Kommentar
09:12 Uhr, 14.06.2017

Wahnsinn oder Notwendigkeit? Ökonomen fordern höhere Inflationsziele!

Unter Ökonomen entbrennt gerade ein handfester Streit über die Zinspolitik der US-Notenbank. Schwere Geschütze werden aufgefahren.

Nicht jeder ist über die Zinspolitik der US-Notenbank glücklich. Letzte Woche flehten einige namenhafte Ökonomen (darunter Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und der ehemaliger Notenbanker Kotcherlakota) die Notenbank regelrecht an, das Inflationsziel anzupassen. Die US-Notenbank hat derzeit eine Zielinflationsrate von 2 %.

Der offene Brief an Yellen und ihr Komitee plädiert für ein höheres Inflationsziel. Das bedeutet indirekt, dass auch die Zinspolitik eine andere sein muss. Mehr Inflation wird nur erreicht, wenn die Zinsen jetzt nicht steigen. Indirekt ist der Brief also eine Aufforderung für eine Pause bei der Zinswende.

Der Grund für den Aufruf ist relativ einfach. Die Ökonomen sehen in höherer Inflation kein Problem. Höhere Inflation belastet zwar einen Teil der Gesellschaft, weil die Inflation möglicherweise stärker steigt als die Löhne und so den Lebensstandard senkt, doch dafür gibt es Abhilfe. Bleiben die Zinsen niedrig und werden dadurch mehr Arbeitsplätze geschaffen, wird Arbeit irgendwann knapp.

Je knapper der Faktor Arbeit ist, desto eher steigen die Löhne. Steigende Löhne bedeuten einen höheren Lebensstandard. Kurzfristig mag es sein, dass höhere Inflation negative Auswirkungen hat, doch mittelfristig und unterm Strich sollte es positive Auswirkungen geben.

Die Unterzeichner des Briefes argumentieren zudem, dass ein höheres Inflationsziel der Notenbank langfristig mehr Spielraum gibt. Je höher die Inflation ist, desto höher sind auch die Zinsen. Im nächsten Abschwung kann die Notenbank die Zinsen dann viel weiter senken als es jetzt der Fall wäre.

Dazu gibt es so viel zu sagen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll - vielleicht beim Inflationsziel selbst.

Inflationsziele gibt es je nach Land seit 20-30 Jahren. Eine der ersten Notenbanken, die ein Inflationsziel einführten, war die kanadische Zentralbank. Sie fing mit einem Ziel von 3 % und einer Range von 2-5 % an (siehe Grafik). Das Zielband wurde Mitte der 90er Jahre auf 1-3 % gesenkt. Die Zielrate liegt bei 2 %.

Alle 5 Jahre wird das Ziel überprüft. Zuletzt war das 2016 der Fall. Es gab keine Änderung, sodass der Status quo bis 2021 weiterhin gilt.

Die Notenbank sieht 2 % als bestmögliche Zielmarke für Preisstabilität an. Preisstabilität ist zwar bei 0 % erreicht, doch 0 % Inflation eignet sich nicht. Dafür gibt es vor allem drei Gründe:

1. Die Zinsuntergrenze

Die von den Notenbanken festgelegten Nominalzinsen können nicht weit unter 0 % fallen. Um die Wirtschaft dennoch durch niedrigere Zinsen zu stimulieren, braucht es Inflation. Liegen die Zinsen bei 0 % und glaubt der Markt an die 2 % Inflationsmarke, ergeben sich negative Realzinsen. Das stimuliert die Nachfrage nach Kredit und letztlich die Wirtschaft. Liegt das Inflationsziel bei 0 % und können die Zinsen nicht unter null sinken, gibt es auch keine negativen Realzinsen. Das engt den Spielraum der Notenbank massiv ein, im Ernstfall die Wirtschaft zu stimulieren.

2. Probleme der Teuerungsmessung

Die Teuerung lässt sich bei weitem nicht so genau messen, wie man glaubt. Ein Inflationsziel von 0 % birgt das Risiko, dass tatsächlich systematische Deflation zugelassen wird (für eine auf Kredit basierende Wirtschaft ist das katastrophal).

3. Löhne

Selbst wenn die Arbeitslosigkeit hoch ist, sinken die Nominallöhne kaum. Das ist ein Problem, weil Lohnsenkungen schneller für ein Gleichgewicht sorgen würden. Durch Inflation können die Nominallöhne konstant bleiben. Da die Reallöhne jedoch sinken, wird schneller ein Gleichgewicht gefunden. Die Arbeitslosigkeit sollte schneller sinken als bei 0 % Inflation.

Es gibt also gute Gründe für ein Inflationsziel von 2 %.

Diese Gründe und Vorteile von 2 % sind relativ stichhaltig. Bei einem Inflationsziel von 3 % sind diese Vorteile nicht mehr gewährleistet. Zudem ergibt sich auch ein ganz anderes Problem.

Nur wenn der Notenbank geglaubt wird, dass sie an Preisstabilität interessiert ist, bleibt der Wert einer Währung einigermaßen stabil. Erhöht die Notenbank ihr Inflationsziel von 2 % auf 3 %, was hält sie dann ab, es irgendwann auf 5 % oder 10 % zu erhöhen und die Geldstabilität komplett über Bord zu werfen?

Die Unterzeichner des Briefes wollen ein höheres Inflationsziel, um den Spielraum (Grund 1) der Notenbank zu erhöhen. Das ist jedoch eine rein akademische Diskussion und hat wenig mit der Realität zu tun. Nur weil die Notenbank ihr Inflationsziel auf 3 % erhöht, steigt ja nicht gleich die Inflation. Theoretisch mag das so sein, doch praktisch hat sich das noch nie bewahrheitet.

Ein höheres Inflationsziel bedingt zudem eine noch längere Phase niedriger Zinsen als ohnehin schon.

Das mag zwar helfen die Inflation irgendwann höher zu bringen, doch gleichzeitig erhöhen sich die Risiken. Je länger Zinsen extrem niedrig sind, desto höher werden die Risiken für das Finanzsystem, indem sich Vermögenspreisblasen bilden.

Ein Inflationsziel von 3 % in der aktuellen Umgebung ist praktisch die Besiegelung der nächsten Finanzkrise. Alles in allem fragt man sich manchmal schon, was Ökonomen durch den Kopf geht. Der aktuelle Vorstoß zeugt von akademischer Naivität gegenüber der Realität.

Clemens Schmale

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  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    Das "Herbeiflehen" höherer Inflationsziele passt hervorragend zum übergeordneten Bild. Den Ökonomen ist womöglich schlicht und ergreifend klar geworden, dass das Überschuldungsspiel zu Ende ist. Jetzt hilft nur noch die Notenpresse. Denkbar außerdem, dass die Herrschaften von der Fed vorgeschickt wurden, um mögliche Reaktionen auf derlei Vorstöße zu testen.

    10:51 Uhr, 14.06. 2017
    1 Antwort anzeigen
  • Lois
    Lois

    Autsch Herr Schmale. So klar Ihre Texte üblicherweise sind (bin ein Fan!) so wenig gelungen ist dieser Versuch ein höheres Inflationsziel verständlich zu machen. Wie Sie selbst feststellen sind Ziel und realer Inflation nur sehr sehr indirekt (und selten) verbunden. Was bedeuten dann die aufgeregten Statements über die Kosten von 3% Inflation wobei auch noch aller Nutzen von 2% Inflation verloren gehen würde? Glaubwürdigkeit einer Notenbankpolitik ist ein Problem, klar. Was aber wenn man mit einem erklärten Ziel von 2% (nützlich!) seit nunmehr mehr als 10 Jahren nicht einmal 1% erreicht? Und, im Gegensatz zu Ihrer kaum verständlichen Behauptung dass 3% Inflation gravierend schädlicher wäre als 2%: ein Prozent ist nicht um die Hälfte weniger sondern ein Vielfaches zu wenig Inflation für gesundes Wachstum

    Vorschlag: trennen Sie die Zieldiskussion (2 bz 3%) und die Diskussion realer Inflation (+/-1 seit Jahren). Erwähnen Sie dazu dass das wirkiche Schreckenszenario für Ökonomen nicht moderat zu hohe Inflation ist (die kann die Notenbank über 2 Zinsschritte stoppen) sondern länger andauernde, sich verfestigende DEflation. Und dass 1% reale Inflation auf Dauer, will heissen in Hinblick auf den nächsten Abschwung viel zu nahe an dieser Sackgasse liegen.

    Vielleicht wäre es auch sinnvoll näher auf die seit 2008 fehlende Komponente in der Inflationsentwicklung hinzuweisen: Löhne steigen nicht und damit entsteht keine Eigendynamik über die Lohn/Preisspirale. Inflation im Sinne der 70iger und 80iger gibt´s heute gar nicht, die Angst vor sich verselbstständigender Inflation ist schlicht Humbug. Warum also nicht 3% als Ziel wenn niemand eine Ahnung hat wie überhaupt dahin zu kommen?

    last but not least: ja genau es geht um Zinserhöhungen bzw die Frage ob und wann die Zinsen in diesem Zyklus erhöht werden können/sollen. nur ein schneller Hinweis: ie hoch müssten Zinsen sein um Vermögensblasen zu begrenzen? Was bedeutet das dann für die Realwirtschaft? reasonable economists might disagree ...

    10:49 Uhr, 14.06. 2017
    1 Antwort anzeigen
  • watuffli
    watuffli

    In einem mittelalterlichen Spruch heißt es:
    "Mit eines fremden Mannes Arsch ist gut durch ein Feuer rutschen!"
    Das scheint mir auch die Maxime der Apologeten höherer Inflationsziele zu sein.

    10:02 Uhr, 14.06. 2017
  • netzadler
    netzadler

    Was rauchen die ?

    09:19 Uhr, 14.06. 2017
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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