Kommentar
09:55 Uhr, 29.09.2016

Wir schaffen das!

Diese von Kanzlerin Merkel gesprochenen Worte, die ursprünglich als Motivation gelten sollten, sind inzwischen Reizworte geworden. Merkel ist jedoch nicht die einzige, die mit dieser Parole für Missmut sorgt.

„Wir schaffen das“ ist ein kurzer Satz, der eigentlich recht konkret klingt. Praktisch hat sich gezeigt, dass die Sache sehr viel komplizierter ist. Bevor man „es“ geschafft hat, ist sehr viel zu tun. Das Problem: Keiner weiß so richtig, was alles getan werden muss. Die einen verlangen vor allem immer größere Budgets, immer mehr Geld. Die anderen sagen, dass wir es ohnehin nicht schaffen und man es daher gleich lassen sollte.

Das erinnert irgendwie an die Geldpolitik der Notenbanken. Sie haben auch die Parole „Wir schaffen das“ ausgegeben. Geschafft werden soll Inflation. Das war auch bei Draghis Auftritt im Bundestag großes Thema. Aber: Seit vielen Jahren wird da gar nichts geschaffen.

Die einen rufen nach immer mehr Geld und noch niedrigeren Zinsen, doch das hat bisher nicht funktioniert, obwohl die Notenbanken den Rufen gefolgt sind. Andere erzürnt die lockere Geldpolitik und verlangen höhere Zinsen, schon allein deswegen, weil ultraniedrige Zinsen ohnehin nichts bewirken.

Notenbanken halten an ihrem „Wir schaffen das“ Mantra seit Jahren fest. Geschehen ist wenig, selbst nachdem außergewöhnliche Maßnahmen beschlossen und umgesetzt wurden. Die Inflation bewegt sich einfach nicht vom Fleck. Zudem kann man es als Beobachter und Anleger kaum noch ertragen, wenn die Notenbanken für alles immer wieder das Inflationsargument ausgraben. Es gibt praktisch nur noch dieses eine Thema und man kann es bald nicht mehr hören.

Die Dinge brauchen aber ihre Zeit. Die Grafik zeigt die US-Inflation und das Inflationsziel von 2 %. Auf Sicht von 50 Jahren wurde das Ziel, welches zugegebenermaßen erst seit einigen Jahren gilt, selten von unten gesehen. Das Problem war eher zu hohe Inflation. Systematisch unterhalb von 2 % befindet sich die Inflation erst seit 2014. Im Big Picture ist das fast nicht relevant.

Die Nervosität steigt dennoch. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er Ziele, selbst wenn sie langfristig sind, möglichst schnell erreichen will. Auch wenn man rational weiß, dass es Jahre dauern kann, wird man schon nach wenigen Wochen nervös, wenn sich nichts tut.

Die Nervosität zeigt sich nicht nur auf dem Markt, sondern auch in den Reihen der Notenbanker. Sie haben große Angst, dass der Markt die Geduld verliert. Die Geduld zu verlieren bedeutet: Der Markt hört auf, an die Möglichkeiten der Notenbanken zu glauben. Ist das Vertrauen erst einmal verloren, dann können die Notenbanken noch so sehr auf und nieder springen – es wird nicht viel bringen. In der Politik ist das nicht anders. Haben Personen oder Parteien erst einmal das Vertrauen verspielt, dann ist der Schaden meist nicht mehr reparabel.

Notenbanken und Politiker spielen daher gerne auf Zeit. Es wird viel in Aussicht gestellt. Ziele werden ausgegeben, die nicht erreicht werden, doch bevor es jemand merkt, werden neue Ziele beschlossen und eine Besserung beim nächsten Mal in Aussicht gestellt. Der Markt gibt sich damit bisher zufrieden.

In der Eurozone spielt man genauso auf Zeit wie in Japan oder den USA. In der Eurozone ist das Spiel jedoch äußerst problematisch, da die Zeit davonläuft. Das Problem muss jetzt gelöst werden, denn die EZB hat kaum noch Handlungsspielraum. Wie schon mehrfach in anderen Artikeln beschrieben, gehen der EZB die Anleihen aus. Sie kann ihr QE-Programm durch Anpassung von Regeln verlängern, aber das Ablaufdatum ist trotzdem recht nah.

Die EZB kann nicht mehr lange auf Zeit spielen. Sie braucht Erfolge – und zwar jetzt. Das erklärt möglicherweise, weshalb EZB-Vize Constancio einfach behauptet, dass das Ziel greifbar ist, selbst wenn es noch nicht einmal annähernd am Horizont auftaucht. Constancio begrüßt den Plan der US-Notenbank, den nächsten Zinsschritt zu wagen. Constancio sieht in einem solchen Schritt den Beweis dafür, dass Notenbanken ihre Ziele erreichen können. Die US-Inflationsrate bewegt sich zwar nicht auf 2 % zu, doch das scheint den Notenbanker nicht zu stören.

Letztlich ist die EZB darauf angewiesen, dass die Fed die Zinsen anhebt. Nachdem QE in Europa ein klares Ablaufdatum hat und ein erzwungene Straffung der Geldpolitik droht, ist die EZB auf Hilfe aus den USA angewiesen. Um das Gleichgewicht zu halten, muss die Fed die Zinsen anheben, wenn die EZB ihr QE Programm auslaufen lässt.

Geschafft ist dadurch überhaupt nichts. Das Ziel ist immer noch so weit entfernt wie vor einem Jahr. Die steigende Nervosität lässt sich daher gut erklären. Der Blick auf das Big Picture zeigt jedoch auch, dass es unangebracht ist, nach kurzer Zeit gleich zu verzweifeln. Manche Dinge brauchen einfach Zeit. Ob man das akzeptieren will, steht auf einem anderen Blatt...

Clemens Schmale

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32 Kommentare

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  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Haben Sie das auch gemerkt? Alles wird billiger: Autos, Uhren, Strom, Verkehrsstrafen, Mieten, Mineralwasser, Bier, sogar Gold, tolle Sache, wenn es halt bloss stimmen würde.

    Ich habe in Ländern mit hoher Inflation gelebt, so 16% - 17% hiess es - nach 1,5 Jahren wenn dann die Statistik raus war. Da gabe es dann auf Bankeinlagen (14-Tage-Geld) auch 14% Zinsen - und von den Zinsen konnte man sich echte Sachen kaufen, mehr kaufen - die Preise sind nämlich erst zeitverzögert angestiegen - nachdem man die Zinsen schon kassiert hatte. Am Jahresende gab es dann schon wieder Lohnerhöhungen von 10% oder 12%. Von dem Geld was man "zuviel" hatte wurden ausländische Devisen gekauft - als Notgroschen sozusagen - oder Gold, ein bisschen, steuerfrei, monatlich. Häuser konnte man kaufen, die Kredite haben zwar 22% gekostet aber das Haus war ja auch 16%-17% "mehr" wert nach einem Jahr - und 50% oder mehr musste man vorab sowieso selbst aufbringen, sonst ging das eben nicht. Und das schönste war, alle waren glücklich - und es funktionierte . und alle haben Geld verdient: Arbeiter, Banken, der Staat, die Bauern. Steuererhöhungen waren keine notwendig, die Wirtschaft wuchs ja, neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Wer sich Urlaub im Ausland nicht leisten konnte, hat Urlaub im Inland gemacht: 3 bis 4 Wochen Urlaub am Stück.

    In den heutigen "inflationsfreien" Zeiten kann sich ja niemand mehr etwas leisten, Steuern werden erhöht, Sozialversicherungsbeiträge auch, einen Kredit bekommt keiner - ausser er ist schon reich - der Reiche braucht aber auch keinen Kredit mehr, da sind ja gar keine Kosten die man von der Steuer absetzen könnte - den Banken geht es schlecht, den Staaten auch und den Bürgern am meisten.

    Staatsquote (Anteil Staatsausgaben am BIP): USA: 38%; Schweiz: 34%; Deutschland:44%

    Portugal 51,8%; So schaffen wir das nicht.

    02:23 Uhr, 30.09. 2016
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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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