Kommentar
07:33 Uhr, 09.09.2016

Zinssenkungen am Ende: Kann diese Maßnahme die Geldpolitik retten?

Die Geldpolitik ist seit langem am Limit. Immer tiefere Zinsen bewirken nicht das, was sie bewirken sollen. Die EZB gibt sich gewiss nicht zuletzt deswegen bei ihrer jüngsten Entscheidung zurückhaltend. Wäre da eine Geldpolitik ohne Zinsen nicht vielleicht besser?

Die reine Zinspolitik erreicht ihr Limit

Um es gleich vorwegzunehmen: Zinsen komplett abzuschaffen dürfte schwierig und wenig effizient sein. Die Geldpolitik der Notenbanken ist seit vielen Jahren, in einigen Fällen seit Jahrzehnten, auf ein Instrument begrenzt: Zinsen. Nachdem die Zinspolitik praktisch gescheitert ist, müssen Alternativen her.

Die bisher von den Notenbanken implementierten Maßnahmen (Zinssenkungen und Quantitative Easing) sind die zwei Seiten der gleichen Medaille. Letztlich dient QE auch als Steuerungsinstrument für den Zinsmarkt. Je mehr Anleihen eine Notenbank kauft, desto tiefer sinken die Zinsen.

Leitzinsen legen das kurzfristige Zinsniveau fest. Das lange Ende der Zinskurve, z.B. Zinsen für 30-jährige Anleihen, kann die Notenbank über den Leitzins kaum beeinflussen. Bereits für 10-jährige Anleihen kommen Veränderungen des Leitzinses nur noch zur Hälfte an, wenn überhaupt. Will die Notenbank die Zinsen über die gesamte Zinskurve senken, dann muss sie Wertpapiere wie Staats- und Unternehmensanleihen kaufen. QE ist somit letzte Endes nichts anderes als ein Instrument der Zinspolitik.

Trotz ultraniedrigen Zinsen entlang der Zinskurve ist es den Notenbanken nicht gelungen, die Wirtschaft in Gang zu bringen und dadurch Inflation zu erzeugen. Das zeigt ein großes Manko des Werkzeugkastens auf. Es ist für die heutigen Umstände nicht angemessen.

Ultraniedrige Zinsen alleine erzwingen noch nicht die Kreditaufnahme

Niedrige Zinsen sollen Konsumenten und Unternehmen eigentlich ermuntern, mehr Kredit aufzunehmen. Wird mehr konsumiert und investiert, dann steigt auch das Wirtschaftswachstum. Das Problem dabei: die Notenbank kann niemanden zwingen, von den niedrigen Zinsen Gebrauch zu machen. Sie kann niemanden zwingen, Kredit aufzunehmen und zu investieren. Im umgekehrten Fall, wenn Notenbanken die Kreditvergabe verlangsamen wollen, kann sie sehr wohl effektiv durch die Zinsschraube eingreifen. Ab einem bestimmten, höheren Zinssatz werden Kredite einfach zu unattraktiv, sodass die Kreditaufnahme der Wirtschaft stoppt.

Notenbanken haben gute Instrumente, um eine Überhitzung zu verhindern. Eine deflationäre Wirtschaft anzuschieben ist schwieriger, weil sie eben niemanden zur Kreditaufnahme nötigen kann. Schon allein aus diesem Grund wird über Helikoptergeld diskutiert. Wenn die Notenbank kein Kreditwachstum erzwingen kann, dann kann sie wenigsten Geld verschenken. Das kommt zwar nicht ganz aufs Gleiche hinaus, ist aber vom Effekt her zunächst ähnlich.

Lesetipp: Helikoptergeld - Kann der Geldregen der Zentralbank funktionieren?

Bevor Notenbanken nun beginnen Geld aus Hubschraubern abzuwerfen, sollten sie ganz genau analysieren, was die Bank of England (BoE) sagt und tut. Diese hat eine ausführliche Studie zur Geldpolitik und ihrer Wirkung in den 60er, 70er und frühen 80er Jahren durchgeführt. Diese Studie bringt überraschende Erkenntnisse.

Markoprudenzielle Maßnahmen können die Kreditvergabe erleichtern - oder erschweren

Die BoE hat zwei verschiedene Instrumente der Geldpolitik untersucht. Das eine ist die Zinspolitik, das andere sind makroprudenzielle Maßnahmen. Makroprudenziell klingt kompliziert, ist es aber nicht. Es geht dabei um regulierende Maßnahmen, die effektiv auf das Niveau der Kreditvergabe abzielen. Soll in einer Wirtschaft z.B. die Vergabe von Immobilienkrediten verlangsamt werden, dann kann durch eine makroprudenzielle Maßnahme veranlasst werden, dass Kreditnehmer einen höheren Eigenkapitalanteil mitbringen müssen. Wird der Eigenkapitalanteil etwa von 15 % auf 30 % verdoppelt, dann dürften viele Menschen für einen Immobilienkredit gar nicht mehr infrage kommen, sodass sich das Kreditwachstum verlangsamt.

Will eine Notenbank das Kreditwachstum verlangsamen, dann kann sie dies durch mehrere Maßnahmen gezielt tun. Sie kann von den Kreditnehmern mehr Eigenkapital für Immobilienkäufe und Käufe von Investitionsgütern verlangen. Ebenso kann sie von Banken mehr Eigenkapitalunterlegung einfordern oder die Reserveanforderungen erhöhen.

Will eine Notenbank das Kreditwachstum anschieben, dann kann sie die gerade beschriebenen Instrumente ebenfalls einsetzen, indem sie die Anforderungen senkt. Grafik 1 zeigt, welche Faktoren in Großbritannien das Kreditwachstum beeinflusst haben. Die grüne Fläche zeigt makroprudenzielle Maßnahmen. Positive Werte bedeuten, dass mehr Kredit vergeben werden konnte. Die blaue Fläche zeigt den Beitrag der Leitzinsen zum Kreditwachstum. Die rote Linie zeigt das tatsächliche Kreditwachstum. Es zeigt sich ganz klar, dass makroprudenzielle Maßnahmen am besten wirken.

Nachdem die klassische Zinspolitik daran gescheitert ist, die Kreditvergabe und dadurch die Wirtschaft nennenswert anzuschieben, sollten es Notenbanken vielleicht anders versuchen. Die BoE hat das bereits getan. Sie hat nach der Finanzkrise einen antizyklischen Kapitalpuffer eingeführt. In guten Zeiten müssen Banken mehr Kapital vorhalten. Nach dem Referendum fiel dieser Kapitalpuffer weg, sodass Banken nun deutlich mehr Kredit bei gleicher Kapitalausstattung vergeben können.

Es ist zu früh, um abzuschätzen, ob der Schritt der BoE mit dafür verantwortlich war, dass das Kreditwachstum im Juli und August weiterhin hoch war. Möglich wäre es und wenn sich dies bestätigt, sollten sich andere Notenbanken daran ein Vorbild nehmen. Viele andere Notenbanken sind immer noch dabei, die Kapitalanforderungen hochzuschrauben. Das wirkt wie eine restriktive Geldpolitik. Eigentlich sollte man sich nicht wundern, dass die niedrigen Zinsen in der Wirtschaft kaum ankommen, da die Kapitalanforderungen konträr dazu wirken.

Wenn makroprudenzielle Maßnahmen so gut wirken, kann man dann die Zinspolitik gleich ganz abschaffen? Die kurze Antwort lautet Nein. Zinsveränderungen sind effektiver, wenn es um die Steuerung der Inflation geht (Grafik 2). Hier zeigt sich, dass die blaue Fläche (Zinsveränderungen) am meisten zur Inflationsrate beitragen.

Auf die klassische Zinspolitik kann nicht verzichtet werden. Für die Beeinflussung der Inflation ist sie unabdingbar. Wenn es den Notenbanken jedoch um wachstumsfördernde Maßnahmen geht, dann ist die Zinspolitik nicht sonderlich effektiv. Veränderungen von Reserve- und Eigenkapitalanforderungen sind wesentlich besser geeignet, um für Kreditwachstum zu sorgen und dadurch die Wirtschaft anzuschieben. Anstatt die Zinsen also noch weiter in den negativen Bereich zu senken oder Helikoptergeld einzuführen, wäre dies der bessere nächste Schritt.

Clemens Schmale

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7 Kommentare

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  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Das Problem der ultraniedrigen Zinsen ist doch gerade dass die Banken aufgrund fehlender Marge überhaupt gar kein Interesse daran haben an Unternehmen oder Konsumenten Kredite zu vergeben.

    Sowohl die Auflagen als auch die Anforderungen an die Kreditvergabe selbst sind wesentlich restriktiver gestaltet als diese es bis 2008 war, ausser man benötigt gar keinen Kredit bekommt man auch keinen. Am besten werden für einen 80.000,- Kredit ganze 100.000,- plus Immobilie als "Sicherheit" hinterlegt.

    Die Klientel der Banken hat sich radikal verändert. Nach Filialschliessungen und Personalentlassungen im grossen Stil, gestaltet es sich wesentlich einfacher einem Staat oder einem multinationalen Konzern eine Milliarde zu leihen anstatt 16.666 Einzelkredite i.Höhe von je EUR 60.000,- zu verwalten.

    Das ganze System ist kaputt. Anstatt dass Leute freiwillig Ihr Geld zur Bank tragen, damit Sie 5% Zinsen bekommen, werden Bargeldverbote eingeführt.

    17:54 Uhr, 09.09.2016
  • kleiner_Hellmut
    kleiner_Hellmut

    Wie man immer noch am Glauben daran festhalten kann, dass noch mehr Schulden etwas Gutes, Erstrebenswertes sind, übersteigt mein Verständnis. Besonders, wenn ich mir ansehe, wie mit z.B. Griechenland umgegangen wurde. Irgendwie schizophren, das ganze System. Kredite sind gut und richtig und müssen gefördert werden, aber dann auch wieder nicht - entscheidet euch mal.

    16:51 Uhr, 09.09.2016
  • josua1123
    josua1123

    "Wird der Eigenkapitalanteil etwa von 15 % auf 30 % verdoppelt, dann dürften viele Menschen für einen Immobilienkredit gar nicht mehr infrage kommen"

    Ich will hier nicht mit Sozi - Gedankengut haussieren

    aber für Otto Normverbraucher wird eine Immobilie zb für seine Tochter

    unerschwinglich, Mieten gehen in die höhe und knapper Wohnraum wird noch knapper dh teurer .

    Das Geld für die Eigenmittel (Miete) fließt nicht in den Konsum sondern steckt in einer Immobilie

    Was ist da jetzt so super?

    15:22 Uhr, 09.09.2016
  • Joey-the-bee
    Joey-the-bee

    Sehr interessanter Artikel Herr Schmale. Leider gibt es immer wieder Personen, welche sich nichts durchlesen und dann völlig aus dem Zusammenhang gerissene Kommentare hinterlassen.

    09:13 Uhr, 09.09.2016
  • Unbedingt
    Unbedingt

    Müsste man das nicht noch eine Ebene allgemeiner betrachten? Zunächst könnte man doch erst einmal feststellen, dass es gut ist, wenn Investoren ihre Ideen, Projekte, Beteiligungen, Firmengründungen usw. mit Eigenmitteln finanzieren können und keinen Kredit brauchen. In diesem Licht sieht es dann so aus, als ginge es der EZB (früher nannte man diese Art Banker mal "Währungshüter") vornehmlich um das Wohlergehen der Finanzbranche. Müssen nicht in einer gesunden Wirtschaft, Banken (und vor allem Beschäftigte) verschwinden, wenn weniger Kredit gebraucht wird? Am Rande sollte man auch daran denken, dass die Hochzinsphase nach der Deutschen Einheit auf die gesamte Finanzbranche gewirkt hat wie Universaldünger. Als Maßstab für den normalen Zustand ist diese Zeit daher nicht gut geeignet. Einiges davon, was damals gewuchert ist, muss nun pleite gehen, sonst stimmt etwas nicht. Ich würde mich sehr wundern, wenn das die Berufs-Zentralbänker tatsächlich übersehen hätten.

    09:04 Uhr, 09.09.2016
  • kopfsache
    kopfsache

    das alles ist gequirlter unsinn mit eierschalen anstatt rosienen drinnen. wer glaub die wirtschaftszyklen zu überwinden, sollte auf den stuhl.

    investitionen ergeben sich aus chancen die entstehen wenn etwas "günstig", "strategisch" oder "unverzichtbar" ist, nicht wenn analysten oder bank-schlipsträger das für richtig halten. darum sind die europäischen banken auch alle kurz vor der pleite, weil die zu doof zum denken sind.

    wirtschaft ist ganz einfach. investiere billig, verkaufe teuer - punkt. alles andere sind frühpubertäre schlipsträger fantasien, die auch nur wieder schlipsträger glauben.

    08:54 Uhr, 09.09.2016
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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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