Kommentar
06:46 Uhr, 05.07.2016

Zinsen auf Rekordjagd!

An Aufregung und Einmaligkeit hat es an den Märkten in den vergangenen Wochen kaum gemangelt. Minuszeichen von mehr als 10% (Italien, Spanien) bei Leitindizes sieht man nicht alle Tage. Das letzte Mal war das 2008 der Fall. Inzwischen findet die eigentliche Aufregung ganz woanders statt.

So außergewöhnlich Tagesverluste von 7 % (Dax), 11 % (Italien) oder sogar 12.4 % (Spanien) für Leitindizes sind, sie kommen doch im Leben eines Anlegers mehrmals vor. Zumindest war das in den vergangenen Jahrzehnten so, in denen der Crash von 1987, die Asienkrise, 9/11 und der Bankrott von Lehman Brothers für teils zweistellige Verluste sorgten.

Die Häufigkeit solcher Ereignisse ist für Anleger immer noch außergewöhnlich. In einem sehr schnelllebigen Markt sind 10 Jahre eine halbe Ewigkeit. Wenn man jedoch nach wirklich außergewöhnlichen Rekorden und Ereignissen sucht, wird auf dem Zinsmarkt fündig. Hier wurden vergangene Woche nicht etwa Rekorde auf Sicht von 10 Jahren geschrieben, sondern auf Sicht von Jahrhunderten.

Lange Zeitreihen für Zinsen gibt es vor allem für Großbritannien, die USA und Frankreich. Die Langfristzinsen erreichten Ende vergangener Woche absolute Rekorde. Die Langfristzinsen (ca. 30 Jahre) erreichten in Frankreich und Großbritannien neue Negativwerte. In den USA hielt sich das lange Ende der Zinskurve noch knapp über dem Tief aus den Jahren des Zweiten Weltkrieges.

Diese Rekordjagd begann nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien. Die Flucht von Anlegern in vermeintlich sichere Staatsanleihen ist verständlich, doch inzwischen hat sich die ganz große Panik schon längst wieder gelegt. Anleger gingen wieder sehr schnell auf Schnäppchenjagd und sorgten für kräftige Pluszeichen bei Aktien. Die Flucht in Staatsanleihen hielt jedoch an.

Das ist ein bemerkenswerter Trend, den wir seit einigen Monaten beobachten können. Begonnen hatte alles vor knapp einem Jahr, als der Markt im Sommer crashte. Anleger flohen in Anleihen und drückten die Renditen. In der Beruhigungsphase bis Jahresende stiegen die Renditen kaum. Mit den neuerlichen Abgaben an den Aktienmärkten zu Jahresbeginn sanken die Renditen von Anleihen weiter. Während der Rally von Februar bis Mai stiegen die Renditen kaum.

Nun stand gerade der letzte Test an und wieder sanken die Renditen, ohne nach dem eigentlich Stress auf den Märkten wieder zuzulegen. Obwohl sich der Markt schon wieder im Risk-on Modus befindet sinken die Renditen weiter. Das ist ein klarer Bruch mit der Systematik der vergangenen Jahrzehnte.

Im Prinzip gibt es dafür nur eine Erklärung: Anleger erwarten von den Notenbanken, dass sie die Zinsen entweder nicht weiter anheben (USA), sie für noch längere Zeit niedrig lassen (Eurozone) oder weiter senken (Großbritannien und Japan). Der Markt scheint sich nicht mehr nach dem Motto „lower for longer“, sondern nach „lower forever“ zu richten. Anders lässt sich die Risikobereitschaft nicht erklären.

Staatsanleihen gelten als sicher, doch das Risiko ist inzwischen substantiell. Für japanische Anleihen mit 40 Jahren Laufzeit erhalten Anleger noch gut 0,1 % pro Jahr. Die Rendite über die gesamte Laufzeit von 40 Jahren kann im Rahmen von täglichen Preisschwankungen verloren gehen. Das Kursrisiko ist massiv.

Die Flucht in Staatsanleihen hat dazu geführt, dass inzwischen über 11 Billionen Dollar an Anleihen mit einer negativen Rendite notieren. Geht der Trend der letzten Monate weiter, dann wird es bald selbst 20- oder 30-jährige Anleihen nicht mehr mit positiven Renditen geben.

Viele sehen in diesem Trend Zeichen für den unweigerlichen Zusammenbruch unseres Finanzsystems. Persönlich sehe ich das sehr viel gelassener. Anleger gehen strikt davon aus, dass die Anleihen zumindest wieder zurückgezahlt werden. Diese Annahme beruht keinesfalls auf den soliden Staatsfinanzen, sondern vielmehr auf dem Vertrauen, dass Notenbanken einfach immer weiter und weiter Anleihen kaufen werden. Ein Staatsbankrott ist unter diesen Umständen praktisch ausgeschlossen.

Notenbanken können Anleihen immer weiter kaufen, ohne mit hoher Inflation rechnen zu müssen. Die Inflation wird zweifelsohne auch wieder einmal etwas ansteigen, doch signifikante Inflationsraten sind nicht absehbar (gerade wegen der Überschuldung und des demographischen Wandels).

Damit es in den kommenden Jahren überhaupt zu einer Zinswende kommt, muss schon ein Wunder geschehen. Das derzeitige Zinsniveau markiert einen Rekord auf Sicht von Jahrhunderten. Eine Trendumkehr ist dennoch in naher Zukunft nicht auszumachen.

Clemens Schmale

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4 Kommentare

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    Der sogenannte "unweigerliche Zusammenbruch" wird ja durch die Zentralbanken verhindert. Aber was übrigbleibt, sind wie auch in Japan, Zombiebanken und eigentlich unrentable Unternehmen, die lediglich aufgrund der negativen Zinsstruktur leben. Das hat nichts mit gesunden Volks- bzw. Betriebswirtschaften zu tun. Unser Finanzsystem ist eigentlich 2008 kollabiert aufgrund massiver Überschuldung und dem nicht mehr stattfindenden Gleichgewicht von Einnahmen und Ausgaben. Das angebliche weltweite - mittlerweile kaum noch vorhandene Wirtschafts-wachstum ist und wird weiterhin schuldenfinanziert, was immer weiter in die Sackgasse führt. Eine Anpassung, Neustart, wie auch immer ist dringends erforderlich und wird sehr schmerzhaft, ist aber alternativlos. Dieses, wie auch aktuell zu verfolgen, neuerliche Stützen (ital. Banken) völlig maroder Gesellschaften ist keine Lösung, aber Politiker lernen leider nicht dazu. Einfach populistisch durch und weiterwursteln bis zur nächsten Wahl... Man muss kein Mathematik oder Wirtschaftsgenie sein, um zu erkennen dass dieses immer weitergehende Anhäufen von Schulden und das Bedienen oder der Aufkauf durch Notenbanken kein Modell für die Zukunft sein kann...

    10:08 Uhr, 05.07. 2016
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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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