Kommentar
11:48 Uhr, 20.07.2016

USA an kritischem Punkt?

Die Meinungen von Institutionen und Experten über die Zukunft der US-Wirtschaft gehen momentan so weit auseinander, dass man schon von Chaos sprechen kann.

Erwähnte Instrumente

  • Dow Jones
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    Kursstand: 16.820,00 Pkt (Deutsche Bank Indikation) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat eine klare Meinung: Notenbanken sollten weiterhin die Geldschleusen offenhalten. Das Risiko, dass sich die Wirtschaft wieder abschwächen könnte, ist zu groß. Aus diesem Grund sollten Notenbanken einer Beschleunigung des Wachstums am besten erst einmal tatenlos zusehen und in Kauf nehmen, dass ihre geldpolitischen Ziele übertroffen werden. An vorderster Front ist das Inflationsziel von 2 % zu nennen.

Der IWF geht mit seiner Forderung indirekt davon aus, dass die Volkswirtschaften nach der Finanz- und Staatsschuldenkrise wieder gesunden werden. Gesundung bedeutet in diesem Fall: Die Inflation kehrt zu ihrem langfristigen Mittel zurück, die Überschuldung wird abgebaut, Zinsen können langfristig wieder steigen und die Arbeitslosigkeit kehrt auf ihr Vorkrisenniveau zurück.

Es braucht keine aufwendige Analyse, um zu erkennen, dass die Gesundung der meisten Wirtschaften alles andere als vor der Tür steht. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Lawrence Summers, hat dafür eine Erklärung. Er sieht die Welt in einer säkularen Stagnation.

Säkulare Stagnation unterscheidet sich von den herkömmlichen und bekannten Konjunkturzyklen. In normalen Zeiten bewegt sich die Konjunktur in Zyklen, zwischen Aufschwung und Abschwung. Über Zinsanhebungen und Zinssenkungen versuchen Notenbanken die Zyklen zu steuern.

Bei einer säkularen Stagnation kommt es im Gegensatz zum normalen Konjunkturzyklus nicht zu einer zeitlich begrenzten Rezession, dem ein Phase des Wachstums folgt. Vielmehr ist die Wirtschaft mit Nullwachstum konfrontiert. Das Wirtschaftswachstum schwankt um den Nullpunkt. Inflation ist in dieser Zeit kein Thema. Sie schwankt wie das Wachstum ebenfalls um den Nullpunkt.

Wenn man wissen will, was eine säkulare Stagnation ist, muss man nur einen Blick auf die Wachstumshistorie Japans seit Mitte der 90er Jahre werfen. In den vergangenen 23 Jahren lag die durchschnittliche Wachstumsrate bei 0,74 %. Das schließt die „dynamische“ Zeit von 2002 bis 2008 mit ein. Seit 2008 ist die Wirtschaftsleistung unterm Strich nicht mehr vom Fleck gekommen. Japan stagniert seit 8 Jahren.

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Lawrence Summers und andere Experten sehen die Welt (USA, Europa) am Rande einer säkularen Stagnation. Die Theorie macht durchaus Sinn, denn die Faktoren, die in Japan zur Stagnation geführt haben, sind auch in der westlichen Welt zu beobachten. Das Bevölkerungswachstum lässt nach. In vielen Ländern schrumpft die Bevölkerung sogar und überaltert gleichzeitig. Da kann man kaum erwarten, dass mehr konsumiert wird und dadurch die Nachfrage steigt.

Es ist nicht nur die Überalterung der Gesellschaft, die das Wachstum dämpft. Seit Jahren nimmt das Produktivitätswachstum ab. Als Faustregel gilt, dass das Wirtschaftswachstum so hoch sein kann, wie das Produktivitäts- und Beschäftigungswachstum. Schrumpft die Anzahl an Personen, die arbeiten z.B. um 0,3 % pro Jahr und steigt die Produktivität um 0,5 %, dann liegt das potentielle Wachstum bei 0,2 %.

Säkulare Stagnation kommt fast unweigerlich auf uns zu. Die Frage ist jedoch: Ist es schon jetzt soweit oder doch erst in 20 Jahren? Keiner kann diese Frage mit Sicherheit beantworten. Die US-Notenbank (Fed) geht derzeit nicht von säkularer Stagnation aus. Sie macht sich vielmehr Sorgen darüber, dass sich das Wirtschaftswachstum beschleunigt und sie nicht rechtzeitig aus der ultralockeren Geldpolitik aussteigen kann.

Die Fed befürchtet, dass sie durch eine Wachstumsbeschleunigung dazu gezwungen sein wird die Zinsen plötzlich anzuheben, um eine Überhitzung mit all ihren Folgen (Spekulationsexzesse, Fehlallokation von Kapital) zu verhindern. Genau dieser Schritt könnte die Wirtschaft jedoch erneut in eine Rezession stürzen.

Will man die unterschiedlichen Sichtweisen zusammenfassen, dann kann man nur sagen: Niemand weiß, was wirklich vor sich geht. Jeder hat zwar eine Meinung oder eine Befürchtung, doch tatsächlich sind alle gleichermaßen blind.

Die gute Nachricht an der Sache ist: wer auch immer Recht bekommt, es ist in diesem und im nächsten Jahr nicht relevant. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich das Wirtschaftswachstum innerhalb der nächsten Monate massiv beschleunigt oder verlangsamt und ob wir uns in einer säkularen Stagnation befinden, wissen wir ohnehin erst, nachdem wir mitten drinstecken.

Diese großen Fragen, die Notenbanken und Experten diskutieren, werden langfristig äußerst relevant sein. Mittelfristig, auf Sicht von anderthalb bis zwei Jahren, sind sie von geringer Bedeutung. Anleger sollten sich daher auch von diesen Diskussionen nicht allzu sehr beirren lassen. Grafik 2 untermauert dies. Dargestellt sind das US-Wirtschaftswachstum sowie die Zinskurve.

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Wirtschaftswachstum und Zinskurve stehen in engem Zusammenhang. Die Kurve kommt zustande, indem von den langfristigen Zinsen die kurzfristigen abgezogen werden. Invertiert diese Kurve, dann sind die langfristigen Zinsen niedriger als die kurzfristigen. Eine solche Inversion geht den meisten Rezession 4 bis 6 Quartale voraus.

Grafik 3 zeigt die Zinskurve um 6 Quartale in die Zukunft versetzt. Demnach ist die Wirtschaft theoretisch bis Ende 2017 auf der sicheren Seite. Selbst wenn die US-Notenbank nun die kurzfristigen Zinsen anhebt, die langfristigen Zinsen aber sehr niedrig bleiben, kommt es wohl nicht vor Ende 2016 bis Mitte 2017 zu einer Inversion. Ein Abschwung ist daher bis auf weiteres nicht absehbar.

Konkret bedeutet dies wohl, dass es so weitergeht wie bisher. Damit ist zwar von den großen Fragen nichts entschieden und es weiß immer noch niemand so ganz genau, was eigentlich gerade mit der Wirtschaft geschieht, doch „weiter so“ ist für Anleger aktuell die beste Lösung.

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Lars Gottwik
Partner & COO JFD Brokers
JFD Brokers – Just FAIR and DIRECT

www.jfdbrokers.com

Offenlegung gemäß §34b WpHG wegen möglicher Interessenkonflikte: Der Autor ist in den besprochenen Wertpapieren bzw. Basiswerten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Analyse nicht investiert.

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