkapital nutzen, da es sich direkt aus der Bilanz ergibt.

Eine andere Herangehensweise besteht darin, den Wert des Unternehmens aus den Gewinnen zu bestimmen, den dieses Unternehmen erwirtschaftet. Dies entspricht dem Ertragswert. Als Faustformel könnte man zum Beispiel sagen, der Wert eines Unternehmens sei ungefähr zwölf Mal so hoch wie der in einem typischen Jahr erzielte Gewinn. Das entspricht einer Faustformel für Immobilien, die früher üblich war. Demnach ist eine Immobilie rund 144 Monatsmieten bzw. 12 Jahresmieten "wert". In der aktuellen Niedrigzinsphase gibt es aber gute Gründe dafür, sowohl bei der Unternehmens- als auch bei der Immobilienbewertung statt 12 ein höheres Vielfaches ("Multiple") des Gewinns zu verwenden, z.B. 15.

Teilt man den oben ermittelten Substanzwert oder den Ertragswert durch die Aktienanzahl des Unternehmens, erhält man den fundamentalen Wert einer einzelnen Aktie. Bei beiden Herangehensweisen können sich aber durchaus unterschiedliche Werte ergeben. Bei "normalen" Unternehmen wird häufig der Ertragswert als Maßstab verwendet, bei Unternehmen, deren Überleben nicht sicher ist, eher der Substanzwert. Allerdings wird hierzu ein modifizierter Substanzwert (gewissermaßen der "Zerschlagungswert") benötigt, bei dem alle unverkäuflichen Vermögenswerte des Unternehmens (dazu gehören zum Beispiel oft auch Maschinen) nicht berücksichtigt werden und die anderen Vermögenswerte nur zu den noch erzielbaren Verkaufspreise bilanziert werden. Das soll an dieser Stelle aber nicht weiter interessieren, da wir uns hier nur mit Unternehmen beschäftigen wollen, bei denen eine Liquidation nicht absehbar ist.

Die Berechnung des Substanzwertes ist durchaus auch für Unternehmen interessant, bei denen keine Zerschlagung droht. Der Substanzwert gibt nämlich an, welches Nettovermögen ein Unternehmen eigentlich besitzt. Es liegt auf der Hand, diesen Wert als Näherungswert für den Unternehmenswert zu verwenden. Allerdings ist es in der Regel üblich, dass ein gesundes Unternehmen höher bewertet wird, als es dem Substanzwert enstpricht. Ein Unternehmen besitzt nämlich häufig Werte, die sich nicht direkt in der Bilanz niederschlagen, zum Beispiel einen großen Kundenstamm, eine eingeführte Marke oder auch das Know-How der Mitarbeiter, das sich oft nicht einfach ersetzen lässt.

Wie kann der Wert eines Unternehmens nun also anhand seiner Netto-Vermögenswerte und der erzielten Gewinne beurteilt werden? Benjamin Graham, der als Erfinder des Value Investings gilt und der Lehrmeister von US-Starinvestor Warren Buffett war, hat dazu eine einfache Faustformel aufgestellt, wie sich aus dem dem Gewinn je Aktie und dem Eigenkapital je Aktie der fundamentale Wert einer Aktie berechnen lässt:

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Nach Graham ist dies der Maximalpreis, den ein defensiver Investor für eine Aktie bezahlen sollte. Kostet eine Aktie weniger, als die Formel ergibt, dann ist sie unterbewertet und attraktiv für einen Kauf. Kostet eine Aktie so viel, wie die Formel ergibt oder gar mehr, dann sollten konservative Invstoren die Finger von dem Papier lassen! Für Finanzunternehmen (zumindest für Banken) eignet sich Grahams Faustformel nur eingeschränkt.

Implizit ist in der Formel enthalten, dass eine Aktie nicht mehr als das 1,5-fache des Buchwertes (spezieller: des Eigenkapitals) je Aktie oder das 15-fache des Gewinns je Aktie kosten sollte. Die Multiplikation von 1,5 mit 15 ergibt nämlich gerade den Faktor 22,5. Allerdings darf eine Aktie bei einem der beiden Faktoren höher bewertet sein, wenn die Bewertung anhand des anderen Faktors niedriger ausfällt.

Bevor Sie jetzt Ihren Taschenrechner zücken, ein kleiner Hinweis zur korrekten Berechnung des Wertes: Nach den mathematischen Regeln muss zunächst der komplette Term unter der Wurzel ausgerechnet werden und von diesem Wert dann die Wurzel gezogen werden. Wir tippen also bei einem handelsüblichen Taschenrechner 22,5 * Gewinn je Aktie * Eigenkapital je Aktie sowie anschließend das Gleichheitszeichen und ziehen erst dann von diesem Ergebnis die Wurzel (= drücken die Wurzeltaste). Alternativ kann man auch Klammern um den Term unter der Wurzel setzen und damit dem Taschenrechner signalisieren, dass dieses Produkt zuerst ausgerechnet werden muss.

Die Werte für Gewinn je Aktie und Eigenkapital je Aktie können direkt aus den Unternehmensbilanzen ermittelt werden. Für den Gewinn je Aktie sollte aber ein möglichst charakteristischer Wert verwendet werden. Erzielt ein Unternehmen jedes Jahr 1 Euro Gewinn je Aktie und nur in einem einzelnen Jahr 3 Euro, dann ist 1 Euro eher angemessen als 3 Euro. Es sollte also nicht blind der Gewinn je Aktie des letzten Geschäftsjahres oder eine Schätzung für das laufende Geschäftsjahr verwendet werden, sondern ein möglichst charakteristischer und eher konservativer als zu hoher Wert. Schätzungen von Analysten sind zum Beispiel häufig zu optimistisch und sollten deshalb nur mit einem pauschalen Abschlag von zum Beispiel 20 % verwendet werden.

Welche Aktien sind nach der oben genannten Faustformel nun aktuell besonders günstig am deutschen Aktienmarkt? Welche US-Aktien sind nach Grahams Faustformel attraktiv? Der Screener auf der Investment- und Analyseplattform Guidants erhält auch den fairen Aktienwert nach Graham als Kennzahl. Zudem kann der Screener berechnen, wie stark sich der Aktienkurs verändern müsste, damit eine Aktie ihren fairen Wert nach der Faustformel von Graham erreicht.

Wie Sie den Screener einsetzen, um nach der Graham-Faustformel unterbewertete Aktien zu finden, verrät der folgende Artikel:

Perfekt für den Turnaround: Diese deutschen Aktien sind spottbillig!

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11 Kommentare

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  • tresrubios
    tresrubios

    und woher bekomme ich den wahren "Bestandswert" einer Firma...!

    14:55 Uhr, 27.01.2019
  • ValueWasti
    ValueWasti

    @fred_ Welche Seiten bieten das denn an ?

    15:04 Uhr, 14.01.2019
  • fred_
    fred_

    Unternehmen muss einen Burggraben haben, Top Management, hohen Cash Flow. Zum Berechnen des Kaufwerts braucht es eine Zeitreihe von 10 Jahren, das bieten nur wenige Finanzseiten kostenlos.

    20:49 Uhr, 02.01.2019
    1 Antwort anzeigen
  • mmat
    mmat

    Das Hauptproblem bei der Berechnung eines Aktienwertes sind derzeit immer die zukünftigen Gewinne (werden übrigens in dieser Formel nicht berücksichtigt). Auf diese wirken sich extrem viele unternehmensinterne und -externe Faktoren aus. Alle von diesen werden geschätzt - manche können besser geschätzt werden, manche aber schlechter. Die Frage ist auch, bis wie weit in die Zukunft geschätzt wird. Bei vielen der Faktoren nimmt mit steigender Zeitentfernung die Ungenauigkeit exponentiell zu.

    Viele Aktienbewertungen gehen davon aus, dass z.B. die Gewinne in der Zukunft mit einem bestimmten durchschnittlichen Faktor steigen werden. Manche Bewertungen gehen sogar von exponentiellen Steigerungen aus, das ist aber langfristig nicht möglich, da der Marktanteil nicht über 100% gehen kann und daher die Absatzmärkte im Durchschnitt auch exponentiell wachsen müssten. Diese hypothetischen "erwarteten" Gewinne werden dann mit den hypothetischen "erwarteten" Zinssätzen abgezinst.

    Wenn ich es richtig verstehe, nimmt diese Formel den aktuellen Gewinn je Aktie. Daher kann es zu sehr großen unterschieden bei diesem "fundamentalen" Wert geben. Bei "überbewerteten" Unternehmen kann z.B. ein starkes Gewinnwachstum erwartet werden und bei "unterbewerteten" Unternehmen ein starker Gewinnrückgang oder sogar Verluste.

    23:12 Uhr, 01.01.2019
  • Glattsteller
    Glattsteller

    Was mir nicht ganz klar ist an der Berechnung, ist Folgendes. Beim Gewinn je Aktie, wird das Ergebnis pro Aktie vor Steuern genommen, oder nach Steuern? Interessant wäre auch mal zu wissen, wo die Zahl 22,5 herkommt!

    14:15 Uhr, 01.01.2019
    1 Antwort anzeigen
  • Wombat
    Wombat

    Bei dem Beispiel Beiersdort wüde das bedeuten, dass ein konservativer Investor maximal 36,81 für die Aktie bezahlen würde, denn das ist ihr fundamentaler Wert. Also ja, es ist ein gutes Investment, wenn man diesen Wert in der Vergangenheit berücksichtigt und zu dem Preis gekauft hat. Es ist aber ein schlechtes Investment im Sinne der Faustformel, wenn man ihn zu 91,16 kauft. Es muss also jede Menge nicht konservative Investoren und andere Machanismen geben, die den Kurs dort hin gebracht haben. Denn sonst wäre er ja nie so hoch gestiegen, weil niemand, der bei Verstand ist, diese Aktie zu dem Preis kaufen würde.

    03:52 Uhr, 01.01.2019
  • hackyspecht
    hackyspecht

    Moin,

    ich habe die Rechnung für Beiersdorf durchgeführt, nachdem ich mir die Daten vom finanzen.net geholt habe: Wurzel aus 22,5 * 2,96 * 20,34 = 36,81. Der Kurs liegt bei 91,16. Das bedeutet, daß demnach die Aktie eine sehr gute Investition ist? Stimmen Sie mir zu?

    19:31 Uhr, 31.12.2018

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Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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