Vom Fluch entgangener Gewinne
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In der klassischen Finanzpsychologie (Behavioral Finance) beweisen verschiedene Studien immer wieder dasselbe Phänomen: Was man einmal besessen hat, und anschließend wieder verliert, belastet den Menschen mehr, als wenn er es gar nicht erst besessen hätte. Um diese Tatsache herauszufinden, gaben amerikanische Forscher Studenten einen 20 Dollar-Schein und sagten ihnen, dass es ein Geschenk sei. Kurze Zeit später nahmen die Wissenschaftler den Jugendlichen das Geld wieder ab und wiesen sie darauf hin, dass es sich bei dem Geschenk um einen Irrtum handelte.
Anschließend befragten Sie die Teilnehmer, die von der Studie nichts ahnten, wie ihr Empfinden zu den Geschehnissen sei. Es stellte sich eindeutig heraus, dass für die Probanten der Schmerz über den Verlust des Geldes, im Verhältnis zur Geldsumme, enorm groß war. Sie fühlten sich um den entgangenen Gewinn betrogen und hatten das Geld gedanklich oftmals schon für die Erfüllung von Sonderwünschen, wie etwa ein spontanes Mittagessen oder einen Kaffee mit Freunden, verplant. Obgleich sie das Geld wenige Minuten vorher nicht besaßen, war der Schmerz über den Verlust der kleinen Summe nun umso größer.
Sicher kennen Sie ähnliches aus dem Trading: Sie gehen z.B. eine Position ein, diese wird alsbald aktiviert und läuft rasant in die Gewinnzone. Kurz darauf entstehen jedoch völlig neue Marktverhältnisse - Ihr Trade läuft schnell in die entgegengesetzte Richtung. Ihre schönen, aber noch nicht realisierten Gewinne haben sich in Luft aufgelöst. Voller Erstaunen schauen Sie auf den Chart und sind sich sicher, dass irgendetwas mit Ihrem Trade falsch lief. Natürlich lief mit Ihrer Position nichts falsch, sondern nur anders als Sie es gedacht oder geplant hatten. In Ihrem Gehirn verwandelte sich ein Gefühl von Sicherheit in ein Gefühl der Unsicherheit. Denn einen Geldgewinn bewertet unser Gehirn als existenzielle Sicherheit und mit einem Gefühl von Glück. Sie selbst bewerten solche Trading-Augenblicke schnell als Können (oder Nichtkönnen) und erleben diese im negativen Fall als Kontrollverlust.
Anfänger empfinden deshalb in solchen Momenten meist schnell Sein-Zustände von Wut, Verzweiflung, Hass und Aggression. Unbewusst haben sie den Eindruck, entweder etwas falsch gemacht zu haben, oder sogar vom Markt betrogen worden zu sein. Dass sie einfach nur Pech hatten, weil der Marktverlauf anders als erhofft verlief, darauf kommen Sie meist nicht.
Um sich vom Druck des schlechten Ausgangs ihres Trades zu befreien, beginnen sie entweder sich, oder die Märkte, für den Verlauf der Situation bestrafen zu wollen.
Nach dem Motto „Jetzt erst recht“, „Ich Idiot, das hätte ich doch wissen müssen“, oder „Dem Markt werde ich es zeigen“, lassen sie sich meist schnell in einen neuen Trade ziehen und verwickeln sich so in unüberschaubare, emotionale Handlungen.
Sinn solcher Aktivitäten ist es meistens, sich vom negativen Gefühlsdruck, welcher durch den Trade entstanden ist, zu befreien. Oder anders ausgedrückt: „Den entgangenen Gewinn zurück holen zu wollen“. Unbewusst sind Sie davon überzeugt, selbst für die Geschehnisse verantwortlich zu sein und versuchen nun mit unsinnigen Handlungen, den Trade zu wiederholen um ihn diesmal richtig zu managen. Denn im Nachhinein sehen Sie ja genau, was geschehen ist und wie Sie es hätten besser machen können. Das ist natürlich unlogisch und schon gar nicht machbar. Ihr Gehirn gibt ihnen scheinbar dennoch genau diesen „Auftrag“.
Was hier hilft, ist ein gesunder Menschenverstand und eine wirksame Strategie. Wer seinen Handlungen beim Trading machtlos ausgesetzt ist, tradet nicht, sondern wird getradet – von seinen Emotionen. Und diese können außerordentlich machtvoll sein, wie Sie sicher aus eigenen Erfahrungen wissen. Und das ist nicht immer zum Vorteil Ihres Handelskontos.
Wer an den Märkten erfolgreich sein will, muss nicht nur Trading-Fachwissen besitzen, sondern vor allem Kenntnis über seine eigenen Reaktionen auf die Geschehnisse verfügen und entsprechende Lösungsansätze, wie er mit sich in den unterschiedlichen emotionalen Situationen umgeht. Auch ein Pilot bekommt nicht deshalb ein so hohes Gehalt, weil er in der Lage ist die nötige Flugzeugtechnik zu bedienen, sondern weil er die Fähigkeit besitzt, in kritischen Situationen das Richtige zu tun. Das ist es, was das Leben der Passagiere und seiner Crew rettet.
Wer beim Trading nicht vorschnell abstürzen will, sollte daran arbeiten, wie er entgangenen Gewinnen nicht mehr hinterher läuft. Denn solche Trades kosten den Händler in kürzester Zeit oft mehr Geld, als er in vielen Tagen, Wochen und manchmal Monaten hartnäckig verdient hat.
Mehr zu diesem Thema finden Sie auch in meinem Buch:
Norman Welz
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