Kommentar
07:31 Uhr, 24.11.2016

Wie tief kann der Euro noch fallen?

Unverhofft kommt oft. Das denken sich derzeit wohl Goldman Sachs und Mario Draghi.

Der Euro war in den vergangenen anderthalb Jahren einfach nicht kleinzukriegen. Die EZB bemühte sich mit immer tieferen Zinsen, der QE Einführung und einer QE Ausweitung redlich, den Euro weiter zu drücken. Vergeblich.

Ebenso redete sich Goldman Sachs jahrelang den Mund fusselig, dass der Euro zum Dollar bald bei 1 stehen würde. Die Prognose ging mehrfach nicht auf. Ursprünglich sollte der EUR/USD Kurs schon unterhalb von 0,90 stehen. Jetzt soll wenigstens die Parität 2017 erreicht werden – zwei Jahre später als ursprünglich prognostiziert.

Man wollte die Hoffnung fast schon aufgeben, dass der Euro weiter schwächeln könnte, denn der Notenbank ging die Fantasie aus. Zudem hatten die zusätzlichen Lockerungen, die Notenbanken in 2016 bisher beschlossen, den gegenteiligen Effekt. Die Währungen sanken nicht weiter, sie stiegen. Ganz besonders deutlich wurde das in Japan, als der Yen nach der Einführung der Negativzinsen zu einer Rallye ansetze.

Das alles ist nun vergessen und das Problem hat sich von alleine erledigt. Hierzulande musste nichts weiter getan werden als zu warten. Die USA sorgen nun ganz im Alleingang für einen starken Dollar und somit auch einen schwächeren Euro und Yen. Das hat nicht einmal sonderlich viel mit der Geldpolitik der Fed zu tun. Vielmehr feiern Anleger die Aussicht auf höhere US-Staatsschulden mit einer Dollaraufwertung. Verkehrte Welt.

Weil die Welt hier gerade wirklich verkehrt ist, sollte man auch nicht gleich sein ganzes Vermögen auf eine weitere Dollaraufwertung setzen. Wechselkurse können sich kurzfristig (Wochen und Monate) von Fundamentaldaten lösen. Langfristig ist das bisher noch keiner Währung gelungen. Ganz besonders gilt das für Weltwährungen wie dem Dollar und dem Euro.

Fundamental werden Wechselkurse von zwei Faktoren bestimmt: der Inflation und den Zinsen. Beides zusammen ergibt die Realzinsen. Betrachtet man den Euro/Dollar Kurs und die Differenz der Realzinsen (Grafik 1), dann zeigt sich ein enger Zusammenhang. Das dargestellte Realzinsdifferential zwischen den USA und der Eurozone zeigt wie viel tiefer die Realzinsen in der Eurozone sind. Maßstab ist dafür das Realzinsniveau in Deutschland.

Sind die Realzinsen in der Eurozone höher als in den USA, dann wertet der Euro auf. Liegen die Zinsen in den USA höher, wie derzeit eindeutig der Fall, dann nützt es dem Dollar. Der Zusammenhang gilt seit Freigabe der Wechselkurse nach Ende des Bretton-Woods Systems. Davor (60er Jahre) konnten die Realzinsen schwanken wie sie wollten – es beeinflusste den Wechselkurs nicht.

Wechselkurs und Realzinsdifferential sind stark positiv korreliert. Die Einzelkomponenten (Inflation und Nominalzinsen) sind ebenfalls positiv korreliert. Grafik 2 zeigt den Verlauf von Wechselkurs und Inflation. Zuletzt schrumpfte das Inflationsdifferential, doch der Euro verlor an Wert. Das ist auf den ersten Blick unerwartet.

Auf den zweiten Blick macht das durchaus Sinn. Grafik 3 zeigt das Zinsdifferential der Nominalzinsen. Die Differenz wird negativer. Die Zinsen in den USA steigen sehr viel stärker als in der Eurozone. Das übt Druck auf den Euro aus und erklärt die jüngste Schwäche. Zusätzlich zum ungünstiger werdenden Zinsdifferential kommt es bei dem Inflationsdifferential auch auf die erwartete Inflationsdifferenz an.

Die aktuelle, tatsächliche Differenz liegt bei 0,8 %. Die Erwartungen weichen davon nicht sonderlich ab. Die Inflationserwartung für Deutschland liegt derzeit bei 1,15 %. Diese Erwartung basiert auf der Rendite von 10-jährigen Bundesanleihen und 10-jährigen inflationsgebundenen Anleihen. In den USA liegt die Erwartung inzwischen bei 1,95 %. Der Unterschied liegt ziemlich genau bei 0,8 %.

Das war nicht immer so. Noch im Sommer lag die Inflationserwartung in den USA bei 1,45 % und in Deutschland bei 1,1 %. Das erwartete Differential lag also bei lediglich 0,35 %. Jetzt ist es massiv nach oben geschnellt und könnte sich noch etwas weiter ausdehnen. Das stärkt letztlich nicht den Dollar, sondern den Euro.

Mit anderen Worten: Obwohl die erwartete und tatsächliche Inflationsdifferenz steigt, gewinnt der Dollar. Historisch gesehen hat sich dieser Zustand nicht lange halten können. Ein überproportional starker Inflationsanstieg in den USA schwächt den Dollar. Um das zu kompensieren müssten die Zinsen noch deutlich weiter und schneller ansteigen. Wie realistisch das ist, kann man sich denken.

Die deutliche Euroschwäche ist aus fundamentaler Sicht übertrieben. Das Zinsdifferential drückt den Euro nach unten, das Inflationsdifferential nach oben. Persönlich gehe ich davon aus, dass der Markt die Inflationsentwicklung aktuell in den USA überschätzt und in der Eurozone unterschätzt. Der Euro kann auf Sicht von Wochen weiter unter Druck bleiben und vielleicht sogar tatsächlich die Parität erreichen.

Vorausgesetzt der Markt hört nicht komplett auf, auf Fundamentaldaten zu achten (das hat er bei Währungen praktisch noch nie langfristig getan), ist die Euroschwäche spätestens Ende des ersten Quartals 2017 vorbei.

Clemens Schmale

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13 Kommentare

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  • GeBa96
    GeBa96

    Der extremste Wert ist 1,02

    09:50 Uhr, 24.11. 2016
  • 1 Antwort anzeigen
  • Jo1807
    Jo1807

    Herr Schmale schreibt zwar oft merkwürdige Dinge, aber in diesem Fall muss ich ihm Recht geben. Der Weiße Ritter liegt falsch, denn der Dollar zeigt ja derzeit gegenüber allen Währungen der Welt Stärke, das müsste nach ihrer Theorie daran liegen, dass ALLE in der Krise stecken, nur die USA nicht. Das ist selbstverständlich Unsinn.

    08:11 Uhr, 24.11. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • Weißer Ritter
    Weißer Ritter

    Man sitzt mit offenem Mund da, angesichts des Unfugs, der hier verblasen wird. Hier stimmt ja nun nichts mehr. Wenn man wissen möchte, wie es wirklich war, muß man nur alles, was Herr Schmale schreibt, ins Gegenteil verkehren. Niemand hat versucht den Euro zu schwächen. Die Euro-Schwäche ist real und Ausdruck der Krise der EU. Vielmehr hat man immer wieder verzweifelt versucht, ihn zu stützen, konnte ihn aber nicht zum Wiederanstieg bewegen, sondern lediglich in dem Korridor - mit wenigen Ausreißern - von 1,07 bis 1,14 halten. Dies scheint nun nicht mehr zu gelingen. Nicht, daß man die Hoffnung haben dürfte, daß Herr Schmale sich irgendeine Kritik mal zu Herzen nehmen würde. Es geht immer weiter in demselben Eigensinn. Aber die schlimmsten Verdrehungender Wirklichkeit dürfen dennoch nicht unwidersprochen bleiben..

    07:59 Uhr, 24.11. 2016

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Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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