Fundamentale Nachricht
16:43 Uhr, 01.04.2022

Wie geht es nach einem möglichen russischen Gas-Lieferstopp weiter?

Langfristige Alternativen zu russischem Erdgas zu finden, ist eine gewaltige Herausforderung. Zumindest kurzfristig fehlt es an Schiffen, Terminals und Förderkapazitäten. Das DIW Berlin ist gleichwohl zuversichtlich.

Berlin (Godmode-Trader.de) - Die Erdgasversorgung Europas stützte sich bisher zu einem großen Teil auf Lieferungen aus Russland. In Deutschland war diese Abhängigkeit besonders groß. Die EUhat im Jahr 2020 insgesamt 153,5 Mrd. Kubikmeter aus Russland importiert. Von diesen Importen aus Russland entfällt ein großer Anteil auf Deutschland, gefolgt von Italien.

Da verwundert es nicht, dass die europäischen Erdgaspreise angesichts des von Russland losgetretenen Krieges gegen die Ukraine verrückt spielen. Die Angst um Versorgungsknappheit greift um sich, und besorgt vor allem die deutsche Wirtschaft. So warnte BASF-Chef Martin Brudermüller für den Fall eines Ausfalls von Gas- und Öllieferungen aus Russland vor großen wirtschaftlichen Schäden. „Das könnte die deutsche Volkswirtschaft in ihre schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs bringen", sagte Brudermüller der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Die Situation ist heikel, wie die Kapriolen rund um die Putin-Forderung nach Bezahlung in Rubel zeigen. Westliche Staaten wie Deutschland müssen von Freitag an Konten bei der Gazprombank eröffnen, um weiter Gas zu erhalten. Andernfalls würden die Lieferungen für „unfreundliche Länder" eingestellt, hatte Präsident Wladimir Putin angekündigt. Die Staaten müssen demnach über die Konten eine Zahlung in russischer Währung sicherstellen. Es könnten weiter Euro oder Dollar auf das russische Konto eingezahlt werden. Die Gazprombank tausche das Geld dann in Rubel und überweise den Betrag an Gazprom. Fachleute erwarten aber keine große Konsequenzen für deutsche Firmen.

Dennoch hinterlässt der Schritt ein Geschmäckle. Ein russischer Gas-Lieferstopp ist angesichts der Eskalation nicht weiter auszuschließen. „Wie auch immer, werden die russischen Gashähne tatsächlich zugedreht, wird sich Europa dem Ölembargo Amerikas und Großbritanniens vermutlich anschließen“, erwartet Robert Halver, Kapitalmarktstratege bei der Baader Bank. „Denn russisches Öl lässt sich vergleichsweise leichter ersetzen als Erdgas. (…) „Langfristige Alternativen zu russischem Erdgas zu finden, ist aber eine weit größere Herausforderung. Zumindest kurzfristig fehlt es an Schiffen, Terminals und Förderkapazitäten und sind einige Lieferländer von lupenreinen Demokratien Lichtjahre entfernt“.

Für die kommenden Monate ist die Gasversorgung angesichts ausreichender Speicherstände und alternativer Bezugsquellen noch gesichert. Grundsätzlich aber stellt sich die Frage, wie sich Europa von Russlands Energien lösen kann. Das DIW Berlin ist hier zuversichtlich: „Modellrechnungen zeigen, dass die Europäische Gasversorgung auch ohne Lieferungen aus Russland weitestgehend gewährleistet werden kann, wenn Gasbezüge diversifiziert und koordiniert werden“, schreibt das Institut am Freitag. „Dies betrifft auch die Speicherung von Erdgas. Auch die Europäische Kommission hält es für möglich, noch im laufenden Jahr zwei Drittel der russischen Lieferungen durch Diversifizierung und Einsparung zu ersetzen“.

Die Diversifizierung umfasst demnach die zusätzliche Einfuhr von Flüssiggas (LNG) in einer geschätzten Höhe von 50 Mrd. Kubikmetern, für die als Lieferanten Katar, die USA, Ägypten und Westafrika genannt werden. Pipeline-Gas im zusätzlichen Umfang von zehn Milliarden Kubikmetern sollen aus Aserbaidschan, Algerien und Norwegen nach Europa geliefert werden. Zudem soll die Biomethanproduktion in der EU erhöht werden. Mittelfristig könnten Energieeffizienzmaßnahmen, der zügige Einbau von Wärmepumpen sowie der beschleunigte Ausbau von Wind- und Solarenergie den Bedarf für Erdgaslieferungen aus Russland senken, so das DIW.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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