US-Präsidentschaftswahlen: Worauf müssen sich Investoren einstellen?
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Wie stehen Sie zur aktuellen Wirtschaftspolitik von US-Präsident Donald Trump und der des Herausforderers Joe Biden?
Jeffrey Sherman: Wir haben intensive Diskussionen über eine Reihe verschiedener Finanzpolitik-Ansätze gesehen. Was wir aber wirklich brauchen, ist eine stärkere Zusammenarbeit der beiden Kongresskammern. Es muss eine Einigung zwischen Republikanern und Demokraten geben, so wie wir es im März mit dem CARES-Gesetz über die Haushaltsausgaben in Höhe von 2,2 Mrd. US-Dollar gesehen haben. Sollten wir eine „blaue Welle“ sehen, bei der die Demokraten alle drei Kammern – die Präsidentschaft, den Senat und das Repräsentantenhaus – dominieren, könnte es besser koordinierte Anstrengungen geben, um politische Entscheidungen durchzusetzen. Ein Erdrutschsieg – ganz gleich in welche Richtung – ist das, wonach der Markt sucht, um in den kommenden Monaten keine weitere massive Unsicherheit erleben zu müssen.
Steven Friedman: Ich stimme zu. Wenn Trump ein Comeback feiert und die Wahl gewinnt, ist es unwahrscheinlich, dass die Republikaner beide Häuser des Kongresses kontrollieren – so könnten wir eine Fortsetzung der gegenwärtigen Pattsituation in Washington sehen. Daher wäre ich weniger zuversichtlich, genügend finanzielle Unterstützung für die Wirtschaft zu haben, wenn sie versucht, sich von der Covid-19-Krise zu erholen. Sollte Biden gewinnen und es die „blaue Welle“ geben, würde dies die Tür für eine kurzfristige Unterstützung der Wirtschaft öffnen. Biden hat auch einige ziemlich expansive Haushaltspläne im Auge, die die Wirtschaft längerfristig ankurbeln könnten.
Sie haben den Clean Sweep der Demokraten erwähnt, der als „blaue Welle“ bezeichnet wird – was würde dies für Investoren bedeuten?
Jeffrey Sherman: Eine „blaue Welle“ würde wahrscheinlich dazu führen, dass die Rentabilität der Unternehmen aufgrund der Steuererhöhung ein wenig beeinträchtigt wird. Beide Parteien geben jedoch viel Geld aus. Die Vorstellung, die Demokraten seien die Ausgabenpartei und die Republikaner seien fiskalisch die Ultra-Konservativen, wurde vor ein paar Jahren durch das Gesetz über Steuersenkungen und Arbeitsplätze komplett widerlegt. Unabhängig davon, wer Präsident ist, wird es mehr Ausgaben geben. Die Trump-Administration war recht locker beim Geldausgeben, und Stimulierung ist nach wie vor Trumps Hauptthema – daher sehe ich dort keine Änderung, sollte er wiedergewählt werden. Die Billionen-Dollar-Frage ist, ob dies zu Inflation führen wird, was höhere Zinssätze zur Folge hätte. Aber das ist noch abzuwarten, da wir uns gerade in einem deflationären Schock befinden. Letztendlich werden wir unabhängig vom Gewinner deutlich höhere Schuldenlasten sehen.
Steven Friedman: Auch hier stimme ich Jeff zu – beide Kandidaten nehmen viel Geld in die Hand. Wir haben unter Trump höhere Defizite gesehen, und das wäre unter Biden wahrscheinlich ähnlich. Biden hat große Ausgabeninitiativen angekündigt, die nicht durch Steuererhöhungen ausgeglichen werden dürften. Somit müssten die Defizite steigen. Er hat einige ordentliche Ideen in Bezug auf Infrastruktur und Bildung, die das Wachstum im Laufe der Zeit fördern könnten. Trump mag ein Fan der expansiven Finanzpolitik sein, aber wenn er gewinnt und keine Kontrolle über den Kongress hat, sehe ich begrenzte Aussichten für eine bedeutende Ausgabengesetzgebung in den nächsten zwei Jahren. Er würde sich wahrscheinlich auf Bereiche wie Einwanderungs- und Handelspolitik konzentrieren – wo er eine gewisse Unabhängigkeit vom Kongress hat.
Apropos Infrastruktur: Dieser Bereich dürfte ein Hauptnutznießer der Ausgaben sein, oder?
Jeffrey Sherman: Infrastruktur ist seit den Wahlen 2016 das Haupt-Gesprächsthema. Beide Parteien nahmen stark an Diskussionen teil, aber wir haben nie etwas Konkretes von Präsident Trump gesehen – der größte Teil der Ausgaben konzentrierte sich auf Körperschaftsteuersenkungen. Ich denke, wir könnten unter den Demokraten mehr öffentliche Infrastrukturpläne sehen, aber es ist viel zu früh, um dies mit Bestimmtheit sagen zu können.
Sie haben beide eskalierende Defizite erwähnt. Sollte dieser wachsende Schuldenberg die Anleger beunruhigen?
Jeffrey Sherman: Wir sehen gerade, wie weit die Grenzen verschoben werden können. Die US-Verschuldung hat zuletzt 100 % des Bruttoinlandsprodukts überschritten, und die Ausgaben werden weiter fortgesetzt. Allerdings muss es ein Ventil geben. In der Regel geschieht der Druckausgleich durch Inflation oder Währungsbewegungen. Wenn wir Ausgaben tätigen wollen, müssen wir uns auf die Menschen konzentrieren, die derzeit „ausgebootet“ sind – durch Schaffung von Arbeitsplätzen, Bildung oder Qualifizierung. Investitionen in die Infrastruktur liegen da nahe, da dieser Bereich kapitalintensiv ist und qualitativ hochwertige Arbeitskräfte benötigt – und in der Regel einen starken Geldmultiplikator bietet.
Steven Friedman: Die US-Notenbank Federal Reserve hat im Wesentlichen die zur Finanzierung des CARES-Gesetzes erforderlichen Schulden aufgenommen und wird auch das aufnehmen, was für ein Follow-up-Programm ähnlicher Größe erforderlich ist. Wir befinden uns in einem Umfeld, in dem eine erhebliche Koordinierung zwischen den Steuer- und Währungsbehörden besteht. Dies hat zur Folge, dass der Öffentlichkeit weniger Schulden aufgeladen werden. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies auf die Märkte auswirkt. Aber wie bereits erwähnt, könnten die Devisenmärkte das eventuelle Ausgleichsventil sein, genauso wie höhere Zinssätze.
Jeffrey Sherman: Steven trifft den Nagel auf den Kopf. Powell, der Vorsitzende der Fed, sagt immer wieder, es sei „steuerlich, steuerlich, steuerlich“. Damit meint er im Wesentlichen: „Sie drucken das Geld und ich werde es kaufen.“ Eine Monetarisierung der Schulden ist also sehr wahrscheinlich.
Trump hat sich oft zur Fed geäußert. Würde ein Biden-Sieg die aktuelle Dynamik verändern?
Steven Friedman: Trotz Trumps Kritik an der Fed hat diese bemerkenswerte Arbeit geleistet und ihre Unabhängigkeit bewahrt. Die verstärkte fiskalische und monetäre Koordination, über die Jeff und ich gesprochen haben, war die Entscheidung der Fed und nicht das Ergebnis des Drucks der Trump-Administration. Die Fed reagierte aggressiv auf die Krise, so dass die Kritik seitens einer möglichen zukünftigen Biden-Regierung begrenzt sein dürfte. Darüber hinaus ist die Änderung des Fed-Rahmens hin zur Förderung einer Inflation über die Zwei-Prozent-Marke hinaus – im Austausch für bessere Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt – in diesem Umfeld das Richtige. Es ist auch politisch versiert, da es diese Art von Strategie ist, die auch die Demokraten unterstützen können.
Haben Sie abschließend Ratschläge zur Portfolio-Positionierung in Bezug auf die Wahl?
Jeffrey Sherman: Sie sollten Ihr Portfolio nicht nach dem Ausgang der Wahl ausrichten – denken Sie nur an die Überraschung beim Ergebnis vor vier Jahren. Mit Blick auf die Zukunft ergeben sich die Herausforderungen für den Rentenmarkt nicht aus der Wahl, sondern aus der Höhe der aktuellen Renditen. Es gibt einige Bereiche des Marktes, die für das derzeitige Risiko einfach nicht viel Wert bieten. Wenn wir ein Angebot an Anleihen haben, das über das hinausgeht, was die Fed kaufen kann, könnte dies leicht Druck auf die Zinssätze ausüben – aus Sicht von Angebot und Nachfrage. Zweitens, wenn Sie eine Schwäche des Dollars bekommen, könnte dies einige Investitionen in den USA behindern. Es gibt viele Szenarien, die ich – unabhängig von der Wahl – zeichnen kann, in denen die Zinssätze von hier aus steigen. Wie Steven betonte, ist die Fed bereit, die Inflation etwas heißer als normal laufen zu lassen. Der Rentenmarkt hat dies bemerkt und die Zinskurve ist steil. Daher sollten Sie sich auf Bereiche konzentrieren, auf die die Fed keinen direkten Einfluss hat – also nicht auf Staatsanleihen oder Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating. Es gibt Chancen im Leveraged-Finance-Sektor, aber Sie müssen vorsichtig sein. Aufgrund von Stundungen ergeben sich auch auf dem Hypothekenmarkt Chancen. Einige beeinträchtigte Anleihen werden letztendlich im nächsten und übernächsten Jahr zu Chancen führen.
Steven Friedman: Das ist richtig. Während die Wahlen von großem Interesse sind und uns viel Aufschluss über die Finanzpolitik in den kommenden Jahren geben sollten, so dürfte sich eine äußerst unterstützende geldpolitische Haltung so oder so fortsetzen. Zumindest müssen wir uns keine Sorgen um die Kontraktion der öffentlichen Finanzen machen, und diese Unterstützung für die Wirtschaft wird in Zukunft ausreichen. Was das Virus betrifft, werden wir hoffentlich nächstes Jahr um diese Zeit über einen weit verbreiteten und wirksamen Impfstoff sprechen. In diesem Umfeld setzt also die Expansion ein, in der Sie das Risiko wieder in die Portfolios aufnehmen müssen. Nach Jeffs Ansicht müssen wir auch zwischen den Vermögenswerten, die die Fed im Wesentlichen übernimmt, und denen, die sie hat verwaisen lassen, unterscheiden. Die Chancen liegen in verwaisten Gebieten – wie Hochzinsanleihen, nachrangigen ABS- und Schwellenländeranleihen.
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